30.09.2024 - Kommentare
Frankreich und Deutschland haben sowohl haushaltspolitische Probleme als auch instabile Regierungen, sollten aber eigentlich die Europäische Union führen und die Europäische Währungsunion und den Euro stabilisieren. Das ehemalige EU-Mitgliedsland Großbritannien hat nach Amtsantritt der neuen Labor-Regierung einen haushaltspolitischen Offenbarungseid geleistet, weiß aber selbst noch nicht genau, wie es fiskalpolitisch weitergehen soll. Japan, seit Jahren in einem Ausmaß verschuldet, das man selbst in der EU nicht kennt, hat Anfang August durch minimale Zinserhöhungen einen kurzzeitigen Crash des japanischen Aktienmarkts ausgelöst. Und die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP, die man bislang nur aus Kriegszeiten kannte.
Zudem erwecken die Fed, die EZB, die BoJ und andere Zentralbanken derzeit nicht glaubwürdig den Eindruck, daß ihr Handeln auf vorausschauenden geldpolitischen Konzepten beruht, weshalb „datenorientiert“ auf Sicht gefahren wird, das heißt: man stochert im Nebel. Gleichzeitig erklimmt der Goldpreis immer neue Rekorde.
Eine neue Finanzkrise wie 2007 und 2008 ist dennoch unwahrscheinlich. Denn nach dem Schock der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers stehen die Zentralbanken bereit, den Beginn jeder Krise schon im Keim zu ersticken. Dies zeigt das Beispiel des Banken-Runs auf die kalifornische Regionalbank Silicon Valley Bank im Frühjahr 2023. Die Federal Reserve flutete den Bankensektor mit Liquidität und Finanzministerin Janet Yellen gab eine Garantie für alle Bankeinlagen in unbegrenzter Höhe.
Daß ausgerechnet in Deutschland die fiskalpolitisch wackeligsten und verfassungsrechtlich fragwürdigsten Bundeshaushalte seit Jahren vorgelegt wurden, hatten selbst Gegner der Ampel bei ihrem Amtsantritt Ende 2021 nicht erwartet. Dabei ist Bundesfinanzminister Christian Lindner zugute zu halten, daß er die deutsche Schuldenbremse seit ihrem Wiederinkrafttreten verteidigt. Lindners gegenwärtige Probleme in der Fiskalpolitik begannen jedoch beim Regierungsantritt der Ampel, als er sich selbst als „Ermöglichungsminister“ bezeichnete und haushaltspolitische „Ermöglichungstricks“ hingenommen hat, die anschließend vom Bundesverfassungsgericht gestoppt worden sind.
Die deutsche Fiskalpolitik leidet nun an zwei grundlegenden Problemen:
Erstens glitt die gesamte Ausgabenpolitik der Ampel-Koalition in die falsche Richtung. Trotz Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 und trotz des 100-Milliarden-Sonderschuldentopfs für Verteidigungsausgaben ist der Bundeshaushalt bis heute nicht ausreichend auf die verteidigungspolitischen Herausforderungen umgestellt worden, die von Russlands Neoimperialismus ausgehen. Ausgaben für die grüne Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft und erhöhte Sozialausgaben stehen dem entgegen.
Zweitens konnte Deutschland seit Amtsantritt der Ampelregierung und der von ihr verfolgten Fiskalpolitik keine glaubwürdige europapolitische Position einnehmen, die innerhalb der Europäischen Union und der Eurozone konsequent auf Schuldenabbau und die Umstrukturierung der Staatshaushalte zugunsten höherer Verteidigungsausgaben ausgerichtet ist.
Daß ohne solide Staatsfinanzen militärische Fähigkeiten nicht aufrechterhalten werden können, scheint jedoch nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich verdrängt zu werden. Im Vergleich zum strategischen Versagen von Staatspräsident Emmanuel Macron erscheint die strategische Unbedarftheit der deutschen Ampelregierung aber als fast schon vernachlässigbar. Denn wie die neue von Präsident Macron ernannte Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Michel Barnier die verkündeten und durch das EU-Defizitverfahren geforderten Einsparungen im französischen Staatshaushalt ohne eigene Mehrheit im Parlament durchsetzen will, bleibt Macrons Geheimnis.
Emmanuel Macron hat zwar seit seinem Amtsantritt 2017 wichtige wirtschafts- und sozialpolitische Reformen durchsetzen können, hat die französische Staatsverschuldung jedoch nicht in den Griff bekommen. Deshalb hat er immer versucht, dieses Budgetbeschränkungsproblem auf die europäische Ebene zu verlagern, sei es durch Befürwortung einer lockeren Geldpolitik der EZB und insbesondere der EZB-Anleihekaufprogramme, sei es durch die Befürwortung neuer Schuldentöpfe auf EU-Ebene. Angesichts der haushaltspolitischen Probleme in Frankreich dürfte Macron diese Europapolitik mit noch mehr Nachdruck fortsetzen. Um die Unterstützung von Italien, das sich ebenfalls im EU-Defizitverfahren befindet, und anderer Euro-Südländer wird Macron dabei nicht lange bitten müssen.
Diese Politik der Schuldenverlagerung auf die europäische Ebene, die auch der ehemalige EZB-Präsident und ehemalige italienische Premierminister Mario Draghi in seinem Gutachten zum Zustand der EU vertritt, wird auf die Dauer die Finanzmärkte aber nur dann überzeugen, wenn ausreichend große andere Euroländer mit einer soliden Fiskalpolitik als Collateral dienen. Sollte Deutschland seine Schuldenbremse abschaffen oder zeitweise aussetzen, schrumpft das potentielle Collateral bereits. Und sollte eine neue Eurokrise offen ausbrechen, weil die Interessen der Euro-Nordländer und der Euro-Südländer immer weiter auseinanderklaffen und den Populisten von links und rechts in allen europäischen Staaten Zulauf bescheren, dann könnte das potentielle Collateral zusehends wegbrechen.
Darüber hinaus droht im Falle eines Wahlsieges von Donald Trump bei den Präsidentenwahlen am 5. November 2024 die schnelle Streichung der US-Hilfen für die Ukraine, was die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben in Europa nochmals massiv ansteigen lassen würde. Das fiskalpolitische Risiko der US-Präsidentenwahl ist für Europa nicht zu unterschätzen.
Sowohl Europa als auch den USA ist gemein, daß die Regierungen es nicht vermocht haben, die bei den Wählern beliebten Sozialleistungen dem Leistungsvermögen der Wirtschaft anzupassen (siehe Grafik).
Vor allem in Frankreich und in geringerem Maß in den USA wurde der Ausbau des Sozialstaats durch Neuverschuldung finanziert. In Deutschland haben die Regierungen von Angela Merkel aufgrund der von Finanzminister Wolfgang Schäuble streng bewachten Schuldenbremse diesen Ausbau durch Vernachlässigung der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen und der Verteidigungsfähigkeit finanziert. Der Ampelkoalition ist eine Korrektur dieser Politik mißlungen, da sie es nicht vermocht hat, die Prioritäten in den Staatsausgaben neu zu setzen. Nötig wären weniger Sozialausgaben, eine effektivere und effiziente Klima- und Energiepolitik und höhere Ausgaben für die Erneuerung der Infrastruktur und die Verteidigungsfähigkeit. Doch dafür war die Ampel bislang zu schwach. Und vor der kommenden Bundestagswahl wird sie dafür wohl kaum die nötige Stärke gewinnen.
Von den vor uns liegenden geopolitischen Herausforderungen wurden sowohl die Fiskalpolitiker der USA als auch der Europäische Union auf dem falschen Fuß erwischt. Inwieweit der gestiegene Goldpreis auf die Erwartung der monetären Finanzierung der Staatsverschuldung zurückzuführen ist, dürfte nur schwer zu berechnen sein. Daß der gestiegene Goldpreis aber gar nichts mit dem Staatsschuldenproblem in den USA und der Europäischen Union zu tun haben soll, ist unwahrscheinlich.
Die Unterdrückung einer Staatsschuldenkrise durch die Zentralbanken verlagert das Problem der übermäßigen Verschuldung vom Finanz- auf das Währungssystem. Die monetäre Finanzierung angeschlagener öffentlicher Schuldner durch die Zentralbanken (monetäre Staatsfinanzierung) könnte das Vertrauen in das Fiat-Kreditgeldsystem zerstören.
Dieses System entstand mehr oder weniger zufällig, als US-Präsident Nixon 1971 die Bindung des US-Dollars an Gold aufhob, welche das Rückgrat des 1944 geschaffenen Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse bildete. Nixon wollte den Abfluß von Goldreserven eindämmen. Frankreich und Großbritannien hatten Kriegsschiffe mit Dollarreserven in die USA entsandt, um diese in Gold umtauschen zu lassen. Bevor diese Schiffe in den USA ankamen, hatte Nixon mit einer Erklärung vor laufenden TV-Kameras den Gold-Dollar-Standard für beendet erklärt. Vermutlich ohne die vollen Konsequenzen zu verstehen, beseitigte Nixon damit den materiellen Anker des Geldes und überließ es den Geschäftsbanken unter der Leitung der Zentralbanken, Geld durch Kreditvergabe zu schaffen.
Die manchmal mehr und oft weniger umsichtige Geldpolitik der Zentralbanken in den letzten Jahrzehnten hat es diesem System ermöglicht, über Jahrzehnte zu überleben. Das Fiat-Kreditgeldsystem hat jedoch auch zu einer enormen Verschuldung sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor, zur Finanzialisierung der Wirtschaft und zum wiederholten Auftreten von Kredit-Boom-Bust-Zyklen geführt. Obwohl Bitcoin während der Großen Finanzkrise als Alternative dazu geschaffen wurde, hat das Fiat-Kreditgeldsystem überlebt und steht nach wie vor fest da. Doch weitere Runden der Geldschöpfung in großem Stil zur Vermeidung von Staatsschuldenkrisen können sowohl disruptiv als auch schrittweise zum Untergang des Fiat-Kreditgeldsystems führen.
22.08.2024 - Wirtschaft & Politik
18.07.2024 - Wirtschaft & Politik
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