12.04.2020 - Kommentare

Die vergessenen Verlierer der Corona-Krise

von Thomas Mayer


Die Pandemie trifft Schwellen- und Entwicklungsländer besonders hart. Ihr Gesundheitssystem ist hohen Fallzahlen nicht gewachsen, die Folgen einer Rezession sind dramatisch. Die Staaten stecken in einem Dilemma, in dem sie nur verlieren können.

In einem Bericht mit dem Titel „Global Waves of Debt“ warnte eine Gruppe von Ökonomen der Weltbank im Dezember letzten Jahres davor, dass die Schwellenländer aufgrund ihrer hohen Verschuldung in einem wirtschaftlichen Abschwung besonders verwundbar seien. In vielerlei Hinsicht, schreiben die Autoren der Studie, seien die Schwellen- und Entwicklungsländer heute anfälliger als vor der Finanzkrise.

Drei Viertel von ihnen hätten teilweise hohe staatliche Haushaltsdefizite, ihre auf Fremdwährung laufenden Unternehmensschulden seien deutlich höher und ihre Leistungsbilanzdefizite sogar viermal so hoch wie im Jahr 2007. Unter diesen Umständen könnte ein plötzlicher Anstieg der Risikoprämien eine Finanzkrise auslösen, wie es in der Vergangenheit schon oft geschehen sei.

Nun fegt die Corona-Krise durch die Welt und trifft die verletzlichen Schwellen- und Entwicklungsländer auf zweifache Weise. Erstens zwingt die Pandemie ihre Gesundheitssysteme in die Knie und verursacht gewaltige Produktionsausfälle. Und zweitens werden sie von der Rezession in den Industrieländern noch tiefer in die Wirtschaftskrise gezogen. Insbesondere der Kollaps der Rohstoffpreise trifft einige sehr hart.

Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass internationale Anleger aus diesen Ländern fliehen. Seit Ende Februar sind die handelsgewichteten Wechselkurse der Schwellen- und Entwicklungsländer im Schnitt um vier Prozent gefallen, wobei der Verlust bei einigen Ländern deutlich mehr als zehn Prozent betrug.

Länder mit hoher Verschuldung in Fremdwährung taumeln der Zahlungsunfähigkeit entgegen. Kristalina Georgiewa, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), beklagt, dass noch nie in der 75-jährigen Geschichte des IWF so viele Länder – gegenwärtig 85 – auf finanzielle Nothilfe angewiesen waren.

Aufstockung der IWF-Kreditvergabe

Tatsächlich stecken die Wirtschaftspolitiker in diesen Ländern in einem Teufelskreis. Die scharfe Rezession verlangt von ihnen, die Wirtschaft durch höhere Staatsausgaben, niedrigere Steuern und die Senkung von Zinsen zu stützen. Gleichzeitig schreckt aber eine noch höhere Verschuldung bei niedrigeren Zinsen die Anleger ab und treibt sie zur Flucht aus dem Land.

Die Kapitalflucht zieht den Wechselkurs der Währung nach unten, was zum Anstieg der Inflation führt. Dadurch erscheinen höhere Staatsdefizite und niedrigere Zinsen noch gefährlicher. Nur wenige Monate nach Erscheinen ihres Berichts könnte sich die Warnung der Weltbankökonomen vor einer Finanzkrise in den Schwellenländern bestätigen.

Georgiewa versucht zu beruhigen, indem sie auf die Aufstockung der Kapazität des IWF zur Kreditvergabe auf eine Billion Dollar verweist. Das entspricht aber gerade mal 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Schwellen- und Entwicklungsländer und dürfte kaum ausreichen, die Kapitalflucht aus diesen Ländern zu finanzieren. Vermutlich dürfte es für viele Länder keine andere Lösung geben, als Kapitalverkehrsbeschränkungen einzuführen. Darauf haben Regierungen schon in früheren Krisen zurückgegriffen.

Aber sie können es nicht leichten Herzens tun, denn Anleger werden nach der Krise Länder meiden, die sie eingeschlossen haben. Vermutlich werden sie dann zwischen Ländern mit soliden Finanzen und guter Regierungsführung, die ohne Kapitalverkehrsbeschränkungen durch die Krise gekommen sind, und anderen, die darauf zurückgreifen mussten, unterscheiden. Wie im Bereich der davon unterschiedlich betroffenen Unternehmen verteilt die Krise auch unter den Schwellen- und Entwicklungsländern die Karten neu.

Erschienen am 12. April 2020 in Welt online

 

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