27.11.2020 - Kommentare

Welthandel und RCEP-Freihandelsabkommen

von Norbert F. Tofall


Wie viel das von 15 Asien-Pazifik-Staaten unterzeichnete Freihandelsabkommen mit Namen Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP)1 wert ist, wird sich erst in der Praxis zeigen. Auf dem Papier könnte zwar der größte Handelsblock der Welt entstehen, ob es sich hierbei jedoch wirklich um einen „Block“ handeln wird, ist mehr als fraglich.

Denn erstens ist die Vertragstreue der Volksrepublik China – der größten Volkswirtschaft im RCEP – nicht sonderlich ausgeprägt. Die chinesische Regierung demonstriert gerade in Hongkong tagtäglich, daß sie internationale Verträge rücksichtslos mit Füßen tritt, wenn es gilt, chinesische Hegemonie durchzusetzen.

Zweitens sind die Gebietskonflikte im Südchinesischen Meer nicht annähernd gelöst. Sie dürften sich in den nächsten Jahren eher noch zuspitzen. Daß diese Konflikte keinen Einfluß auf den Handel zwischen den beteiligten Staaten und deren Anrainern haben werden, ist unrealistisch.

Drittens zeigt die Auseinandersetzung zwischen China und Australien, daß es der chinesischen Regierung nur dann um Multilateralismus, offene Handelswege und Freihandel zu gehen scheint, wenn diese Chinas politischen und ökonomischen Hegemoniestreben nutzen. Auf politischen Widerspruch antwortet China gerne mit geoökonomischen Mitteln wie Strafzöllen.

Und viertens haben Australien und Japan ein umfassendes Militärabkommen angekündigt, welches nur als Antwort auf die von China erzeugten sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region und Chinas militärische Aufrüstung gedeutet werden kann.

Das RCEP ist deshalb kein Einstieg in eine neue Blockbildung. Das RCEP ist aber sicherlich ein unverkennbares Zeichen einer ökonomischen Gewichtsverlagerung vom Nordatlantik in den asiatisch-pazifischen Raum.

Diese ökonomische Gewichtsverlagerung ist nicht die Folge von Autarkie, folgt also nicht aus einem von anderen Ländern und Weltregionen unabhängigen Wachstumsprozeß. Diese ökonomische Gewichtsverlagerung ist die Folge der wirtschaftlichen Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte. Diese hat sowohl in Europa und den USA als auch in China und im asiatisch-pazifischen Raum ökonomisches Wachstum erzeugt. Die ökonomische Gewichtsverlagerung in den asiatisch-pazifischen Raum folgte dabei zum einen daraus, daß China und vor ihm Tigerstaaten wie Singapur und Südkorea die sogenannten Vorteile der Rückständigkeit heben und so höhere Wachstumsraten als in den USA und Europa erreichen konnten. Zum anderen wurden sowohl in den USA als auch in Europa in den letzten 20 Jahren ökonomische Probleme verschleppt, so daß die Wachstumsdynamik in den USA und mehr noch in Europa enorm zurückging.

Ob China diese ökonomische Gewichtsverlagerung erfolgreich zur politischen Blockbildung nutzen und beispielsweise sowohl Australien als auch Japan durch ökonomischen Druck zu politischen Trabanten degradieren kann, ist in absehbarer Zeit sehr unwahrscheinlich. Indien ist zur Vermeidung von Abhängigkeiten von China dem Freihandelsabkommen RCEP bislang nicht beigetreten, bildet aber zusammen mit Japan, Australien und den USA die sogenannte Quad-Gruppe, die von Peking bereits als asiatisch-pazifische Nato bezeichnet wurde. Darüber hinaus bedeutet RCEP nicht, daß seine Unterzeichnerstaaten nur untereinander Handel treiben oder keine Freihandelsabkommen mit externen Staaten oder Staatenverbünden wie der EU abschließen können. Das heißt, ob China ausreichenden ökonomischen Druck zur Erlangung politischer und sicherheitspolitischer Konzessionen aufbauen kann, dürfte primär von der Entwicklung des gesamten Welthandels abhängen. Die schiere Größe der durch RCEP auf dem Papier gebildeten Freihandelszone sagt letztlich nicht viel aus. Es kommt vielmehr auf die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen und die ökonomischen Alternativen an. Und damit kommen die USA und die EU ins Spiel.

14 Unterzeichnerstaaten von RCEP haben das existentielle Interesse, nicht vollständig vom 15 Unterzeichnerstaat China, der größten Volkswirtschaft im RCEP, abhängig zu sein. Oder anders formuliert: 14 Unterzeichnerstaaten von RCEP haben zwar ein Interesse an der ökonomischen Kooperation mit China und an den daraus entstehenden Kooperationsgewinnen, sonst hätten sie RCEP nicht unterzeichnet. Sie haben jedoch ebenfalls ein Interesse daran, daß Chinas ökonomische und politische Macht nicht so groß wird, daß China über die Verteilung der Kooperationsgewinne allein entscheidet oder sich einen unverhältnismäßig großen Anteil aneignet. Die Kooperation mit den USA und der EU ist deshalb für diese 14 Unterzeichnerstaaten von RCEP existentiell, weshalb RCEP das Aushandeln neuer Freihandelsabkommen mit den USA und der EU sogar beschleunigen könnte.

Da der neugewählte US-Präsident Joe Biden einerseits Chinas Macht begrenzen will, andererseits aber weiß, daß dies nur zusammen mit seinen westlichen und asiatisch-pazifischen Verbündeten gelingen wird, könnte eine Situation entstehen, in welcher China aus purem Eigeninteresse gezwungen ist, das gleiche Recht für alle im Welthandel und in den internationalen Beziehungen anerkennen zu müssen. Chinas Macht, sich einen unverhältnismäßig großen Anteil an den aus Welthandel entstehenden Kooperationsgewinne anzueignen, sinkt mit der Einigkeit und dem Willen der anderen Akteure, gemeinsam eine auf Recht und Freiheit basierende Welthandelsordnung aufzubauen.


1 Dokumentation des RCEP-Vertragstextes siehe: www.dfat.gov.au/trade/agreements/not-yet-in-force/rcep/rcep-text-and-associated-documents

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