20.09.2022 - Studien

Handelsbeziehungen zwischen China und Russland: Partnerschaft mit Grenzen

von Agnieszka Gehringer


Russlands Handelsverflechtungen aus der Vorkriegszeit

Die Handelsbeziehungen Russlands mit China haben in den letzten zehn Jahren stark zugenommen (Abbildung 1). Insbesondere der Anteil der russischen Exporte nach China an den gesamten russischen Exporten ist von 7 % im Jahr 2012 auf 15 % im Jahr 2020 und 14 % im Jahr 2021 deutlich gestiegen. Auch der Anteil der Einfuhren Russlands aus China an den gesamten russischen Einfuhren ist gestiegen, und zwar von 16 % im Jahr 2012 auf 25 % im Jahr 2021. Da auf Russland jedoch nur 2,8 % des gesamten chinesischen Handels entfallen, ist Russland stärker auf China angewiesen als China auf Russland.

Vor dem Krieg handelte Russland intensiv auch mit anderen Ländern als China (Tabelle 1). Unter den zehn wichtigsten Exportzielen Russlands im Jahr 2021 entfielen auf die Niederlande, Deutschland, das Vereinigte Königreich, Italien, die USA und die Republik Korea zusammen 30 % der gesamten russischen Exporte. Die gleiche Ländergruppe ohne des Vereinigten Königreichs aber plus Frankreich importierten im selben Jahr 31 % der gesamten russischen Einfuhren.

Infolge des Einmarsches in die Ukraine im Februar 2022 und der daraus resultierenden westlichen Sanktionen kam es zu seismischen Verschiebungen in den Handelsbeziehungen Russlands. Die sieben oben genannten Handelspartner reduzierten ihre Handelsbeziehungen mit Russland drastisch und hinterließen Lücken in den Lieferketten sowie in den Absatzmöglichkeiten für russische Produzenten. Während zum Beispiel die deutschen Exporte nach Russland im Januar und Februar 2022 noch über dem Niveau der entsprechenden Monate im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 lagen, brachen sie danach um fast 56 % ein (Abbildung 2).

Da es sich bei den russischen Exporten nach Deutschland überwiegend um Rohstoffe handelt und die Rohstoffpreise in die Höhe geschossen sind, war der Rückgang der Exporte weit weniger ausgeprägt als der der Importe, wobei der entsprechende Wert im Juli 2022 immer noch knapp über dem Monatsdurchschnitt 2018-2021 lag (Abbildung 3). Da sich Deutschland jedoch von der Abhängigkeit von russischen Energieimporten verabschieden will, ist der Trend eindeutig rückläufig. Zudem konzentrieren sich fast 80 % der deutschen Importe aus Russland auf mineralische Brennstoffe, für die Russland in letzter Zeit einen Lieferstopp verhängt hat. Entsprechend dürfte die Störung der bilateralen Handelsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland groß und dauerhaft sein.

Handel zwischen „Freunden“

Um die Lücken in seinen Handelsbeziehungen zu schließen, bemühte sich Russland verstärkt um den Ausbau der Beziehungen zu Ländern, die die russische Aggression gegen die Ukraine nicht offiziell verurteilt haben. Der stärkste Zuwachs fand mit China statt. Zwischen Mai und Juli 2022 lagen die russischen Exporte nach China im Durchschnitt um 52 % über dem entsprechenden Wert für 2018-2021 (Abbildung 4). Dieser beträchtliche Anstieg ist vor allem auf Öl- und Kohleexporte zurückzuführen und dürfte sich weiter beschleunigen, da China zusätzlich daran interessiert ist, Gaslieferungen zu absorbieren, die ansonsten für Westeuropa vorgesehen sind.

Chinas Exporte nach Russland liegen zwischen Januar und Juli 2022 ebenfalls über den Durchschnittswerten für 2018-2021 und werden wahrscheinlich auf hohem Niveau bleiben, was chinesischen Unternehmen eine einzigartige Gelegenheit bietet, das Vakuum zu füllen, das durch den Weggang westlicher Marken aus Russland entstanden ist (Abbildung 5).

Freundschaft "ohne Grenzen"?

Bei ihrem Treffen im Februar anlässlich der Olympischen Winterspiele in Peking erklärten die Staats- und Regierungschefs Russlands und Chinas, dass ihre Freundschaft "keine Grenzen" haben werde. Bei einem weiteren Treffen am 16. September 2022 am Rande der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Samarkand erklärte Chinas Präsident Xi Jinping, sein Land sei "bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten", um die "Kerninteressen" des jeweils anderen zu verwirklichen. Die gemeinsame Auffassung, dass die NATO und die USA eine offensichtliche Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen, hat die beiden Mächte im Laufe des Krieges näher zusammengebracht.

Gleichzeitig äußerten die indische und die chinesische Führung jedoch offene oder versteckte Kritik an Russlands Krieg gegen die Ukraine. Berichten zufolge sagte der indische Premierminister Modi zu Präsident Putin, dass "die heutige Zeit keine Ära des Krieges ist". Dies geschah, nachdem Putin in öffentlichen Äußerungen auf der Veranstaltung die "Besorgnis" von Chinas Präsident Xi über den Krieg anerkannt hatte.

Für China und Indien bedeutet die Unterstützung Russlands ein zunehmendes Risiko, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu vernachlässigen. Vor allem die militärische und technologische Unterstützung Russlands könnte westliche Sanktionen gegen sie nach sich ziehen. Die Tatsache, dass Peking und Neu-Delhi es bisher sorgfältig vermieden haben, gegen die westlichen Sanktionen gegen Russland zu verstoßen, zeigt, dass sie auf westliches Kapital und westliche Technologie angewiesen sind, um ihre weitere Entwicklung im In- und Ausland zu unterstützen. Die beiden asiatischen Mächte werden daher wahrscheinlich versuchen, sich ihre Optionen so lange wie möglich offen zu halten.

Für Russland dürften die wachsende Abhängigkeit von China und die anhaltende Dominanz Pekings in den bilateralen Beziehungen die wirtschaftlichen Risiken für die russische Wirtschaft erhöhen, sollten sich die chinesischen Interessen – aus welchen Gründen auch immer – gegen Russland wenden. Da aber Russland China mehr braucht als umgekehrt, wird Moskau eher als Peking bereit sein, diese Freundschaft als "grenzenlos" zu betrachten.

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