20.08.2021 - Kommentare

Afghanistan und China? Ehe, Lebensabschnitts-partnerschaft oder One-Night-Stand?

von Norbert F. Tofall


Die Taliban haben die westlichen Streitkräfte in Afghanistan nicht besiegt, sondern erst nach Abzug der westlichen Armeen das Land übernommen. Die Taliban haben auch nicht die afghanische Armee und die afghanische Regierung besiegt. Die afghanische Armee hat von wenigen Ausnahmen abgesehen gar nicht gegen die Taliban gekämpft, was die Vermutung nahelegt, daß es spätestens seit der Offensive der Taliban weitreichende Absprachen zwischen den Taliban und afghanischen Militärs und Regierungsbeamten gegeben hat. Die Ursache für diese kampflose Übernahme Afghanistans durch die Taliban hat einen Namen: Donald Trump.

Donald Trump hatte seit 2018 mit den Taliban in Doha verhandelt und im Doha-Abkommen vom Februar 2020 den bedingungslosen Abzug der US-amerikanischen Truppen und ihrer Alliierten zugesagt. Der Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan war zwar spätestens seit der Liquidierung von Osama bin Laden am 2. Mai 2011 überfällig; ein Deal mit den Taliban und ein bedingungsloser Abzug, der nicht mit der gewählten Regierung Afghanistans vereinbart, sondern einer islamistischen und militaristischen Gruppe zugesagt wurde, war jedoch eine politische Torheit sondergleichen, die allerdings typisch für Donald Trump ist, der auch in vielen anderen außenpolitischen Fragen (Nord-Korea, Syrien, Infragestellung von NATO-Bündnisverpflichtungen etc.) die Macht der USA unterminiert hat.1 Spätestens seit Februar 2020 mußte jeder Bataillonskommandeur der afghanischen Armee und jeder leitende Provinzbeamte am Hindukusch sich selbst fragen, wieso sie nach einem westlichen Truppenabzug noch Widerstand gegen die Taliban leisten sollen, während die USA mit ihnen bereits im Februar 2020 einen Deal eingegangen sind. Ist es da nicht sinnvoller, zu gegebener Zeit selbst Deals mit den Taliban einzugehen? Und wieso soll man die Führungsoffiziere der westlichen Geheimdienste systematisch darüber informieren? Der Westen ist schließlich bedingungslos raus.

Nun meinen Russland und China und selbst der Iran aus dieser Situation Kapital schlagen zu können. Der neue iranische Präsident Ebrahim Raisi äußerte sich bereits dahingehend, daß Iran zur Zusammenarbeit mit Russland und China bereit sei, um Frieden und Stabilität in Afghanistan zu sichern. Auf der offiziellen Website des iranischen Präsidenten wird berichtet, daß der iranische Präsident in Telefonaten mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Russlands Präsidenten Wladimir Putin ausgeführt habe, daß sich der Iran auch für die Entwicklung, den Fortschritt und den Wohlstand in Afghanistan einsetzen wolle und zu jeglicher Kooperation bereit sei, um Frieden und Ruhe in Afghanistan durchzusetzen.

Daß eine Kooperation zwischen Russland, China und Iran auf pragmatischer Grundlage möglich erscheint, um sich die geopolitische „Beute“ Afghanistan gemeinsam einzuverleiben, mag sicher richtig sein. Ob jedoch eine „gemeinsame“ Kooperation dieser drei diktatorisch regierten Staaten mit Afghanistan oder genauer: mit den Taliban zustande kommen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Beziehungen zwischen Iran und den Taliban sind seit dem Überfall des iranischen Konsulats in Masar-i-Scharif im Jahr 1998 belastet. Die Taliban hatten damals mehrere iranische Diplomaten getötet, weshalb es fast zu einem Einmarsch iranischer Truppen in Afghanistan gekommen wäre. Und die Beziehungen zwischen Russland und den Taliban sind noch erheblich mehr belastet. Der afghanische Befreiungskampf von sowjetischer Besatzung dürfte noch lange nicht vergessen sein. Eine Zusammenarbeit zwischen den Taliban und China erscheint in dieser Lage am wahrscheinlichsten.

Aber wäre eine Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und China eine auf Dauer angelegte Ehe, eine Lebensabschnittspartnerschaft oder gar nur ein One-Night-Stand? Daß China im Rahmen seiner Neuen-Seidenstraße-Strategie allgemein das Interesse verfolgt, seinen geopolitischen Einfluß auszubauen, muß nicht näher ausgeführt werden. Und daß China das spezielle Interesse verfolgt, die afghanischen Rohstoffvorkommen auszubeuten, liegt auch auf der Hand. China dürfte jedoch mitnichten chinesische Truppen zur Sicherung von „Frieden und Stabilität“ nach Afghanistan entsenden.

Die Ausbeutung von Rohstoffvorkommen ist indes eine langfristige Investition. Kurzfristig rechnen sich Investitionen in diesem Bereich nicht. Erfolgreich können derartige Investitionen nur sein, wenn in Afghanistan dauerhaft „Frieden und Stabilität“ herrschen und die Gefahr minimiert wird, daß diese Investitionen in Bürgerkriegen oder Guerillakämpfen untergehen. Die Taliban sind zwar in den letzten Tagen und Wochen kampflos an die Macht gekommen, ob sich in den kommenden Wochen und Monaten aber nicht doch ein Bürgerkrieg in Afghanistan und oder zumindest bewaffneter Widerstand gegen die Taliban entwickelt, ist vollkommen offen. Im Pandschschir-Tal im Norden von Kabul sammeln sich bereits Truppen, die zum Kampf gegen die Taliban bereit sein sollen. Frieden und Stabilität sind in Afghanistan noch lange nicht gesichert.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie lange eine pragmatische Zusammenarbeit zwischen Steinzeit-Islamisten wie den Taliban und der technokratischen Modernisierungsdiktatur China überhaupt halten kann. Den Taliban ist der eigene Glaube wichtiger als die Entwicklung und Modernisierung des eigenen Landes. Deshalb dürften den Taliban letztlich die eigenen Glaubensbrüder der Uiguren in den chinesischen Lagern auch wichtiger sein als eine Zusammenarbeit mit China. Es gab in den letzten Wochen und Monaten zwar Gespräche zwischen den Taliban und der chinesischen Regierung, bei denen es den Taliban vermutlich um die Finanzierung der eigenen Machtsicherung geht. Und daß China wohl bereit sein wird, Anschubfinanzierung in Form von Krediten zu gewähren, die durch Versprechen auf Rohstoffausbeutung abgesichert werden, ist auch wahrscheinlich. Aber wie lange wird ein solcher Vertrag halten? Wenn sich die Taliban so ändern sollten wie die KPCh unter Deng Xiaoping zwischen 1978 und 2012 und das in kürzester Zeit, dann könnte ein derartiger Deal zwischen den Taliban und China langfristig aufgehen. Einstweilen ist das jedoch unrealistisch. Ein One-Night-Stand ist wahrscheinlicher, und eine Lebensabschnittspartnerschaft wäre für China schon ein Erfolg.  


1  Siehe Norbert F. Tofall: Donald Trumps weltweiter Furor. Doch eine komplexe Welt läßt sich nicht durch Furor und Befehle steuern, Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 27. April 2018, wo ausgeführt wird, daß Trumps Manie, komplexe Systeme durch Befehle und Anordnungen steuern zu wollen, außen-, sicherheits- und handelspolitisch die Machtstellung der USA bereits 2018 unterminiert hat; online unter: www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/donald-trumps-weltweiter-furor/

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