16.10.2020 - Kommentare

Die USA vor den Wahlen

von Norbert F. Tofall


Am 3. November 2020 werden in den USA der Präsident, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt und schon heute stehen die größten Verlierer fest: Die fortgesetzte Polarisierung und Problemverschleppung haben demokratische Institutionen in den USA beschädigt. Nicht nur daß ein amtierender Präsident das Ergebnis der Präsidentenwahlen nur anerkennen will, wenn er wiedergewählt wird, sondern auch die öffentliche Desavouierung einer  fachlich ausgewiesenen Kandidatin für den Obersten Gerichtshof zeugen davon, daß in beiden politischen Lagern der Respekt für demokratische Institutionen nur dann vorhanden zu sein scheint, wenn man im demokratischen Verfahren den jeweils eigenen Kandidaten und das eigene politische Programm durchsetzen kann. Dadurch wird jedoch die gesellschaftliche Befriedungsfunktion demokratischer Institutionen zerstört. Weitere Polarisierungen und Problemverschleppungen dürften die Folge sein.1

Kurz nach den letzten Präsidentenwahlen in den USA im November 2016 war in einem Beitrag „Trump: Pro und Contra“ zu lesen, daß Donald Trump die Polarisierungsspirale vom Oval Office aus weitertreiben und eine Verschwörungstheorie nach der anderen verkünden könnte: „Eine Auflösung der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung in den USA dürfte es deshalb so oder so in absehbarer Zeit nicht geben. Und mit grundlegenden Strukturreformen des fiskalischen und geldpolitischen Systems braucht man Donald Trump erst gar nicht kommen. Zwar könnten die sich abzeichnenden Trumponomics aus Steuersenkungen, Investitionsprogrammen und Abschaffung von Umweltauflagen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern und Angebotsbedingungen durch Deregulierung verbessern, so dass Nachteile aus Trumps angekündigtem Protektionismus ausgeglichen werden könnten. Die Staatsverschuldung dürfte sich unter Trump jedoch erhöhen und das fiskalische und geldpolitische System weiter unter Druck setzen.“2

Bereits Ende 2019 erreichte die US-Staatsverschuldung eine Höhe von 109 Prozent des BIP. Im Zuge der Corona-Krise dürfte die US-Staatsverschuldung nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds auf 141 Prozent oder mehr des BIP anzeigen. Und die Zentralbankgeldmenge ist in bislang unbekannte Höhen geschossen. Zwar hat Donald Trump die Steuern gesenkt und Regulierungen abgebaut, aber grundlegende Strukturreformen des fiskalischen und geldpolitischen Systems ist er wie erwartet nicht angegangen und wird er auch nach der Corona-Krise nicht angehen, falls er wiedergewählt werden sollte. Sein Herausforderer Joe Biden fordert derartige Reformen aber auch nicht, obwohl gerade vom fiskalischen und geldpolitischen System ein Zwang zu einer Geld- und Fiskalpolitik ausgeht, die zu Vermögenspreisinflation und damit zu verstärkter Ungleich führt, welche Joe Biden und seine Demokratische Partei laut ihrem Wahlkampfprogramm eigentlich bekämpfen wollen.

Der Leipziger Ökonom Gunter Schnabl stellte bereits 2014 fest: „Aus der Sicht von Vermögensbeständen (die mit den Einkommen korreliert sind) profitieren Bevölkerungsschichten, die große Vermögenswerte halten gegenüber Bevölkerungsschichten mit geringen Vermögen… Für die USA zeigt sich eine enge Korrelation.“ Der steile Anstieg der Aktienpreise sei seit Beginn der 1990er Jahre mit einem deutlichen Anstieg des Anteils der Top-1 %-Einkommensbezieher an den gesamten Einkommen verbunden. In Krisen sei zwar zunächst ein Rückgang dieses Anteils zu beobachten, da die Vermögenspreise zunächst stark fallen. Die geldpolitischen Rettungsaktionen würden jedoch dazu beitragen, daß die Aktienpreise und der Anteil der privilegiertesten Einkommensschichten am Gesamteinkommen weitgehend auf dem erhöhten Niveau gehalten werden können, das in den Boomphasen erreicht wurde.3

Die geldpolitischen Rettungsaktionen der FED und die schuldenfinanzierten Hilfsprogramme der Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise haben zwar den Abschwung der Wirtschaft gemildert, aber sie dürften diese Effekte enorm verstärken und die Polarisierung durch Problemverschleppung weiter vorantreiben.

Da jedoch das US-amerikanische politische System aufgrund seiner Checks and Balances überparteiliche Koalitionen benötigt, um Problemverschleppungen beenden und notwendige Strukturreformen beschließen zu können, führt die immer weiter zunehmende Polarisierung in den USA zu einer Situation, welche der Althistoriker Christian Maier mit Blick auf die Endphase der Römischen Republik als „Krise ohne Alternative“ bezeichnet hat. „Die Gesellschaft ist da in solchen Handlungskonstellationen befangen, daß sie fast mit Notwendigkeit durch die nicht-intendierten Nebenwirkungen ihres Handelns den Prozeß der Krise vorantreibt.“4  Es würden sich noch keine Positionen herausbilden, „von denen her etwa die Notleidenden eine neue Ordnung betreiben.“ D.h. auf die heutige Situation angewendet, es bilden sich noch keine politischen Mehrheiten, welche die verschleppten Probleme angehen und lösen und so die politische und gesellschaftliche Polarisierung entschärfen. Die nicht-intendierten Folgen der anhaltenden Problemverschleppungen führen hingegen sogar zu weiterer Polarisierung.

Aus diesen Gründen steht zu befürchten, daß auch die US-Wahlen am 3. November 2020 keine Beendigung der bisherigen Problemverschleppungen bewirken werden. Die „notwendige Alternative“ wird aufgrund der derzeitigen Polarisierung weder von den Republikanern noch von den Demokraten in den Blick genommen. Joe Biden hat sich als ein Präsident des Übergangs bezeichnet, falls er gewählt würde. Wohin dieser Übergang führen würde, bliebe auch nach seiner Wahl zum nächsten US-Präsidenten offen.


1 Siehe allgemein Norbert F. Tofall: Polarisierung durch Problemverschleppung, Wirtschaftspolitischer Kommentar des Flossbach von Storch Research Institute vom 5. Februar 2016, online unter: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/polarisierung-durch-problemverschleppung

2 Thomas Mayer und Norbert F. Tofall: Trump: Pro und Contra, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 25. November 2016, S. 4; online unter: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/trump-pro-contra

3 GUNTER SCHNABL: Mit dem Kopf im Sand? Goodharts Gesetz und die Wirkungslosigkeit von Inflationszielen als geldpolitische Regelmechanismen, Working Papers von Global Financial Markets, No. 55, Oktober 2014, S. 19. Für Deutschland wird diese Entwicklung durch den Flossbach von Storch Vermögenspreisindex veranschaulicht. Allgemein zur Notwendigkeit einer neuen Geldordnung siehe THOMAS MAYER: Die neue Ordnung des Geldes. Warum wir eine Geldreform brauchen, München (FinanzBuch) 2014.

4 Christian Maier: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar. Drei biographische Skizzen, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1980, S. 13.

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