31.01.2020 - Kommentare

Götterdämmerung der Zentralbanker

von Thomas Mayer


In Richard Wagners „Götterdämmerung“ gehen die Götter im Weltenbrand unter. Im Vergleich dazu nähert sich die Götterdämmerung der Zentralbanker eher schleichend. Ihren Aufstieg in den Olymp verdankten sie dem US-Federal Reserve Chef Paul Volcker, der Anfang der 1980er Jahre die Szene wie der Kriegsgott Mars betrat. Als die Konsumentenpreisinflation 15 Prozent zu erreichen drohte, hob er die „Federal Funds Target Rate“, den Leitzins der US Notenbank für den Geldmarktzins, auf 20 Prozent an. Die US Wirtschaft stürzte tief in die Rezession und die Inflationsrate fiel bis Mitte der 1980er Jahre auf weniger als zwei Prozent. Sein Nachfolger Alan Greenspan wurde zum Zeus unter den Zentralbankgöttern, als er der Welt vorführte, was sie im Kampf gegen Finanzkrisen zu leisten vermögen. Mit Ben Bernanke, seinem Hermes, und geringeren Göttern im Zentralbankolymp verhinderte er die Kernschmelze im Finanzbereich, indem er in der Großen Finanzkrise die Banken mit Liquidität flutete. Statt der Depression erlitt die Wirtschaft eine zwar schmerzhafte, aber nur kurze Rezession. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank und Hephaistos Mario Draghi zeigte schließlich, wie allein die Drohung mit unbegrenzter Zentralbankintervention eine wacklige Währung vor dem Untergang retten kann.

Durch diese spektakulären Aktionen haben sich die Zentralbanker den Nimbus göttlicher Wundertäter erworben. Heute sollen sie nicht nur für Preisstabilität, sondern auch für Wirtschaftswachstum sorgen und dem Staat für Investitionen in die Infrastruktur, zum Klimaschutz und zum Ausbau der Sozialprogramme das nötige Geld beschaffen. Doch trüben die Erfolge der Vergangenheit den Blick. Dass Zentralbanken mit straffer Geldpolitik Inflationsbrände austreten und mit Geldinfusionen klamme Schuldner vor dem Bankrott retten können, heißt eben nicht, dass sie auch Wachstum erzwingen und die Inflation ihren Vorstellungen gemäß steuern können. Sie haben es dennoch versucht und sind dabei auch vor monetärer Staatsfinanzierung nicht zurückgeschreckt. Der Preis dafür dürfte der Verlust ihrer früheren Fähigkeit zur Inflationsbekämpfung und damit der Abstieg aus dem Olymp sein.

Der Irrweg der Zentralbanker begann Ende der achtziger Jahre mit der Fokussierung auf die Finanzmärkte und der Verfolgung von Inflationszielen. Anfangs dieses Jahrhunderts wurde er mit der Bekämpfung der durch das Platzen der Dotcomblase ausgelösten Wirtschaftsschwäche abschüssiger. Durch radikale Zinssenkungen stimulierten die Zentralbanker nach dem Aktiencrash die Geldnachfrage. Die Folge davon war, dass das Wachstum der breiten Geldmenge (M3 in US-Dollar umgerechnet) in den G6-Ländern USA, der Eurozone und Kanada insgesamt in der Zeit von 2002 bis 2006 jedes Jahr das Wachstum des nominalen Bruttoinlandsprodukts um drei Prozentpunkte übertraf. Da Geld über die Verschuldung bei Banken geschaffen wird, führte die mit der Geldflut verbundene Überschuldung in die Finanzkrise von 2007-08. Doch statt nun innezuhalten, erhöhten die Zentralbanker die Schlagzahl. Wegen der Schwäche der Banken in der Geldschaffung durch Kreditvergabe übernahmen sie kurzer Hand das Ruder und in den Krisenjahren die Kreditvergabe in Eigenregie. Die Zentralbankgeldmenge wuchs dadurch mit einer Jahresrate von 27 Prozent. Das verhalf der Geldmenge M3 zu einem Anstieg um jährlich 10,5 Prozent und stabilisierte die Wirtschaft. Aber auch in den Jahren nach der Krise trieben die Zentralbanken das Wachstum der Zentralbankgeldmenge durch radikale Niedrigzinsen mit 9,6 Prozent pro Jahr bis Ende 2019 voran. Aufgrund der schwachen Kreditvergabe der Banken stieg die breite Geldmenge M3 allerdings nur noch mit einer Jahresrate von 2,8 Prozent und die Expansion des nominalen Bruttoinlandsprodukts knickte ein. Im Aufschwung von 2002 bis 2008 hatte das Trendwachstum noch 5,2 Prozent pro Jahr betragen. In den Jahren 2009 bis 2019 sank es auf 2,3 Prozent.

Die Absenkung der Zinsen vom Geld- bis zum Kapitalmarkt auf historisch einmalige Tiefstände und die Aufblähung der Zentralbankgeldmenge durch Wertpapierkäufe belastet die Zukunft auf zweifache Weise. Erstens haben die Niedrigzinsen die Wirtschaft inzwischen so deformiert, dass sie an Dynamik verloren hat und bei höheren Zinsen in die Depression fallen würde. Zweitens haben die billigen Kredite die Qualität der Bilanzen von Zentralbanken und Banken so unterminiert, dass diese bei höheren Zinsen oder einer Rezession einen lebensbedrohlichen Verlust an Eigenkapital erleiden würden. Die Folge davon ist, dass die Zentralbanker auch bei einem erneuten Aufflammen der Inflation die Zinsen nicht erhöhen können und die finanziellen Konsequenzen eines Abschwungs der Wirtschaft mit neuen Geldinjektionen neutralisieren müssen. Den vielfach beschworenen „Finanzcrash“ können sie so vielleicht verhindern. Wenn aber die Antwort auf jede Schwäche der Wirtschaft oder der Finanzmärkte eine neue Geldinjektion ist, dann stürzt am Ende der Geldwert ab und die Zentralbankgötter gehen doch noch im Weltenbrand unter.

Erschienen am 30. Januar 2020 in "Die Welt" online

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