03.03.2020 - Kommentare

Corona: Was Nudeln, Reis und Glockenkurven gemeinsam haben

von Philipp Immenkötter


Während sich die Nudel- und Reisregale in deutschen Supermärkten langsam leeren und man den Eindruck bekommt, dass sich die Nachbarn auf eine lange Quarantäne einstellen, sollte man sich noch einmal vor Augen halten, wie Epidemien typischerweise voranschreiten.

Epidemien folgen Verlaufsmustern, die seit der Spanischen Grippe nach dem ersten Weltkrieg eingehend untersucht worden sind. Eine Person, die sich mit einem Virus infiziert hat, gibt das Virus mehrfach weiter, so dass die Anzahl infizierter Personen zunächst exponentiell ansteigt. Gleichzeitig genesen infizierte Personen wieder und zählen anschließend nicht mehr zu den aktiven Fällen, da sie nicht mehr ansteckend sind. Die Epidemie erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Anzahl der neuen Ansteckungen der Zahl der Genesungen entspricht. Sie klingt ab, wenn die Zahl der Genesungen die der Ansteckungen zunehmend übertrifft. Lässt man der Epidemie freien Lauf, kann es lange dauern, bis die Abklingphase beginnt. Verringert man die Möglichkeit der Ansteckung, beginnt die Abklingphase früher. So oder so ähnelt der zeitliche Verlauf der Anzahl aktiver Fälle einer Glockenkurve. Zur Erklärung der Verlaufskurven können mathematische Modelle der Epidemiologie herangezogen werden.1

In den vergangenen Wochen haben wir mehrfach gewagt, eine Schätzung einer Verlaufskurve aktiver Fälle für das chinesische Festland zu erstellen. Am 29. Januar haben wir eine Schätzung auf der Basis der Daten bis zum Vortag veröffentlicht (gestrichelte graue Linie in der Grafik).2 Diese Schätzung haben wir am 12.02. aufdatiert (gepunktete graue Linie) und jüngst erneut mit den verfügbaren Daten bis zum 01.03.2020 aktualisiert (gestrichelte grüne Linie).

Zwar sollten Prognosen stets mit Vorsicht behandeln werden, doch lässt sich aus der Reihe unserer fortlaufenden Analyse schließen, dass auch die Corona-Epidemie dem bekannten Muster folgt. Im grün gezeichneten Anstieg der registrierten aktiven Fälle ist bis zum 11.02. die linke Flanke einer Glockenkurve zu erkennen. Der anschließende Sprung ist auf eine veränderte Zählweise der chinesischen Behörden zurückzuführen. Der ab dem 19.02. sich abzeichnende Verlauf deutet auf die rechte Flanke einer Glockenkurve hin. Daraus lässt sich die Hoffnung begründen, dass der Zenit der Epidemie in China bereits überschritten wurde und sich die Abklingphase bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Die rigorose Politik der Eindämmung in China dürfte dabei geholfen haben.

Für die Verbreitung des Coronavirus in Deutschland ist ebenfalls mit einem glockenkurvenartigen Verlauf zu rechnen. Da aktuell die Anzahl der Neuinfizierten schneller als die Anzahl der Genesenen wächst, befinden wir uns noch im Bereich des exponentiellen Anstiegs – so wie in China noch bis Mitte Februar.

Je nachdem welche Maßnahmen die Behörden ergreifen werden und wie die Bevölkerung auf die Epidemie reagiert, wird auch in Deutschland früher oder später ein Zenit erreicht werden. In China dauerte es knapp zwei Monate bis zum Zenit. Wiederholt sich der Verlauf auch in Deutschland, so sollten sich spätestens Ende März die Supermarktregale langsam wieder mit Nudeln- und Reisprodukten füllen.


1 Vgl. Kermack W.O. und A.G. McKendrick (1927): „A Contribution to the Mathematical Theory of Epidemics“, aus Proceedings of the Royal Society (772), S. 701-721.

2 Die damalige Schätzung umfasst auch alle Fälle, die nicht bei Behörden registriert wurden, welche 95% aller Fälle umfassen. Zur Vergleichbarkeit wurden die geschätzten Werte nun auf die Anzahl registrierter Fälle (5%) reduziert.

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