12.02.2019 - Kommentare

Nord Stream 2 und Huawei

von Norbert F. Tofall


Die nicht ansatzweise Trennung von Staat und Wirtschaft in Russland und China führt dazu, daß ökonomische Projekte mit russischen und chinesischen Firmen keine rein ökonomischen, sondern immer auch – und oft sogar primär – politische Projekte sind.

Der aktuelle Streit in der Europäischen Union über das  Gasleitungsprojekt Nord Stream 2 und die politischen Konflikte um den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei haben die gleiche Ursache: Die nicht ansatzweise Trennung von Staat und Wirtschaft in Russland und China führt dazu, daß ökonomische Projekte mit russischen und chinesischen Firmen leider keine rein ökonomischen, sondern immer auch – und vielfach sogar primär – politische Projekte sind.

Hinter Gazprom steht die russische Regierung unter Wladimir Putin. Und hinter Huawei steht die chinesische Regierung unter Xi Jinping. Gazprom und Huawei sind zwar formal privatrechtlich organisierte Firmen. Da aber weder in Russland noch in China Eigentumsrechte wirksam gegen den Staat durchgesetzt werden können, werden die Unternehmensführungen von Gazprom und Huawei jeden Wunsch ihrer Länderregierungen erfüllen. Wie es Unternehmern und Unternehmenslenkern ergeht, die sich diesen Wünschen verweigern, kann für Russland am Schicksal von Michail Chordorkowski und seinem Ölkonzern Yukos und für China am zeitweise oder dauerhaften Verschwinden von Milliardären wie Zhou Chengjian, Guo Guangchang und anderen studiert werden.

Der Zugriff des Staates in Russland und China auf Unternehmer und Unternehmen als Mittel der Politik hat eine entschieden andere Qualität als die auch in westlichen Gesellschaften zu beobachtende Einflußnahme von Regierungen auf einzelne Unternehmer und Unternehmen. Die Angriffe der ungarischen Regierung auf den Milliardär George Soros sind zweifelsohne Grenzüberschreitungen, die sich viele private Investoren fragen lassen werden, ob sie bei einem vertieften ökonomischen und gesellschaftlichen Engagement in Ungarn nicht auch in den aggressiven Fokus der ungarischen Regierung gelangen könnten. Und die Angriffe von Donald Trump auf einzelne Unternehmen wie Harley Davidson, die sich der Trump’schen Wirtschaftspolitik einer Renationalisierung widersetzen, zeigen, daß Donald Trump die freiheitserhaltende Trennung von Staat und Wirtschaft ebenfalls mißachtet.

Da jedoch die Trennung von Staat und Wirtschaft in den westlichen Gesellschaften aufgrund der innerstaatlichen Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative schwieriger zu unterlaufen und letztlich nur bei Gleichschaltung der innerstaatlichen Gewaltenteilung und Abschaffung von Eigentumsrechten gänzlich auszuhebeln ist, besteht ein erheblicher qualitativer Unterschied zwischen ökonomischen Projekten, an denen Firmen aus freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten beteiligt sind, und Projekten, an denen Firmen aus Ländern beteiligt sind, die wie Russland und China freiheitlich-demokratische Rechtsstaaten als dekadent ablehnen. Hinter „Nord Stream 2“ und „Huawei“ steht deshalb ein Systemkonflikt zwischen Staaten und Staatenblöcken, den man am Ende des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation für überwunden gehalten hatte.

Das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) ist jedoch nicht eingetreten. Aus dem Ende des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation wurde vorschnell nicht nur eine sinkende Bedeutung militärischer Macht gefolgert, sondern es wurde auch angenommen, daß sich zukünftig das ökonomische und politische Handeln auf allen Seiten ohne Rücksicht auf nationale Grenzen entfalten würde.1

Dieser damals weitverbreiteten, sehr optimistischen Zukunftssicht widersprach bereits im Jahr 1990 Edward N. Luttwark in seinem Beitrag „From Geopolitics to Geo-Eco­nomics. Logic of Conflict, Grammar of Commerce“: Die internationalen Beziehungen seien nach wie vor primär durch Staaten und Staatenblöcke geprägt. Die Staaten und Staaten­blöcke erzielten Einnahmen, regulierten wirtschaftliche und andere Aktivitäten für un­terschiedliche Zwecke, zahlten staatli­che Leistungen aus und böten staatliche Dienst­leistungen an. Sie stellten Infrastrukturen be­reit und förderten  und finanzierten mit zu­nehmender Bedeutung die Entwicklung neuer Technologien und neuer Produkte oder würden diese anderweitig fördern. Als territoriale Einheiten könnten Staaten nicht einer kommerziellen oder ökonomischen Logik folgen, weil das ihre eigenen territoria­len Staatsgrenzen ignorieren würde. Staaten seien gezwungen, der Logik des Konfliktes zu folgen. Teil der Logik staatlichen Handelns sei immer die Logik des Konfliktes.2

Selbst wenn man das Fortbestehen bewaffneter Auseinandersetzungen in unglück­lichen Teilen dieser Welt und die Überreste des Kalten Krieges völlig außer Acht lassen würde, werde die Weltpolitik (World Politics) nicht der Weltwirtschaft (World Busi­ness) weichen, d.h. eines Welthandels, in welchem Inter­aktionen nur von der ökonomi­schen, nicht-territorialen und nicht-staatlichen Logik bestimmt werden.3

Stattdessen werde durch die Entstehung der Geoökonomik eine viel weniger vollstän­dige Transformation des staatlichen Han­delns und der Logik des Konfliktes stattfinden. Es werde sich, was im Jahre 1990 bereits beobachtet werden könne, eine Vermischung der „Logik des Konfliktes“ mit der „Grammatik des Kommerzes“ entwickeln oder – wie der preußische General Carl von Clausewitz (1780 – 1831) geschrieben hätte – eine Logik des Krieges in der Grammatik des Kommerzes.4

Die weltweite ökonomische und politische Entwicklung seit 1989/90 scheint die Prognose von Edward Luttwark aus dem Jahr 1990 zu bestätigen. Russ­land, China und die USA, aber auch viele andere Staaten, setzen den Außenhandel, Zölle, Energie, Rohstoffe, Zinsen, Kredite, Investitio­nen, Hilfspro­gramme und Sanktionen vermehrt als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mit­teln ein und folgen der Logik des Krieges in der Grammatik des Kommerzes. Der Einsatz von Handel, Zöllen, Energie, Rohstoffen, Zinsen, Krediten, Investitio­nen, Hilfspro­grammen und Sanktionen als politische Instrumente zur Verfolgung natio­naler Interes­sen und zur Gewinnung geopolitischer Vorteile wird von Robert D. Blackwill und Jennifer M. Harris als Geoökonomik definiert:

„Geoeconomics: The use of economic instruments to promote and defend na­tional interests, and to produce beneficial geopolitical results; and the effects of other nations’ economic actions on a country’s geopolitical goals.”5

Die Auseinandersetzungen um Nord Stream 2 und Huawei stehen beispielhaft für diese „neue“, wenn auch sehr alte Politik der Konfrontation zwischen Staaten und Staatenblöcken. Der Wettbewerb der Staaten und Staatenblöcke verstärkt sich zweifelsohne. Zu hoffen bleibt, daß sich gerade auf­grund des sich verstär­kenden Wettbewerbs der Staaten und Staaten­blöcke früher oder später Regeln und Regelsys­teme der Weltwirtschaft entwickeln, die Frei­heit und Wohl­stand für alle fördern und Globalisierung und Kapitalismus erhalten hel­fen.

 


1 Siehe Edward N. Luttwark: „From Geopolitics to Geo-Economics. Logic of Conflict, Grammar of Commerce”, in: The National Interest, No. 20, Summer 1990, S. 17 – 23, hier: S. 17.

2 Vgl. ebenda S. 18.

3 Vgl. ebenda S. 19.

4 Vgl. ebenda S. 19.

5 Robert D. Blackwill and Jennifer M. Harris: War by Other Means. Geoeconomics and Statecraft, Cambridge, Massachusetts, and London, England, (Harvard University Press) 2017, S. 20. Notabene: Der Begriff Geoökono­mik wird zwar immer populärer, es hat sich jedoch bislang keine allgemein anerkannte Definition durchgesetzt.

   

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