16.03.2020 - Kommentare

Der Corona-Weckruf

von Thomas Mayer


Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir bei jeder Furcht vor einer Rezession nach dem Staat rufen. Da sich die Fiskalpolitiker in den siebziger Jahren als inkompetente Konjunkturpolitiker erwiesen haben, sollen es seitdem vornehmlich die Zentralbanker richten. Immer wieder haben sie seit den achtziger Jahren bei einer drohenden Rezession die Zinsen gesenkt, sich aber nicht getraut, diese im folgenden Aufschwung wieder in gleichem Maße zu erhöhen. Auf diese Weise haben sie die Zinsen über die Zeit herunter geschleust. Mit Zinssenkungen haben sie den Finanzsektor gefüttert und die „Finanzialisierung“ der Wirtschaft so weit vorangetrieben, bis der Finanzsektor gewichtig genug war, die Regie in der Wirtschaftspolitik selbst in die Hand zu nehmen. Heute lassen sich die Zentralbanker von den Aktien- und Kreditmärkten sagen, was sie zu tun haben, denn sie hoffen, durch die Befeuerung dieser Märkte die Konjunktur zu stützen. Es passt ins Bild, dass die US Federal Reserve am 3. März ihren Leitzins senkte, nachdem der amerikanische Aktienmarkt in der Vorwoche um mehr als 10 Prozent gefallen war. Andere Zentralbanken haben nachgezogen, wobei sich die Europäische Zentralbank mangels Zinssenkungsspielraum auf Kredithilfen beschränken musste.

Gegen das Corona Virus wirken pure Leitzinssenkungen der Zentralbanken wie eine Schluckimpfung gegen Kinderlähmung. Aus Furcht vor Ansteckung verringern oder unterbrechen die Menschen den Umgang miteinander und damit ihre Geschäfte. Sowohl die Produktion als auch die Nachfrage stocken. Solange die Ansteckungen zunehmen, wächst auch die Furcht, und die Menschen halten sich zurück. Noch niedrigere Zinsen können das nicht ändern. Aber durch die Verringerung und Unterbrechung der Geschäfte können Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Brechen die Einnahmen weg, fehlen die Mittel zum Schuldendienst. Aus diesem Grund ergeben von Staaten und Zentralbanken geförderte Überbrückungskredite eher Sinn. Betroffen sind aber vor allem Unternehmen mit schwachen Einnahmen und hohen Schulden, die bisher vor allem durch die Beatmung mit den von Zentralbanken geschaffenen Niedrigzinsen überleben konnten.

Eine Marktwirtschaft erneuert sich fortwährend dadurch, dass schwache Unternehmen scheitern und neuen Platz machen. Durch das Aufpäppeln mit niedrigen Zinsen hat sich die Zahl der schwachen Unternehmen jedoch so vergrößert, dass ihr Scheitern zu einer Bedrohung für den ebenfalls hoch verschuldeten Rest der Wirtschaft geworden ist. Das Gespenst der „Schuldendeflation“ geht um, in der die Schuldner wie eine Reihe von Dominosteinen nacheinander fallen und die Wirtschaft in den Abgrund ziehen. Nun muss die Wirtschaftspolitik alles tun, um das zu verhindern, und sie wird deshalb mit Kredithilfen nicht sparen. Aber der Preis dafür wird eine weitere strukturelle Schwächung der Wirtschaft und Belastung des Steuerzahlers sein, wenn besonders schwache Schuldner auch nach dem Abklingen der Corona Epidemie ihre Schulden nicht zurückzahlen können.

Die Corona Epidemie ist ein Weckruf zur Schaffung von mehr Robustheit. Wir müssen Puffer in globale Wertschöpfungsketten einbauen und es ermöglichen, mehr im virtuellen Raum zu arbeiten. Aber wir müssen die Wirtschaft nach der Corona Krise auch von der durch die Zentralbanken verabreichten Droge der Niedrigzinsen befreien. Diese Droge hat Fragilität geschaffen. Ihre halluzinogene Wirkung ist verbraucht, aber ihre schädlichen Wirkungen sind für die Marktwirtschaft inzwischen lebensbedrohlich geworden.

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