28.05.2020 - Kommentare

Steuerzahler in den Nordländern sollen Ausgaben in den Südländern finanzieren

von Thomas Mayer


Die Pandemie führt zu einer sektoralen Differenzierung der Wirtschaft. Klare Krisengewinner sind Unternehmen in der Technologie- und Pharmabranche, Verlierer Unternehmen in der Reise- und Tourismusbranche. Aber die Differenzierung geht über die Branchen hinaus. An den Aktienmärkten wird die Qualität von Unternehmen neu definiert. Waren früher günstige Bewertungen und hohe Dividendenrenditen (also „Value“) Trumpf, zählen heute die Wachstumsaussichten („Growth“). So beträgt der in Euro gemessene Gesamtertrag des auf „Value“ konzentrierten Aktienindex MSCI World (Mid & Large Cap) seit Beginn dieses Jahres rund Minus 20 Prozent. Der auf „Growth“ konzentrierte Index ist dagegen leicht gestiegen. Von dieser Differenzierung sind auch ganze Volkswirtschaften betroffen. So betrug der im S&P 500 in Euro gemessene Ertrag für US-Unternehmen seit Jahresbeginn rund minus 6 Prozent und die Aktien der im Nasdaq versammelten US-Unternehmen stiegen im Preis sogar um 9 Prozent. Dagegen fielen der deutsche und italienische Index DAX und FTSE Italia um 17 Prozent bzw. 27 Prozent. Das vor der Pandemie schon schwächelnde Europa mit seinen alten Unternehmen aus der alten Welt dürfte in der Gruppe der Industrieländer der größte Verlierer sein. Doch die Manager dieser Unternehmen sahnen weiter ab.

Unterschiede innerhalb Europas

Aber auch innerhalb Europas wachsen die Divergenzen. Die besonders vom Tourismus abhängigen südeuropäischen Länder, zu denen sich neuerdings auch Frankreich zählt, waren nicht nur von der Epidemie stärker betroffen, sondern werden auch künftig stärker an deren wirtschaftlichen Folgen leiden. Um die Zahlungsfähigkeit dieser Staaten im Euroraum sicherzustellen, hat die Europäische Zentralbank ihr Mandat weit über die in den Europäischen Verträgen festgelegten Grenzen ausgedehnt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Kompetenzanmaßung der EZB in seinem Urteil zum Kaufprogramm für Staatsanleihen (PSPP) gerügt. Das Pandemiekaufprogramm PEPP dürfte die dort aufgestellten Kriterien für eine Kompetenzüberschreitung der EZB noch deutlicher erfüllen.

Aushöhlung der Demokratie

Dessen ungeachtet haben der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Transferprogramm der Europäischen Union im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, das vor allem den Südländern – einschließlich Frankreichs – zu Gute kommen soll. Finanziert werden soll das Programm durch die Aufnahme von Schulden durch die Europäische Union, die von den EU-Ländern entsprechend ihren Anteilen am EU-Budget getilgt werden sollen. Unterm Strich heißt dies, dass die Steuerzahler in den Nordländern (darunter vor allem in Deutschland) Ausgaben in den Südländern finanzieren sollen. Vermutlich müssen darüber hinaus die osteuropäischen Länder noch bestochen werden, damit sie dem Vorschlag zustimmen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte dazu in einem Interview in der „Welt am Sonntag“ am 24. Mai: „Den Weg, diese Lösung innerhalb des engen europäischen Primärrechts zustande zu bringen, haben Frau Merkel und Herr Macron noch nicht aufgezeigt“. Aber er zeigte sich optimistisch, dass dies gelingen würde. Herr Schäuble weiß, dass das Europarecht zwar die Bürger bindet, aber der Politik kaum Grenzen setzt. Sie nutzt es, um das demokratische Selbstbestimmungsrecht der Bürger in den Nationalstaaten an eine von ihr abhängige europäische Bürokratie zu übertragen. Der Preis für diese Machtergreifung ist die Aushöhlung der Demokratie.

Kuschelklima im europäischen Volksheim

Die Bürger scheint das nicht zu stören. In den Zeiten der Pandemie finden sie großen Gefallen am staatlichen „Volksheim“ zur Nivellierung der Lebenschancen und Absicherung aller Lebensrisiken. Der Begriff stammt von dem schwedischen Politiker Per Albin Hansson, der das „Folkhemmet“ in einer Rede im Jahr 1928 so beschrieb:

„Das Fundament des Heims ist Gemeinsamkeit und Einverständnis. Im guten Heim gibt es keine Privilegierten oder Benachteiligte, keine Hätschelkinder und keine Stiefkinder. Dort sieht nicht der eine auf den anderen herab, dort versucht keiner, sich auf Kosten des anderen Vorteile zu verschaffen und der Starke unterdrückt nicht den Schwachen und plündert ihn aus. Im guten Heim herrschen Gleichheit, Fürsorglichkeit, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft. Auf das Volks- und Mitbürgerheim angewandt würde das den Abbau aller sozialen und ökonomischen Schranken bedeuten, die nun die Bürger in Privilegierte und Benachteiligte, in Herrschende und Abhängige, in Reiche und Arme, in Begüterte und Verarmte, in Ausplünderer und Ausgeplünderte teilen.“

Damit trifft Hansson den Geist unserer Zeit, in der sich die Bürger nach Sicherheit, Orientierung durch den Staat und wirtschaftlichem Ausgleich sehnen – am besten gleich auf europäischer Ebene. Den Reichen (Bürgern und europäischen Staaten) soll genommen, und den Armen (Bürgern und europäischen Staaten) soll gegeben werden, auf dass es allen gut gehe. Nach der Ernüchterung über den „real existierenden Sozialismus“ ist das europäische Volksheim nach altem schwedischem Muster die neue Utopie. Dumm nur, dass die Anhänger dieser Utopie vergessen haben, dass das schwedische „Folkhemmet“ ebenso gescheitert ist wie der sozialistische Staat. Beide brauchten jedoch Jahrzehnte bis sie am Ende waren. Das eröffnet Politkern, die den heutigen Zeitgeist bedienen, attraktive Karrierechancen. Die Zeche werden nicht sie, sondern unsere Kinder und Enkel zahlen müssen.

Erschienen am 27. Mai 2020 in WirtschaftsWoche (online)

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