11.01.2021 - Kommentare

Aufruhr als Geschäftsmodell

von Norbert F. Tofall


Mit seinem destruktiven Clodius-Pulcher-Politikstil war Donald Trump der bislang größte Nutznießer der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung in den USA. Und obwohl er diese Polarisierung in seiner Präsidentschaft weiter angeheizt und bis zum gewaltsamen Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 getrieben hat, war Donald Trump nicht der ursprüngliche Verursacher dieser politischen und gesellschaftlichen Polarisierung. Ohne die sich seit zwei Jahrzehnten immer mehr verstärkende Polarisierung in den USA hätte ein Charakter wie Donald Trump nicht die geringste Chance gehabt, 2016 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt zu werden. Und im November 2020 wäre er wohl wiedergewählt worden, wenn er in der Corona-Krise nicht vollkommen versagt hätte. Donald Trump war jedoch nicht der erste und wird nicht der letzte politische Krawallunternehmer gewesen sein.

I.

Der Sturm eines gewalttätigen Mobs auf das Kapitol in Washington am Ende von Präsident Trumps Amtszeit erinnert an das Ende eines anderen Populisten und Krawallunternehmers. Der römische Volkstribun Clodius Pulcher (92 v. Chr. – 52 v. Chr.) setzte gezielt Gewalt und Straßenkämpfe zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der politischen Institutionen ein. Aufruhr, Furor und Krawall waren das politische Geschäftsmodell von Clodius Pulcher, mit dem Macht und Herrschaft gewonnen werden sollten. Aufruhr, Furor und Krawall gehörten zur „popularis ratio“, zur populistischen Methode. Nachdem nun Clodius Pulcher von Titus Annius Milo und seinen Leuten im Verlauf einer Straßenschlacht am 18. Januar 52 v. Chr. auf der Via Appia außerhalb der Stadtmauern Roms getötet wurde, schichteten die Anhänger von Clodius in der Curia Hostilia, einem Versammlungsort des römischen Senats, alle Holzbänke zu einem Scheiterhaufen auf, um den Leichnam von Clodius zu verbrennen. Das Feuer war dabei so gewaltig, daß gleich das ge­samte Senatsgebäude abbrannte.

Die Zeit von Gewalt und Straßenkämpfen war damit jedoch nicht vorbei. Der eigentliche Bürgerkrieg sollte mit dem Überschreiten des Rubikons durch Julius Cäsar am 10. Januar 49 v. Chr. erst beginnen und wurde durch seine Ermordung am 15. März 44 v. Chr. nicht beendet, sondern weiter angefacht. Der Bürgerkrieg dauerte bis 30 v. Chr. und kostete unzähligen Menschen das Leben. Die politischen Institutionen der römischen Republik bestanden nur noch als Hülle fort, um die Alleinherrschaft von Augustus zu bemänteln. Die römische Republik war untergegangen.

Der Untergang der römischen Republik ist zu einem erheblichen Teil auf die „popularis ratio“, die populare oder populistische Methode, zurückzuführen. Die „popularis ratio“ ist jedoch in der Regel nur in politischen Situati­onen und Konstellationen erfolgreich, in denen über längere Zeiträume hinweg

  • Lösungen von drängenden Pro­blemen verschleppt worden sind,
  • der Wettbewerb um die besseren Problemlösungen unterdrückt wurde
  • und bestehende Regeln, Gesetze und Sitten gebrochen wurden,

um den Status quo der herrschenden Interessen aufrechtzuerhalten.1 Die Angst der herrschenden Eliten, Veränderungen zuzulassen, läßt in der Gesellschaft das Bedürfnis auf Veränderungen um jeden Preis wachsen. Denn die realen Probleme und die sich kumulierenden Problemverschleppungen lassen sich trotz aller „politisch korrekten“ Tabus, öffentlicher Sprechverbote und durch die Mainstream-Medien verbreiteten Narrative nicht dauerhaft unter den Teppich kehren. Für Populisten wie Clodius Pulcher und Donald Trump ist es deshalb mehr als einfach, Sachthemen und reale Probleme zu Vehikeln im Kampf gegen die herrschenden Eliten und für Veränderungen um jeden Preis umzufunktionieren. Es müssen dazu lediglich die von den herrschenden Eliten aufgebauten „politisch korrekten“ Tabus, die öffentlichen Sprechverbote und die durch die Medien verbreiteten Narrative frontal angegriffen und außer Kraft gesetzt werden, was angesichts der realen Probleme und Problemverschleppungen auch problemlos möglich ist.

In der durch Polarisierung durch Problemverschleppung geprägten US-amerikanischen Politik und Gesellschaft konnte Donald Trump deshalb leicht zum Meister der Demaskierer auflaufen, um sich darauf aufbauend als Diffamierer, dem jede Lüge von seinen Anhängern nicht als Lüge angekreidet wird (Beispiel Wahlfälschung), weiterzuentwickeln und um auf diese Weise grenzenlosen Furor und Krawall zu entfachen. Donald Trump kennt aufgrund seiner langjährigen Medienerfahrungen die Prozesse, durch welche mimetischer Furor entfacht werden kann, und weiß deshalb genau, daß sich die wütenden Massen nicht gegen ihn richten werden. Die bereits existierende gesellschaftliche Polarisierung ermöglichte es ihm immer wieder und nicht nur am 6. Januar 2021, den ersten Stein zu werfen, obwohl er selbst Teil des Establishments ist. Trump weiß, daß er durch die öffentliche Zurschaustellung der eigenen Verruchtheit und Schamlosigkeit den Applaus der wütenden Massen erntet. Denn die wütenden Massen dürsten danach, daß ihnen jemand bestätigt, daß es da oben genauso verrucht zugeht, wie sie schon immer vermutet haben.

Und genau deshalb dürften mit der Abwahl von Donald Trump und der Machtübernahme von Joe Biden am 20. Januar 2021 Trump und der Trumpismus noch nicht am Ende sein. Die eigentlichen Kämpfe könnten erst noch vor uns liegen. Selbst falls Trump in einem zweiten Impeachmentverfahren oder in weiteren Gerichtsverfahren dazu verurteilt werden sollte, kein öffentliches Amt mehr ausüben zu dürfen und ihm deshalb eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2024 verwehrt wird, dürfte er als politische Ikone weiterleben.

II.

Inwieweit die politische Ikone Trump machtpolitische Wirkungen entfalten kann, wird nicht nur davon abhängen, wie viele seiner bisherigen republikanischen Anhänger sich aufgrund des Sturms auf das Kapitol von ihm abwenden werden. Wenn wirklich ca. 50 Prozent der Anhänger der Republikaner im Sturm auf das Kapitol keinen Grund sehen, sich von Trump abzuwenden, wie einige Umfragen behaupten, dann könnte Trump den USA nicht nur als politische Ikone, sondern unter Umständen sogar als aktiver Krawallunternehmer erhalten bleiben. Er könnte den „Aufruhr als Geschäftsmodell“ von einer eigenen Medienplattform aus betreiben, weil Millionen seiner Anhänger dafür zahlen. Aber vielleicht gelingt es auch einem neuen Krawallunternehmer, die Anhänger von Trump hinter sich zu vereinen. Die politische und gesellschaftliche Polarisierung in den USA wird auf jeden Fall nicht einfach dadurch verschwinden, indem ein neuer Präsident an die Einheit der Nation appelliert. Zur Verringerung der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung sind überparteiliche Taten notwendig, durch welche reale Probleme gemeinsam von Demokraten und Republikanern gelöst und nicht weiterhin verschleppt werden.

Da der neue US-Präsident Joe Biden einerseits die „Sandinistas“ in der Demokratischen Partei kleinhalten und andererseits mit geänderten Mehrheitsverhältnissen in Senat und Repräsentantenhaus nach den nächsten Zwischenwahlen im November 2022 rechnen muß, wäre der Aufbau überparteilicher Zusammenarbeit und das Bauen von Brücken zu den Republikanern trotz der derzeitigen demokratischen Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus in seinem Interesse. Im US-amerikanischen politischen System werden aufgrund der Checks and Balances überparteiliche Koalitionen benötigt, um Problemverschleppungen beenden und notwendige Strukturreformen beschließen zu können. Sollte es Joe Biden hingegen nicht gelingen, tragfähige Brücken zwischen Republikanern und Demokraten zu bauen, dann dürften die Krawallunternehmer beider Seiten, die Trumpisten und die Sandinistas, freie Bahn haben und damit die Polarisierung in den USA weiter anheizen. Die bisherigen Auseinandersetzungen wären dann nur das Vorspiel einer sich verstetigenden Krise gewesen.

Donald Trump war nicht der erste und wird nicht der letzte politische Krawallunternehmer in den USA gewesen sein. Der „Aufruhr als Geschäftsmodell“ wird jedoch nur dann weiter erfolgreich sein, wenn die Chancen zur Beendigung der „Polarisierung durch Problemverschleppung“ nicht schnellstens von Republikanern und Demokraten ergriffen werden. Sollte diese Chance jetzt genutzt werden, dann hätte der Sturm auf das Kapitol eine von Trump nicht gewollte positive Folge gezeitigt.


1 Siehe Norbert F. Tofall: Was ist Populismus?, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 9. Dezember 2016.

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