22.03.2019 - Kommentare

Die Zerstörung von Markt und Staat

von Norbert F. Tofall


Durch Industriepolitik, Ökologismus und monetäre Planwirtschaft wird nicht nur der Markt zerstört, sondern auch der freiheitlich demokratische Rechtsstaat.

I.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier formuliert in seiner „Nationalen Industriestrategie 2030“ strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik. Die globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse seien enorm in Bewegung geraten. Der Weltmarkt befinde sich in einem Prozeß rasanter und tiefgreifender Veränderung. Handelsströme veränderten sich. Für Deutschland stelle sich deshalb die Frage, wie auf diese neuen Entwicklungen und Verschiebungen reagiert werden müsse.

Daß all dies in den letzten 200 Jahren und darüber hinaus nicht anders war und daß ständige Veränderungen der Lebenswelt seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies zur conditio humana gehören und daß die erfolgreichste Reaktion auf diese Veränderungen seit jeher im Zulassen von dezentralen evolutionären, nicht zentral gesteuerten Anpassungsprozessen besteht, blendet Peter Altmaier leider aus. Stattdessen fährt er zur Legitimation zentral gelenkter staatlicher Maßnahmen, die durch ordoliberal klingende Rhetorik aufgehübscht umrankt werden, schweres Geschütz auf: „Würden technologische Schlüsselkompetenzen verloren gehen und (würde) infolgedessen unsere Stellung in der Weltwirtschaft substanziell beschädigt, hätte das dramatische Folgen für unsere Art zu leben, für die Handlungsfähigkeit des Staates und für seine Fähigkeit zur Gestaltung in fast allen Bereichen der Politik. Und irgendwann auch für die demokratische Legitimität seiner Institutionen.“ Unsere Demokratie steht nach Ansicht von Peter Altmaier also auf dem Spiel, wenn der Primat der Politik nicht verteidigt werde.

Und Bundeskanzlerin Angela Merkel kam ihrem Wirtschaftsminister gestern im Bundestag zu Hilfe. In einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel forderte sie eine Lockerung der EU-Beihilferegeln und eine aktive Industriepolitik, damit Europa ökonomisch gegenüber China und den USA Boden gut machen könne. Nötig sei eine Debatte über europäische Champions und eine Änderung des EU-Wettbewerbsrechts. Es ginge dabei nicht darum, daß der Staat künftig die Rolle der Wirtschaft einnehme. Aber es sei unsinnig, wenn der Staat zwar viele Umweltvorschriften für die Autoindustrie mache, sich aber nicht auch um die Frage kümmere, wie Wertschöpfungsketten in Europa erhalten bleiben könnten. Das heißt mit anderen Worten, der Primat der Politik im Bereich des Umweltschutzes muß nach Ansicht von Angela Merkel durch einen Primat der Industriepolitik in der Wirtschaft ergänzt werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint dabei nicht einen Gedanken an die Frage zu verschwenden, ob nicht gerade die überbordenden Umweltvorschriften für die Autoindustrie und ihre Energiepolitik mit Atomenergie- und Kohleausstieg eine nachhaltige Deindustrialisierung in Deutschland befördern, die sie und ihr Wirtschaftsminister durch ihre „Nationale Industriestrategie 2030“ andererseits verhindern wollen. Der angemaßte Primat der Politik in einem Sachbereich scheint den Primat der Politik in anderen Sachbereichen nach sich zu ziehen. Frei nach Ludwig von Mises könnte man von einer sektorübergreifenden Interventionsspirale sprechen.

Dazu kommt, daß gerade die von Angela Merkel verfolgte Eurorettungspolitik schöpferische Zerstörungen, Strukturreformen und dezentrale evolutionäre Anpassungsprozesse verhindert hat. Hätten Angela Merkel, die anderen EU-Regierungen, die EU-Kommission und die EZB in den letzten 10 Jahren diese schöpferischen Zerstörungen, Strukturreformen und dezentralen evolutionären Anpassungsprozesse zugelassen, dann würden Deutschland und Europa heute sowohl gegenüber China als auch den USA nicht nur ökonomisch vitaler, sondern auch politisch stabiler dastehen. Denn die kumulierten Problemverschleppungen seit der unbereinigten Finanzkrise von 2007/2008 haben überall in Europa eine politisch destabilisierende Polarisierung hervorgerufen, deren Ende nicht absehbar ist. Erschwerend kommt hinzu, daß Angela Merkel durch ihre konstruktivistische Flüchtlingspolitik à la „Wir schaffen das“ die AfD in den Deutschen Bundestag promoviert hat.

Angela Merkel, Peter Altmaier und viele andere vermögen aus welchen Gründen auch immer nicht zu erkennen, daß durch Industriepolitik, durch Ökologismus und durch monetäre Planwirtschaft nicht nur der Markt zerstört wird, sondern auch der freiheitlich-demokratisch verfaßte Staat. Denn im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat kann gerade kein Primat der Politik gelten, sondern muß ein Primat von Recht und Freiheit verteidigt werden. Ein Primat der Politik zerstört den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.

II.

Nach Immanuel Kant ist das „angeborne Recht des Menschen … nur ein einziges: Frei­heit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes ande­ren Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses ein­zige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“1 Das Recht ist deshalb der Inbegriff der Bedingungen, unter denen der Wille des einen Men­schen mit dem Willen des anderen Menschen unter einem allgemeinen Gesetz der Frei­heit nebeneinander bestehen kann.2 Auf Recht gegründete Gesellschaften dürfen ihre Mitglieder deshalb nicht auf gemeinsame spezifische Ziele verpflichten, sondern nur auf die Einhaltung von Regeln, welche das friedliche Nebeneinander vielfältiger individu­eller Handlungen ermöglichen, die auf vielfältigen individuellen und sich ge­genseitig widersprechenden Zielen beruhen können.

Der Staat hat in diesem Sinne zwar die Befugnis zur Anwendung von Zwang, um eine Verfassung von der größten Freiheit zwischen Menschen zu errichten und zu sichern. Der Staat darf jedoch keine Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen per Gesetz – und das heißt per Zwang – durchsetzen oder fördern. Der Staat hat lediglich dafür zu sorgen, daß die Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen der Menschen, also ihre individuellen Ziele, nebeneinander bestehen können. Kein Mensch, keine Gruppe, keine noch so de­mokratisch gewählte Mehr­heit und auch kein Staat haben das Recht, Menschen zu zwin­gen, auf eine be­stimmte Art und Weise glücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, auf seine Art nach Glück zu streben. Das heißt, daß der Staat auch nicht das Recht hat, die Gesell­schaft auf bestimmte Förderziele zu verpflichten.

Erst durch den Verzicht auf vorgegebene gemeinsame spezifische Ziele kann eine of­fene Gesellschaft freier Menschen entstehen, in der die verschiedenen Mitglieder von den Tätigkeiten aller anderen nicht nur trotz, sondern oft sogar aufgrund der Verschie­denheit ihrer je­weiligen Ziele profitieren.3 Der Verzicht auf vorgegebene gemeinsame spezifische Ziele und der Primat von Recht und Freiheit bilden so die Grundlage des Wohlstands.

Industriepolitik, Ökologismus und monetäre Planwirtschaft sind hingegen gemeinsame spezifische Ziele, die den Menschen und der ganzen Gesellschaft durch einen Primat der Politik vorgegeben werden. Es handelt sich um eine Finalisierung der Gesellschaft, die mehr und mehr sowohl den Markt als auch den freiheitlich-demokratisch verfaßten Staat zerstört.


1 Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten, 1797/1798, Werkausgabe Band VIII, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, 5. Auflage, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1982, AB 45, S. 345.

2 Vgl. ebd. AB 33, S. 337.

3 Siehe bspw. Friedrich A. von Hayek: „Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung (1966)“, in: ders.: Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung. Aufsätze zur Politischen Philosophie und Theo­rie, heraus­gegeben von Viktor Vanbert, Tübingen (Mohr) 2002, S. 69 – 87, hier S. 72 – 74, insbs. S. 72: „Deshalb kön­nen Begriffe wie Gemeinwohl oder öffentliches Interesse in einer freien Gesell­schaft nie als Summe be­stimmter anzustrebender Ziele definiert werden, sondern nur als abstrakte Ord­nung, die als Ganzes nicht an irgendwelchen konkreten Zielen orien­tiert ist… Die große Bedeu­tung der spontanen Ordnung oder No­mokratie liegt darin, daß sie eine friedliche Zusammenarbeit zum wechselseitigen Nutzen der Men­schen über den kleinen Kreis derjenigen hinaus er­möglicht, die die­sel­ben konkreten Ziele verfolgen.“

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