09.03.2021 - Kommentare

Inflationsnarrative bestimmen das Schicksal der Zentralbanken

von Pablo Duarte


"Die Inflation ist vorübergehend und die Zentralbanken haben sie unter Kontrolle" Vs. "Da die Zentralbanken die Geldmenge massiv erhöht haben, steht die Inflation vor der Tür". Das Schicksal der Zentralbanken wird davon abhängen, welches Narrativ gewinnen wird.

Das Thema Inflation hat in den vergangenen Wochen ein starkes Comeback erlebt. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob der jüngste Anstieg der Verbraucherpreise (wie z.B. in der Eurozone im Dezember und in Deutschland im Januar) und die steigenden Inflationserwartungen (z.B. die Breakeven-Inflationsrate) nur ein vorübergehendes Phänomen oder erste Anzeichen einer nachhaltigen Inflationsdynamik sind. Einige Ökonomen sehen in der Deflation die eigentliche Gefahr, andere verweisen auf die massive Ausweitung der Geldmenge und den stetigen Anstieg der Vermögenspreise als Anzeichen für eine zunehmende Wahrscheinlichkeit einer anhaltenden Verbraucherpreisinflation. Wird es wieder zu einer Inflation kommen? Die Antworten kommen vor allem aus zwei unterschiedlichen Erzählrichtungen.

Das "Output-Gap"-Narrativ

Das vor allem in akademischen Diskussionen und bei Zentralbanken vorherrschende Narrativ basiert auf der Vorstellung, dass in Rezessionen mit aggressiven monetären und fiskalischen Impulsen die aggregierte Nachfrage gesteigert und das BIP wieder auf sein Potenzial zurückgeführt werden kann, d.h. das " Output-Gap" geschlossen wird. Das Produktionspotenzial ist eine Schätzung des Produktionsniveaus, das erreicht werden würde, wenn Arbeit und Kapital mit ihrer maximalen tragfähigen Rate beschäftigt wären. Die Inflation würde nach dieser Ansicht zunehmen, wenn die Politik die Gesamtnachfrage "zu weit" anheben und das BIP über sein Potenzial treiben würde.

Den Anhängern dieses Narrativs folgend besteht jedoch kein Grund zur Sorge, denn es wird davon ausgegangen, dass die Zentralbanken in der Lage sind, die Inflation durch eine Straffung der Geldpolitik zu senken, ohne die wirtschaftliche Erholung zu gefährden. Solange die Inflationserwartungen verankert bleiben, besteht das größere Risiko darin, dass das reale BIP nicht zu seinem Potenzial zurückkehrt und eine Deflation (nicht Inflation) auftritt. Derzeit liegt das reale BIP in den USA und der Eurozone weit unter dem vom Congressional Budget Office (USA) bzw. von der OECD (Eurozone) geschätzten Potenzial und daher ist in der Output-Gap-Erzählung die Deflation das größere Risiko.

Unter denjenigen, die das Output-Gap-Narrativ vertreten, kreisen die Diskussionen in letzter Zeit um die Frage, ob die fiskalischen Stimuli zu klein oder zu groß sind. Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers äußerte beispielsweise die Sorge, dass das 1,9 Billionen USD schwere Pandemie-Hilfspaket in den USA das reale BIP über sein Potenzial hinaus treiben und einen Inflationsdruck verursachen könnte. Olivier Blanchard, ein ehemaliger Chefökonom des IWF, hat ähnliche Bedenken geäußert. Der Nobelpreisträger Paul Krugman dagegen glaubt, dass die Pandemiehilfe nicht mit einem traditionellen Konjunkturpaket verglichen werden kann. Die Output-Lücke sei ein ungeeigneter Maßstab für die Beurteilung von Katastrophenhilfsmaßnahmen, die sich in diesem Fall auf die Gesundheitspolitik konzentrieren sollen.

Die Fähigkeit der Zentralbanken zur Feinjustierung der Inflation ist ein wichtiger Baustein in der Output-Gap-Erzählung. Obwohl sie ihre Inflationsziele über viele Jahre verfehlt haben, sind die Zentralbanken nach wie vor zuversichtlich, dass sie einem Überschießen der Inflation entgegenwirken können. Eine steigende Inflation würde einfach signalisieren, dass der konjunkturbereinigte natürliche Zinssatz gestiegen ist. Die Leitzinsen würden einfach folgen, ohne Spannungen zu erzeugen. Da die Inflation über viele Jahre hinweg unter dem Inflationsziel lag, bestehe zudem nun die Möglichkeit, frühere Unterschreitungen auszugleichen. So hat die US-Notenbank angekündigt, dass sie Inflationsraten über dem 2 %-Ziel für unbestimmte Zeit tolerieren wird. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte, dass „...es noch eine Weile dauern wird, bis wir uns Sorgen um die Inflation machen“; und der Präsident der Deutschen Bundesbank Jens Weidmann sagte, die Priorität liege jetzt darin, „die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu bekämpfen“.

Das „monetaristische“ Narrativ von Inflation

In der „monetaristischen“ Sichtweise ist eine höhere Inflation das Ergebnis eines höheren Geldmengenwachstums. Der starke Anstieg der Geldmenge hat daher zu Sorgen über steigende Inflationsrisiken geführt.

Die liquide Geldmenge (money with zero maturity MZM) in den USA ist seit Januar 2020 um 30 % gestiegen, und das Geldmengenaggregat M1 (Summe aus Bargeldumlauf und Sichteinlagen) ist im Euroraum um 15 % gestiegen (Abbildung 2). Der Anstieg ging nicht mit einem vergleichbaren Anstieg der Nachfrage einher, die durch von der Regierung verhängten Lockdowns gedämpft wurde. Ein Teil der Geldliquidität hat die Nachfrage nach Vermögenswerten erhöht und die Vermögenspreise in die Höhe getrieben. Wenn die Pandemie abklingt und die Menschen zu ihrem normalen Leben zurückkehren, dürfte die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wieder anziehen. Das Angebot an Waren und Dienstleistungen müsste genauso stark steigen wie die Ausgaben, oder die Zentralbanken müssten überschüssige Geldbestände abziehen, wenn sie nicht wollen, dass "zu viel" Geld "zu wenige" Güter nachfragt. Wie der Ökonom Larry White erklärt, müssten die Zentralbanken in der Lage sein, die Entwicklung von Angebot und Nachfrage perfekt vorherzusehen, um diesen Prozess so zu steuern, dass die Inflation stabil bleibt.

Der Ökonom des Cato-Instituts, George Selgin hat kürzlich argumentiert, dass Prognosen einer höheren US-Inflation den Rückgang der Geldumlaufgeschwindigkeit und des Geldmultiplikators (Verhältnis von Geldmenge zur Geldbasis) ignorierten. Es stimmt zwar, dass diese Verhältnisse bis zur Pandemie im Trend gesunken sind, doch die starken Rückgänge seither spiegeln kaum Veränderungen in der Geldnachfrage und Geldschöpfung der Banken wider. Sie sind das Ergebnis der Zentralbankpolitik und werden kaum nachhaltig sein, wenn sich die Wirtschaft wieder normalisiert.

Die Vertreter des monetaristischen Narrativs sind nicht nur skeptisch, dass Zentralbanken in der Lage sind, eine Feinsteuerung der Geldpolitik vorzunehmen, sondern auch in Bezug auf ihren politischen Handlungsspielraum für eine geldpolitische Straffung, wenn normale Bedingungen zurückkehren. Die Staatsverschuldung stieg während der Pandemie massiv an, während die Zinssätze sanken. Dies wäre ohne die monetäre Finanzierung der Staatsverschuldung durch die Zentralbanken nicht möglich gewesen. Eine Rückführung der überschüssigen Liquidität durch den Verkauf der Staatsanleihebestände der Zentralbanken würde zu einem sprunghaften Anstieg der Zinssätze führen. Höhere Zinsen würden jedoch die Zahlungsfähigkeit vieler Kreditnehmer gefährden, die Preise von Vermögenswerten nach unten drücken und die Staatshaushalte in die Enge treiben. Eine weitere Finanzkrise könnte aufkommen und eine Rezession würde drohen. Die Regierungen würden dies wohl kaum tolerieren. Der Weg des geringsten Widerstands könnte daher eine steigende Inflation und von den Zentralbanken auf niedrigem Niveau gedeckelte Zinsen sein. Die Märkte beginnen, ein solches Szenario einzupreisen (Abbildung 3).

Lehren aus der Geschichte: Fiskalische Dominanz und Inflation

Historische Evidenz zeigt, dass "Haushaltsdefizite, die durch monetäre Expansion finanziert werden, tendenziell inflationär sind" (Bordo & Levy, 2021). In der Tat hat in allen Friedensszenarien von Inflation und fiskalischer Expansion der letzten zwei Jahrhunderte in den Industrieländern eine anhaltende Staatsverschuldung Druck auf die Zentralbanken ausgeübt, eine inflationäre Geldpolitik zu verfolgen. Die Zentralbanken standen unter „fiskalischer Dominanz".

Bei stagnierendem Wachstum motivieren finanzpolitische Vorteile für eine Interessengruppe andere Gruppen, ebenfalls Zugeständnisse zu verlangen. Die Gewährung von Vorteilen ist, wie Hirschman (1985) aus den lateinamerikanischen Erfahrungen schlussfolgerte, inflationär und führt dazu, dass die fiskalpolitischen Vorteile, für die die Interessengruppen gekämpft haben, weggewischt werden. Die USA und in noch größerem Maße die Eurozone haben sich kaum vom Konjunktureinbruch im Jahr 2020 erholt. Ohne Wachstum und mit den großzügigen sozialen Ausgleichsprogrammen, die mit Zentralbankgeld finanziert werden, könnten die Interessengruppen noch umfangreichere Kompensationen in Form von Lohnerhöhungen fordern. Es ist unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken in der Lage wären, dem daraus resultierenden Inflationsdruck entgegenzuwirken. Andy Haldane, Chefvolkswirt der Bank of England, zitierte kürzlich F.A. Hayeks Vergleich der Inflationskontrolle mit dem Fangen eines Tigers am Schwanz. Zu diesem Kunststück werden Regierungen und Zentralbanken wohl kaum in der Lage sein.

Referenzen

Bordo, M. D., & Levy, M. D. (2021). Do enlarged fiscal deficits cause inflation? The historical record. Economic Affairs, 41(1), 59-83.

Hirschman, A. (1985). Reflections on the Latin American experience. The politics of inflation and economic stagnation, 53-77.

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