25.01.2023 - Kommentare

Das politische Geschäft mit der Armut

von Marius Kleinheyer


Die kapitalismuskritische Entwicklungsorganisation Oxfam hat sich wieder einmal für eine konfiskatorische Besteuerung von reichen Menschen auf der ganzen Welt ausgesprochen. Den ärmsten Menschen wird auf diese Weise nicht geholfen.

Pünktlich zum Weltwirtschaftsgipfel in Davos hat die kapitalismuskritische Entwicklungshilfeorganisation Oxfam ihre Studie „Survival of the Richest“ publiziert. Die Botschaft lautet: Damit es den ärmsten Menschen der Welt besser geht, muss den reichsten eine konfiskatorische Steuerlast auferlegt werden. Oxfam scheut sich dabei nicht vor der Forderung zurück, Milliardäre ganz abzuschaffen. „Every billionaire is a policy failure.“1 Die NZZ kommentierte, dass Oxfams Analyse der Reichen “zunehmend obsessive Züge” zeigt.2 Der populistische Sprachduktus gehorcht den Gesetzen der politischen Stimmungsmache, aber das dahinterliegende Denkmuster ist weit verbreitet. Dabei wird übersehen, wie wichtig Kapitalakkumulation, Unternehmensgewinne und Freihandel im Rahmen einer rechtsstaatlichen Ordnung für die Entwicklung der Gesellschaft sind.

Wie argumentiert Oxfam?

Oxfam stellt richtigerweise fest, dass wir in einer Zeit multipler Krisen leben. In der Tat ist die globale extreme Armut zum ersten Mal seit über 25 Jahren wieder angestiegen. (Grafik 1) Auch richtig ist, dass es in Krisenzeiten wirtschaftliche Gewinner gibt. Als konkretes Beispiel erwähnt die Oxfam-Studie die Hersteller eines wirksamen Impfstoffes gegen Covid 19.

Eine weitergehende Analyse über die Ursachen findet aber nicht statt. Dafür wird zum Rundumschlag ausgeholt. Die Tatsache, dass es sehr reiche und sehr arme Menschen auf der Welt gibt, führt zu folgender Behauptung: “It is a system that continues to work very well indeed for a small group of people at the top - predominantly rich, white men based in the global north.”3 Auch eine nähere Beschreibung dieses “Systems” fehlt. Man kann nur vermuten, dass die Autoren damit den “bösen Kapitalismus” meinen.

Für dessen Bösartigkeit wird ein vermeintlicher Beleg angeführt, der beispielhaft für die Botschaft ist: Während Elon Musk mit einer effektiven Steuerrate von 3,27 Prozent zwischen 2014 und 2018 belastet worden sei, müsste Aber Christine, eine Reishändlerin aus dem Norden von Uganda 40 Prozent ihrer Einkünfte, etwa 80 Dollar im Monat als Gebühr abführen, um auf dem lokalen Markt ihren Stand aufbauen zu dürfen. Dieser Vergleich wird gleich dreimal im Bericht erwähnt. Zwei Mal direkt in der Executive Summary und weiter hinten mit Fotos der beiden nebeneinander.4

Der pauschale Vorwurf lautet, Reichtum wird durch Lobbyismus, Steuerbetrug oder Steuerflucht erzeugt. Dazu zählt nach Meinung der Autoren auch der Aufbau und das Wachstum eines Unternehmens, da hier steuerliche Regeln zu großzügig seien. Die höhere Besteuerung soll nicht nur die Ungleichheit direkt bekämpfen, sondern auch indirekt, in dem der Handlungsspielraum für Regierungen erweitert wird.

Die weltweite Besteuerung reicher Menschen ist laut Oxfam die Voraussetzung, um Ungleichheit zu bekämpfen. Deshalb werden vier Maßnahmen gefordert:5

  1. Einführung einer einmaligen solidarischen Vermögenssteuer und einer Unternehmenssteuer auf Gewinne, sowie einer deutlich höheren Besteuerung von Dividendenausschüttungen, um Krisenprofiteure zu stoppen.
  2. Dauerhafte Erhöhung der Steuern für die reichsten 1 %, auf mindestens 60 % ihres Einkommens aus Arbeit und Kapital, mit höheren Sätzen für Multimillionäre und Milliardäre.
  3. Besteuerung des Reichtums der Superreichen mit ausreichend hohen Sätzen, um den extremen Reichtum systematisch zu reduzieren.
  4. Verwendung der Einnahmen aus diesen Steuern, um die Staatsausgaben für Sektoren zu erhöhen, die die Ungleichheit bekämpfen, wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Ernährungssicherheit, und um den gerechten Übergang zu einer kohlenstoffarmen Welt zu finanzieren.

Drei Gründe, warum die Argumentation von Oxfam in die Irre führt

1. Die globale Armutsbekämpfung der letzten 20 Jahre war erfolgreich

Die Weltbank zeigt, dass die Armutsbekämpfung vor der Coronakrise seit 1990 große Fortschritte gemacht hat.6 Extrem arm ist laut Definition der Weltbank ein Mensch, der mit 2,15 US-Dollar am Tag oder weniger leben muss. Sowohl diese Zahl als auch die Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren, ein Gradmesser für medizinische Versorgung, zeigen einen positiven Trend in den letzten 20 Jahren.

Auch die weltweite Einkommensungleichheit ist erst im Zuge der Covid-19 Pandemie und damit erstmals seit 20 Jahren wieder angestiegen. Die Weltbank berechnet einen weltweiten Gini-Koeffizient und geht davon aus, dass dieser 2020 von 62,0 auf 62,6 angestiegen ist. Im Jahr 2000 lag der Wert bei etwa 69,5 und ist seitdem bis 2019 ständig gefallen.7

2. Wohlstand ist kein Nullsummenspiel

Das politische System, der rechtliche Rahmen und die Wettbewerbsbedingungen spielen für den Erfolg eines wirtschaftlichen Systems und folglich die Armutsbekämpfung eine entscheidende Rolle.8 Es wäre unzulässig, den Reichtum eines südkoreanischen Unternehmers mit der allgemeinen Armut der nordkoreanischen Landbevölkerung in Beziehung zu setzen. Genauso unzulässig ist es, die Marktgebühren im Norden von Uganda mit dem Unternehmenssteuersystem in den USA zu vergleichen.

Der expliziten Forderung für Umverteilung liegt die implizite Annahme zu Grunde, dass eine gegebene Menge an Wohlstand „gerechter“ verteilt werden müsste. Stattdessen hat die Geschichte und die ökonomische Theorie gezeigt, dass es innerhalb von marktwirtschaftlichen Institutionen keine Grenzen des Wohlstandes gibt. Stattdessen kann durch unternehmerisches Handeln und technologische Innovationen immer mehr Wachstum erzeugt werden. Eine wichtige Grundbedingung dafür ist die Möglichkeit der Kapitalakkumulation. Wenn Oxfam das Schicksal der ärmsten Menschen am Herzen liegt, müssen Sie zu Anwälten für mehr Marktwirtschaft insbesondere in Afrika werden. Die Herstellung von Gleichheit dadurch, dass alle gleich arm werden, nützt niemandem.

Die Fähigkeit von Unternehmern, möglichst schnell auf veränderte Bedingungen, zum Beispiel auf externe Schocks in Form einer Pandemie zu reagieren, ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Die Aussicht auf Gewinn ist ein wichtiges Motiv für das unternehmerische Handeln, gerade in Krisen. Die Impfstoffentwickler sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Nach Jahren der erfolglosen und kostenintensiven Krebsmittelforschung hat die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 den entscheidenden Durchbruch für das Unternehmen Biontech gebracht. Die Gewinne können für weitere Jahre in der Krebsmittelforschung eingesetzt werden. Eine konfiskatorische Besteuerung würde nicht nur der Krebsmittelforschung schaden, sondern auch den Chancen, dass in der nächsten Krise Unternehmer ins Risiko gehen.

3. Entwicklungshilfe hat Schattenseiten

Vor dem Hintergrund der Wichtigkeit der Institutionen ist die pauschale Forderung nach mehr Geld für die Entwicklungshilfe nicht zielführend. Ein besonderer Fokus der Kritik liegt auf Afrika. Häufig vorgetragene Kritik an der Entwicklungshilfe beinhaltet den Vorwurf, dass viele Projekte Afrikaner in die Abhängigkeit statt in die Selbstständigkeit gebracht hätten.9 Aufmerksamkeit bekam 2009 das Buch „Dead Aid: Why aid is not working and how there is another way for Africa” von Dambisa Moyo.10 Ihr Hauptkritikpunkt lautete, dass die Höhe der Entwicklungshilfe der letzten Jahrzehnte und die damit erzielten Erfolge in keinem Verhältnis stehen. Nicht intendierte Folgen der Entwicklungshilfe seien Inflation, mangelnder Anreiz für unternehmerische Tätigkeiten, Unterstützung dysfunktionaler politischer Systeme und damit verbundene Verhinderung von Demokratisierungsprozessen.

Oxfam, ein Armutsentrepreneur

Wenn nun die Fakten einseitig interpretiert und die vorgeschlagene Lösung zur Linderung der Armut so wenig erfolgversprechend ist, stellt sich die Frage, was sich Oxfam von seinem Bericht verspricht. Die Bekämpfung der Armut eröffnet ein Geschäftsmodell, in dem die selbsternannten Anwälte der Armen Publicity und politischen Einfluss erwerben und damit Spendengelder eintreiben können. Die Spenden kommen vor allem den Armutsentrepreneuren zugute. Dazu passt, dass ein Referent bei Oxfam Deutschland über 60.000 Euro im Jahr verdienen kann und der Geschäftsführer auf über 100.000 Euro kommt.11 Der von Oxfam gepflegte Antikapitalismus bedient eine antikapitalistisch gestimmte Klientel, die für die Kampagne gegen den Kapitalismus nur spenden kann, weil sie von diesem Kapitalismus profitiert.


1 Oxfam Studie (2023), “Survival of the Richest”, S. 9

2 Oxfam-Studie: Beschäftigung mit Reichsten zeigt obsessive Züge (nzz.ch)

3 Oxfam Studie (2023), “Survival of the Richest”, S. 9

4 Oxfam Studie (2023), “Survival of the Richest”, S.7, S. 12, S.26.

5 Oxfam Studie (2023), “Survival of the Richest”, S. 14

6 Weltbank, Poverty and Inequality Platform, www.pip.worldbank.org

7 Poverty and Shared Prosperity 2022 (worldbank.org)

8 Acemoglu, A; Johnson, S; Robinson, J. (2004) Institutions and the Fundamental Cause of Long Run Growth

9 Siehe etwa: Entwicklungshilfe in der Kritik - Teure Almosen für Afrika | deutschlandfunkkultur.de

10 Moyo, Dambisa (2009) Dead Aid: Why aid is not working and how there is another way for Africa, London: Penguin Books

11 Soziale Verantwortung (oxfam.de)

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