16.06.2020 - Studien

Wenn Geld zum Instrument der Politik wird

von Marius Kleinheyer


Die deutsche Hyperinflation 1923 ist ein prägendes historisches Ereignis das heute als Warnung verstanden werden sollte. Wenn die Stabilität des Geldwerts politischen Zielen geopfert wird, droht der vollständige Zusammenbruch, nicht nur des Geldes, sondern der Gesellschaft.

Die Umstände zwischen 1914 und 1923 sind zwar grundsätzlich verschieden von allem, was heute absehbar ist, aber die prinzipiellen Mechanismen des Geldes und die Handlungsmotive der damaligen Akteure sind zeitlos. Wenn Geldscheine nur noch für das Tapezieren der Wohnung oder das Befeuern des Ofens gebraucht werden, ist das so extrem, dass es geradezu abstrus erscheint. Der Weg dorthin ist gepflastert mit opportunen politischen Entscheidungen.

Die deutsche Hyperinflation 1923 ist ein prägendes historisches Ereignis das heute als Warnung verstanden werden sollte. Wenn die Stabilität des Geldwerts politischen Zielen geopfert wird, droht der vollständige Zusammenbruch, nicht nur des Geldes, sondern der Gesellschaft. Die Umstände zwischen 1914 und 1923 sind zwar grundsätzlich verschieden von allem, was heute absehbar ist, aber die grundsätzlichen Mechanismen des Geldes und die Handlungsmotive der damaligen Akteure sind zeitlos. Wenn Geldscheine nur noch für das Tapezieren der Wohnung oder das Befeuern des Ofens gebraucht werden, ist das so extrem, dass es geradezu abstrus erscheint. Der Weg dorthin ist gepflastert mit opportunen politischen Entscheidungen. Zunächst ging es darum, die Gesellschaft auf ein gemeinsames „höheres“ Ziel auszurichten, den Kriegserfolg. Dann sollte die Loyalität der Deutschen und der soziale Frieden für die junge Weimarer Republik abgesichert werden. Und schließlich sollte Geld den passiven Widerstand während des „Ruhrkampfs“ finanzieren. Die harten Reparationsforderungen der Alliierten und die Unbestimmtheit der endgültigen Forderung schränkten die Handlungsoptionen massiv ein. Die Inflation erschien zwischen den zur Auswahl stehenden Übeln noch das erträglichste.  Die Wirkungen waren am Ende verheerend.

1923 markiert den Höhepunkt einer inflationären Entwicklung, die 1914 mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann. Als Maß für die Entwicklung der Geldentwertung in dieser Zeit ist die Entwicklung des Wechselkurses zum Dollar die geeignetste Größe (Tabelle 1). Eine Statistik der Lebenshaltungskosten ist tatsächlich selbst ein Produkt der Inflationszeit und liegen ab Februar 1920 vor (Tabelle 2).1

Die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft erfordert die Ausrichtung produktiver Leistungen einer gesamten Volkswirtschaft auf die unmittelbaren Zwecke der Kriegsführung. Das impliziert die Einengung des Zeithorizonts der Produktion auf den Konsum des Staates in Gegenwart und unmittelbare Zukunft. Um dieses Ziel zu ermöglichen, muss die Kriegsfinanzpolitik dafür sorgen, dass die Kaufkraft aus den Händen privater Haushalte und Unternehmen in die Hände des kriegsführenden Staates übertragen wird.2 In diesem Sinne bedeutet ein Krieg zwangsläufig das Ende einer stabilitätsorientierten Geldverfassung. Dieses Muster hat sich in der Geschichte immer wiederholt.

Der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts hat alle damals bekannten Dimensionen auch in Bezug auf die Staatsfinanzen gesprengt und kann damit auch als die Urkatastrophe für die Geldsysteme des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. 1914 war Deutschland überzeugt, dass der Krieg schnell gewonnen werden konnte. Der deutsch-französische Krieg 1871 dauerte sechs Monate und kostete etwa 1/6 des damaligen jährlichen Volkseinkommens. Er wurde am Ende mit der französischen Kriegsentschädigung in Höhe von 5 Mrd. Goldmark mehr als gut gemacht3. Der Erste Weltkrieg kostete am Ende 160 Mrd. Goldmark. Statt Reparationen zu erhalten, musste Deutschland sie bezahlen.

Das Deutsche Reich hatte zwar einen Kriegsschatz in Höhe von 120 Millionen Goldmark gebildet, der bis 1914 im Juliusturm gelagert wurde. Die Dimensionen des Krieges standen dazu aber in keinem Verhältnis. Hätte man den Schatz direkt investiert, wäre das Geld nach wenigen Tagen aufgebraucht gewesen. Stattdessen finanzierte sich das Deutsche Reich hauptsächlich über Kriegsanleihen und kurzfristige Verschuldung bei der Reichsbank, beziehungsweise im privaten Bankensystem. England hingegen finanzierte sich in viel größerem Ausmaß aus Steuereinnahmen.

Die Reichsbank spielte eine zentrale Rolle. Zunächst gab sie im Juli 1914 den Goldstandard auf. Papiergeld wurde nicht mehr in Gold getauscht. Stattdessen startete sie eine Propagandakampagne „Gold fürs Vaterland“, um an die gehorteten Goldmünzen zu kommen.  Die Reichsbank bot über Darlehenskassenscheine eine kurzfristige Verschuldung der öffentlichen Haushalte an, die eine effektive Umlenkung privater Ersparnisse hin zur Finanzierung des staatlichen Kriegsgeschehens versprach. Inflation wurde dabei bewusst herbeigeführt und diente als „monetäres Schmiermittel“, um den privaten Hortungstendenzen entgegenzuwirken und die Produktionstätigkeit aufrechtzuerhalten beziehungsweise zu steigern. Preissteigerungen sorgten zudem für die gewünschte Reduzierung des privaten Konsums. Durch die Inflation wurde den privaten Haushalten die Zugriffsmöglichkeit auf das Sozialprodukt eingeschränkt. Produktionskapazitäten wurden für die staatliche Nachfrage freigemacht.

Während des Krieges gab es die Erwartung, dass die Verlierer, England, Frankreich und Russland, für den Schaden aufkommen werden. Karl Helfferich, Staatssekretär im Reichsschatzamt und davor Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, verkündete im August 1915:

„Meine Herren, wie die Dinge liegen bleibt also vorläufig nur der Weg, die endgültige Regelung der Kriegskosten durch die Mittel des Kredits auf die Zukunft zu schieben, auf den Friedensschluss und auf die Friedenszeit. Und dabei möchte ich auch heute wieder betonen: Wenn Gott uns den Sieg verleiht und damit die Möglichkeit den Frieden nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Lebensnotwendigkeiten zu gestalten, dann wollen und dürfen wir neben allen anderen auch die Kostenfrage nicht vergessen.“4

Als der Krieg verloren ging, verschärften sich die Probleme der Regierung und verschlimmerte die Finanzlage offensichtlich. Der Kieler Matrosenaufstand am 3. November löste die November Revolution aus, die zum Sturz der Monarchie und zur Ausrufung der Republik führte. Das im Oktober 1918 eingeführte parlamentarische System war nicht durch die Bevölkerung, sondern auf Initiative der Heeresleitung zustande gekommen und wurde von den Revolutionären nicht akzeptiert. In der Bevölkerung gab es polarisierende Kräfte von links und rechts, die jeweils einen radikalen Gestaltungsanspruch geltend machten. Zur Umstellung von der Kriegs- auf die Nachkriegswirtschaft entschied man sich strategisch für Inflation als Katalysator für den Wandel. Man wollte durch steigende Preise den Unternehmergeist motivieren, gleichzeitig im Rahmen des Demobilisierungsprogramms Sozialausgaben erhöhen und damit die Bevölkerung kurzfristig ruhigstellen. „Die Inflation sollte den „großen positiven Effekt" haben, das republikanisch-parlamentarische System für die Zeit der Weimarer Republik zu sichern.“5

Statt der erhofften Zahlungen, die man nach dem Sieg einfordern wollte, forderten nun umgekehrt die Siegermächte Reparationen. Frankreich auf der einen, und England und Amerika auf der anderen Seite, waren in dieser Frage zerstritten. Während England und Amerika erkannten, dass zu hohe Entschädigungsforderungen für keine Seite sinnvoll waren, bestand Frankreich auf seinen Forderungen. Die französische Regierung wollte mehr als nur eine Wiedergutmachung für den entstandenen Schaden. Frankreich wollte, dass Deutschland sämtliche Kriegskosten trägt. In der Unordnung der deutschen Finanzen erkannte Frankreich eine Strategie, um die Zahlungen unmöglich zu machen. England und Amerika waren dagegen an einer Wiederbelebung des internationalen Handels interessiert und favorisierte daher einen Schuldenschnitt. Sie sahen dabei auch, dass Deutschland seine Exportbedingungen über den fallenden Wechselkurs verbessern musste und somit Arbeitslosigkeit im eigenen Land auf Kosten amerikanischer und englischer Arbeitsplätze verringerte.

Die USA war wegen der französischen Position nicht bereit, Frankreich die Kriegsschulden zu erlassen, was die Position von Frankreich nur verhärtete. Frankreich war gewillt, auch gegen den Widerstand Englands, die von ihm Deutschland auferlegten Schulden einzutreiben und schreckte auch vor einer Besetzung Deutschlands nicht zurück. Das führte 1923 zur Besetzung des Ruhrgebiets. Das Geflecht der internationalen Abhängigkeiten wurde von einem Journalisten treffend auf den Punkt gebracht: „The secret of the Ruhr must be sought in the Mississippi plain"6

Der Friedensvertrag von Versailles stieß bei den Deutschen über Parteigrenzen und gesellschaftliche Schichten hinweg auf Ablehnung. Die auferlegten Bedingungen waren verheerend. Deutschland sollte 13 Prozent seines Territoriums und zehn Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Das Land sollte sich entmilitarisieren. Die endgültige Höhe der Reparationszahlungen wurde offengelassen. Dieser Zustand wirkte wie ein Damoklesschwert über der Papiermark. Besonders empörend empfand man in Deutschland den Kriegsschuldparagraphen, der eine einseitige Verantwortung für den Ersten Weltkrieg den Deutschen zuwies.7 Der Vertrag erhöhte nicht nur die wirtschaftlichen Probleme, sondern verschärfte auch die politische Instabilität in der Weimarer Republik.

Die Weimarer Republik wollte einen neuen Staat gründen, der Demokratie in Deutschland durchsetzt und die Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Für diese hehren Absichten sollte die Loyalität der Menschen gesichert werden. So ehrlich oder auch gut gemeint das Ziel gewesen sein mag, es führte dazu, dass politische und soziale Erwägungen dem ökonomischen Sachverstand vorgezogen wurden. Das war die zentrale Ursache für das Abgleiten in die Inflation. Das Motto lautete: Sozialer Frieden um jeden Preis.

Die Reichsbank war bis 1922 nicht unabhängig und danach nicht willens, die Inflation aufzuhalten. Sie spielte technisch gesehen die wesentliche Rolle, dem Staat kurzfristige Kredite zu geben und die Geldmenge beliebig auszuweiten. Durch die Finanzpolitik des Deutschen Reichs und die Belastungen, die durch die Kriegsniederlage und den Versailler Vertrag von außen auf die Finanzlage einwirkten, hatte sie auch wenig Spielraum.

Offiziell verteidigte die Reichsbank die Auffassung der Regierung, dass die Geldmengenausweitung nur die Wirkung und nicht die Ursache der Geldentwertung darstellte. Nach dieser Interpretation lag die Hauptursache der Geldentwertung in der passiven Handels- und Zahlungsbilanz. Deutschland war für die Auslastung der Industrie und die Ernährung der Bevölkerung auf Importe angewiesen, wodurch die Nachfrage nach Devisen hoch war. Durch die Kriegsniederlage fielen Exportmöglichkeiten weg. Zum einen gingen rohstoffreiche Gebiete verloren, zum anderen wurden Kapitalanlagen und Vermögen im Ausland beschlagnahmt. Die Finanzmärkte verweigerten die Platzierung langfristiger deutscher Anleihen. Das einzige Land, das nachhaltig in Deutschland hätte investieren können, waren die USA. 1920 gewann allerdings Warren G. Harding die amerikanische Präsidentschaftswahl mit einer „America First“ Kampagne, die höhere Schutzzölle und Protektionismus beinhaltete. Mit der Hinnahme des Verfalls des Wechselkurses und steigender Inflation sollte auch der Verhandlungsdruck auf die Siegermächte hochgehalten werden, um sie von allzu strengen Reparationsforderungen abzubringen.

Aus vertraulichen Briefen der Reichsbank an die deutsche Regierung ergibt sich ein etwas anderes, von der offiziellen Darstellung abweichendes Bild. Tatsächlich sah die Reichsbank die Hauptgefahr für die deutsche Währung im Inland, und zwar in der Finanzpolitik des Reiches. Bereits einige Monate vor Kriegsende machte sie in einem Brief an den Reichskanzler auf die Gefahr für die deutsche Währung aufmerksam, die von den Schulden des Reiches ausging. Diese wurden auf 50-60 Mrd. Goldmark geschätzt. Die Reichsbank forderte die Reichsregierung nachdrücklich dazu auf, ein weiteres Anwachsen der Schulden zu stoppen und nach Beendigung des Krieges für einen möglichst schnellen Abbau zu sorgen, und zwar durch finanzpolitische Maßnahmen.8 Im März 1919 beklagte die Reichbank die „andauernde Vermehrung der papierenen Zahlungsmittel“9 und forderte grundlegende Reformen der Finanzpolitik und einen Verzicht auf Notenbankkredite.

Diese Ermahnungen ziehen sich durch die Kommunikation zwischen Regierung und Reichsbank bis 1921. Im Januar 1921 wurde Deutschland erstmals eine konkrete Höhe der Reparationszahlungen mitgeteilt: 226 Mrd. Goldmark, zahlbar in 42 Jahresraten, zuzüglich 12 % aller Exporte in diesem Zeitraum. Der deutsche Gegenvorschlag bot insgesamt 50 Mrd. Goldmark an, die als Grenze der Leistungsfähigkeit markiert wurden. Als Reaktion darauf besetzten alliierte französische und belgische Truppen am 8. März 1921 Düsseldorf und Duisburg. Die KPD versuchte die Unsicherheit zu nutzen und eine Revolution zu starten.

Im Londoner Ultimatum wurde die Summe schließlich auf 132 Mrd. Goldmark festgelegt und in A-, B- und C-Bonds unterteilt. Der C-Bond enthielt mit 82 Mrd. Goldmark den Großteil der Summe. Er sollte erst fällig werden, wenn Deutschland wieder in der Lage war, den Betrag zu zahlen. John Maynard Keynes war überzeugt, dass die Alliierten diesen Teil bald annullieren würden und ihn nur in das Abkommen geschrieben hätten, um die Summe größer erscheinen zu lassen. In Deutschland hatte der C-Bond aber eine demotivierende Wirkung. Die Botschaft: Falls es besser gehen sollte, greifen wir wieder zu.

Ende Mai 1921 wiederholte die Reichsbank die Ermahnung der äußerst bedenklichen Schuldenstände, räumte aber ein, dass es angesichts der außen- und innenpolitischen Situation des Landes, insbesondere der Reparationspolitik, keine realistische Möglichkeit für einen Kurswechsel mehr gäbe.

1922 sicherte auf Druck der Alliierten das Autonomiegesetz der Reichsbank Unabhängigkeit zu. Damit hatte sie die theoretische Möglichkeit, auch gegen den Willen der Reichsregierung die Geldmengenexpansion zu stoppen. Zu diesem Zeitpunkt war aber jeglicher Widerstand gebrochen. Die Reichsbank akzeptierte pflichtschuldig die Flut staatlicher Schatzwechsel und gab weiterhin Kredite an die deutsche Industrie.10 Selbst auf dem Höhepunkt der Inflation gab die Reichsbank den Kreditanforderungen des Staates nach, obwohl sie als Folge davon „eine gewaltige neue, das bisherige Maß weit übersteigende Zunahme der Inflation" erwartete. Aber sie könne sich „der Überzeugung nicht verschließen, dass es sich hier um die Erfüllung von Staatsnotwendigkeiten handelt“.11

Spätestens seit 1921 wurde deutlich, dass insbesondere die Franzosen auf die Einhaltung der strengen Reparationsforderungen bestanden. Der deutschen Seite war auch klar, dass im Zweifelsfalle der mäßigende Einfluss der Engländer und Amerikaner nicht ausreichen würde, um eine Entschuldung bzw. Abmilderung der Ansprüche durchzusetzen. Dass die Franzosen aber tatsächlich das Ruhrgebiet besetzen würden, galt als unwahrscheinlich. Der einflussreiche Unternehmer Hugo Stinnes erklärte 1922 im Auswärtigen Ausschuss prägnant:

„Was die jetzt geforderte Stilllegung unserer Notenpresse anbelangt, so dürfe nicht verkannt werden, dass in unserem Notendrucken eine Art Notwehr gegen die übertriebenen Forderungen des Versailler Vertrages läge. Zur Durchsetzung dieser Forderungen hätten die Franzosen als einziges Druckmittel die Drohung mit weiteren Okkupationen. Eine solche Okkupation brächte ihnen aber kaum einen Vorteil.“12

Auch John Maynard Keynes, der als umjubelter Ehrengast auf der Hamburger Übersee-Woche 1922 sprach, versicherte: „Ich glaube nicht, dass Frankreich seine Drohung, den Krieg wiederaufzunehmen, wahrmachen wird. (…) Das Vertrauen der Franzosen in die offizielle Reparationspolitik ist gründlich erschüttert. (…) Die Deutschen tun gut daran, kühl zu bleiben und sich nicht zu sehr zu beunruhigen.“13

Als Deutschland Ende 1922 statt der vereinbarten 13,8 nur 11,7 Millionen Tonnen Kohle lieferte, entschloss sich Frankreich zusammen mit Belgien am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet zu besetzen. Am 16. Januar hatten die französisch-belgischen Truppen die Kontrolle über das gesamte Ruhrgebiet bis nach Dortmund im Osten übernommen. Das Gebiet umfasste 4,25 Mio. Einwohner und schloss 72 Prozent der deutschen Kohleförderung, 54 Prozent der Roheisen- und 53 Prozent der Rohstahlproduktion ein.14

Die Franzosen beteuerten noch am Vorabend, dass es sich nicht um eine militärische Aktion handeln würde, sondern lediglich um eine Mission von Ingenieuren und Beamten. Die „begleitende Truppe“ umfasste insgesamt 100.000 französische und belgische Soldaten (und damit der Truppenstärke der deutschen Reichswehr), die mit Panzern, Artillerie und Maschinengewehren ausgestattet waren.

Die Regierung in Berlin hatte für diesen Schock kaum Vorbereitungen getroffen. Es waren weder Kohle noch sonstige Rohstoffe eingelagert worden. Auch finanziell war man nicht vorbereitet. Man befand sich gerade in den Verhandlungen zum 10. Nachtragshaushalt für 1920, der sich ausschließlich um die inflationsbedingte Gehaltserhöhung der Beamten kümmerte. Einen Plan, wie die massiven Kosten durch die Ruhrbesetzung zu tragen sein würden, wurde erst am 16. Februar 1923 beschlossen.

Der Ruhrbesetzung sollte mit passivem Widerstand begegnet werden. Die Reichsregierung ermahnte die Bevölkerung nur mit friedlichen Mitteln zu protestieren. So sollte keine Kohle mehr für die Alliierten gefördert werden. Auch die Reichsbahn sollte keine Lieferungen nach Frankreich durchführen. Die Franzosen reagierten darauf mit Härte und verhängten über das besetzte Gebiet das Kriegsrecht. Während der Besetzung wurden etwa 150.000 Zivilisten – Beamte, Eisenbahner, Polizisten, Angestellte der Bergwerke und Fabriken aus dem Ruhrgebiet ausgewiesen.

Die Berliner Regierung stand bereit, Unternehmer und Arbeiter gleichermaßen für die erduldeten Maßnahmen der Franzosen zu entschädigen. Den Unternehmern wurden die Löhne erstattet, die sie ihren untätigen Arbeitern weiterbezahlten, anfangs zu 60 Prozent später zu 100 Prozent. Außerdem wurde ihnen für die Produktions- und Gewinnausfälle großzügiger Kredit eingeräumt. Auch die Löhne der Angestellten der Reichsbahn, die ausgewiesen oder von den Franzosen nicht beschäftigt wurden, zahlte der Staat.

Die Menschen aus dem Ruhrgebiet hatten in dieser Zeit viel zu erdulden. Die Lohnfortzahlung der Regierung ohne Arbeit als Gegenleistung wurde von einigen aber auch als willkommenes Geschenk gesehen. Es verbreitete sich der Begriff „Cuno-Rente“, benannt nach dem damaligen Reichskanzler Wilhelm Cuno. Es gab auch Gerüchte, dass den Fabriken teilweise die Situation nicht ganz ungelegen kam. Ein britischer Journalist kommentierte:

„Siebzig Prozent der Schwerindustrie liegen still, große Teile der Koks- und Schmelzöfen sind erkaltet und die meisten von ihnen sind es nicht wert, wieder in Betrieb genommen zu werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass die deutschen Konzerne deswegen keine Träne vergießen. (…) Die Konzerne werden für die ausgekühlten Öfen vom Reich in Goldwerten bezahlt, die sie umgehend im Ausland investieren, wodurch sie zum weiteren Verfall der Mark beitragen.“15

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Widerstand, für den der Begriff „Ruhrkampf“ geprägt wurde, richtig oder falsch war. Am Ende kostete er eine Menge Geld, das nicht durch Warenproduktion oder Werte gedeckt war. Die Druckerpressen liefen rund um die Uhr.16 Und wie Tabelle 2 zeigt erwies sich der Ruhrkampf als Brandbeschleuniger für die letzte Phase der Hyperinflation.

Die Inflation hatte einen sehr viel größeren Effekt auf die Sozialstruktur in Deutschland als der Erste Weltkrieg.17 Einige wenige konnten in kürzester Zeit große Vermögen aufbauen, während über gesellschaftliche Schichten hinweg die Armut anstieg. Die Wirkungen der Inflation waren für die meisten Menschen verheerend, aber nicht für alle. Stark fremdfinanzierte Unternehmen und Hypothekenschuldner profitierten von der Geldentwertung. Schulden machen wurde eine der wichtigsten Regeln für gutes Management. Kreditbanken wurden zu einem wichtigen Instrument für Spekulanten.

Damit änderte sich unter der Inflation auch die Art, wie man reich wurde. Die großen Gewinner der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts waren Produzenten, deren Wettbewerbsvorteil auf Innovationen zurückgingen, wie zum Beispiel Krupp, Siemens oder Mannesmann. Ihr Wohlstand war Ausdruck einer allgemein gestiegenen Prosperität des Landes. Die großen Vermögen der Nachkriegszeit zwischen 1918 und 1923 bildeten sich durch Spekulationsgewinne. Diejenigen gewannen, die früher als andere die Mechanismen der Inflation erkannten und verstanden haben. Reichtum entstand auf Kosten der Verarmung anderer.

Gläubiger aller Art, Sparer und Investoren, die von festen Zinszahlungen abhingen, gehörten zu den Verlierern. Besonders hart betroffen war die Mittel- und die untere Oberschicht. Sie musste drastische Einbußen ihres Lebensstandards in Kauf nehmen. Auch Rentner litten unter der Situation.

Während man in Frankreich und England nach dem Krieg die Zinsen anhob und versuchte, die hohen Löhne der Kriegswirtschaft zu dämpfen, verfolgte Deutschland einen anderen Weg. Nicht die Sparer oder Anleihebesitzer sollten geschützt werden, sondern die Arbeiter, die ihr Geld schnell wieder ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln. Arbeitsplätze sollten sicher sein. Notfalls auch im aufgeblasenen Staatsapparat. Die Masse sollte zufrieden gestellt werden. Während in Frankreich durch die deflationäre Sparpolitik vor allem das Bildungsbürgertum (Akademiker, Juristen, Beamte) profitierte, gehörte diese Gruppe in Deutschland zu den klaren Verlierern. Die vermeintlich sicheren Anlagen wie deutsche Staatsanleihen oder Sparbriefe taugten nicht mehr zur Absicherung des Lebensstandards. Insbesondere die Investitionen in die Kriegsanleihen zahlten sich nicht aus. Aus diesem ökonomischen Absturz entwickelte sich ein vergiftetes politisches Klima. Das Dilemma der Politik war, dass auch eine solidere Finanzpolitik, die impliziert hätte, Reparationen leisten zu können, als Verrat interpretiert worden wäre.

Eine Chance, der Inflation zu entkommen boten Aktien, aber nicht ohne Risiko. Solange Unternehmen funktionierten und Produkte verkaufen konnten, passte sich die Bewertung an die Inflation an. Sebastian Haffner beobachtete in Berlin, wie die Inflationszeit die soziale Ordnung aufmischte:

„Den Jungen, Flinken ging es gut. Über Nacht wurden sie frei, reich, unabhängig. Es war eine Lage in der Geistesträgheit und Verlass auf frühere Erfahrungen mit Hunger und Tod bestraft, aber Impulshandeln und schnelles Erfassen einer neuen Lage mit plötzlichem ungeheurem Reichtum belohnt wurde. Der einundzwanzigjährige Bankdirektor trat auf wie ein Primaner, der sich an die Börsenratschläge seiner etwas älteren Freunde hielt. Er trug Oscar-Wilde-Schlipse, organisierte Champagnerfeste und unterhielt seinen verlegenen Vater.“18

Inflation ist kein Zufall, sondern Absicht. Unser Geldsystem ist auf die künstliche Ausweitung der Geldmenge ausgelegt. Wäre es anders, gäbe es keinen Grund das komplexe und ökonomisch kostspielige Zusammenspiel von Banken und Zentralbanken zur Schöpfung von Kreditgeld aufrechtzuhalten. Damals wie heute dient die Geldschöpfung der Staatsfinanzierung. Inflation soll die Wirtschaft schmieren. Die Geschichte zeigt aber, dass Geldschöpfung und Erzeugung von Inflation immer wieder außer Kontrolle gerieten.

Im Ruhrkampf wurde für die Wirtschaft ein „Lockdown“ verfügt und die daraus entstehenden Einkommensausfälle über die Notenpresse finanziert. Das erwies sich als Katalysator für die Hyperinflation von 1923. Heute verhängen wir Lockdowns zur Bekämpfung der Pandemie und finanzieren Einkommensausfälle wieder über die Notenpresse. In den USA stiegen die Wertpapierbestände der Federal Reserve von Mitte März bis Anfang Juni 2020 um 50 % und die liquide Geldmenge MZM um beinahe 20 %. Heute treibt die Geldschöpfung allerdings bisher nur die Vermögenspreise. Der US Aktienpreisindex S&P stieg in dieser Zeit um mehr als 40 %, während die Konsumentenpreise nachgaben. Doch dürfte der mit der Geldflut erzeugte Geldüberhang mit der Zeit seinen Weg in die Konsumentenpreise finden. Eine Hyperinflation wie nach den Zeiten des Ruhrkampfs ist nicht zu erwarten. Aber die Konsumentenpreise könnten über die Zielmarke der Zentralbanken hinaussteigen. Da die Zentralbanken angesichts der hohen Verschuldung der Staaten dann kaum mehr die Zinsen erhöhen können, dürfte das Vertrauen in die Kaufkraft des Geldes verloren gehen. Auch wenn der Absturz nicht so krass wie im Jahr 1923 ausfallen wird, dürfte er dennoch für viele Geldsparer schmerzhaft werden.


1 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin, S.15

2 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin.

3 Bis 1914 war die Reichsmark an Gold gekoppelt.

4 Verhandlungen des Reichstages, Bd. 306, S.224

5 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin.

6 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin.

7 Dass dies mehr die Fähigkeit von Kriegsgewinnern, die Geschichte zu schreiben, als den tatsächlichen Vorgängen entsprach zeigt Christopher Clark in „Die Schlafwandler“ (DVA 2014).

8 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin S.163

9  BA R 43 1/638, Bd. 1, Blatt 26 ff. Brief des Reichsbankdirektoriums an den Reichspräsidenten vom 31. März 1919, zitiert in Holtfrerich (1980) S.165

10 Frederick Taylor (2013) Inflation – Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines Deutschen Traumas, Siedler: München. S.209

11 BA R 43 1/632, Brief Reichsbankdirektorium an den Finanzminister vom 23. August 1923 zitiert in Holtfrerich 1980 S. 167

12 Carl-Ludwig Holtfrerich (1980) „Die deutsche Inflation 1914-1923“, Walter de Gruyter: Berlin.

13 Niall Ferguson (1995) Paper and Iron. Hamburg Business and German Politics in the Era of Inflation, 1897-1927, Cambridge S. 358f.

14 Frederick Taylor (2013) Inflation – Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines Deutschen Traumas S.238

15 Morgan Phillips Price (1999) Dispatches from the Weimar Republic, Versailles and German Fascism, S.159

16 Frederick Taylor (2013) Inflation – Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines Deutschen Traumas S.245

17 Constantino Bresciani-Turroni (1937) The Economics of Inflation, Sir Halley Stewart Publications: London.

18 Sebastian Haffner (2014) Geschichte eines Deutschen, Pantheon Verlag: München, S.57

 

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