16.05.2022 - Presse Artikel

Wie lange bleibt die Inflation, Herr Mayer?

von Thomas Mayer


Am 27. April habe ich dem Spiegel ein Interview gegeben, das am 10 Mai 2022 in einer gekürzten Fassung erschien. Das komplette Interview lautete wie folgt.

SPIEGEL: Herr Mayer, der DAX ist nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar zunächst eingebrochen, hat sich rasch erholt, tritt aber seit Wochen auf der Stelle. Wieso?

Mayer:  Die Aktienmärkte übersetzen gestiegene Unsicherheit über künftige Entwicklungen zunächst reflexartig in eine höhere Risikoprämie, was die Preise drückt. Wenn sich der Nebel dann lichtet, wird nachjustiert. In der Vergangenheit hat das öfters dazu geführt, dass sich die Märkte nach bösen politischen Überraschungen zumindest teilweise wieder erholt haben. Daher der alte Spruch „politische Börsen haben kurze Beine“. Unterm Strich wird es nun darauf ankommen, ob der Russland-Konflikt die Weltwirtschaft aus dem Tritt bringen wird. Das könnte der Fall sein, wenn es zu einem vollständigen russischen Lieferstopp von Öl und Gas käme. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die chinesische Wirtschaft in die Rezession fällt, wenn die Regierung im Rahmen ihrer Null-Covid-Politik die harten Lockdowns räumlich und zeitlich ausweitet. Noch hoffen die Märkte, dass diese Risiken nicht eintreten.

SPIEGEL: Zugleich steigt die Inflation. Ökonomen sprechen davon, dass wir in eine Stagflation rutschen – die Wirtschaft stagniert, die Inflation galoppiert, mit allen Folgen für Unternehmen. Sollten die Anleger derzeit also lieber keine Aktien kaufen? 

Mayer: Das kann man so nicht sagen. Aktien bieten im Allgemeinen einen recht guten Schutz gegen Inflation, da die Gewinne der Unternehmen mit der Inflation steigen können. Das mag vielleicht nicht für jedes Unternehmen gelten, aber in der Summe trifft das zu. So hat zum Beispiel ein aus Aktien des amerikanischen S&P500-Index bestehendes Portfolio seit 1871 bei zehnjähriger Haltedauer in 90 Prozent der Anlagejahre und bei 5-jähriger Haltedauer immerhin noch in 79 Prozent der Anlagejahre eine positive reale Rendite erzielt. Hielt man die Aktien 20 oder 30 Jahre, war die reale Rendite immer positiv, egal in welchem Jahr man sich das Portfolio zugelegt hatte.

SPIEGEL: Wie lange wird die Inflation hoch bleiben, also fünf Prozent oder mehr?

Mayer: Die Europäische Zentralbank steht unter hohem politischem Druck, den Euro zusammen zu halten, und sie hat das Inflationsrisiko völlig falsch eingeschätzt. Ich fürchte, dass sie die Kontrolle über die Inflation verloren hat. Die Inflation wird daher vermutlich von einer Preis-Lohn-Preis Spirale vorangetrieben und gleichzeitig von schwankenden Rohstoffpreisen und Wechselkursen hin und her geworfen werden. Die Folge davon ist, dass sie auf unabsehbare Zeit auf hohem Durchschnittsniveau Wellen schlagen wird.

SPIEGEL: Sie schreiben in einer aktuellen Studie, dass Aktien in der Regel nicht unter der Inflation leiden, sondern unter Leitzinserhöhungen. Warum?

Mayer: Unternehmen und ihre Aktien leiden, wenn die Zentralbanken mit Zinserhöhungen die Konjunktur abwürgen, um die Inflation zu brechen. Dazu müssen sie aber ihre Zinsen über die Inflation heben, die im ersten Quartal dieses Jahres im Euroraum bei 7,4 Prozent und in den USA bei 8,6 Prozent lag. Als Anfang der 1980er Jahre die Inflation in Deutschland auf 7,5 Prozent stieg, schleuste die Bundesbank den Geldmarktzins auf knapp 12 Prozent. Anfang der 1990er Jahre hob sie bei einer Inflationsrate von 6,2 Prozent den Zins auf knapp 10 Prozent. Mir scheint, dass die Zentralbanken dazu heute nicht mehr die Kraft haben. Sie würden nicht nur die Wirtschaft in die Rezession treiben, sondern könnten auch eine neue Finanzkrise auslösen, weil die Verschuldung überall enorm hoch ist. Also tolerieren sie lieber eine hohe Inflation, bis die Schuldenberge relativ zu den nominalen Einkommen auf tragbare Lasten abgeschmolzen sind. Das könnte noch Jahre dauern.

SPIEGEL: Die US-Zentralbank Fed will die Leitzinsen 2022 aber immerhin mehrfach erhöhen. In Europa sind die Aussichten unklar. Worauf müssen sich deutsche Aktionäre einstellen?

Mayer: Darauf, dass die Märkte noch einige Zeit schwanken. Ich erwarte aber, dass sich die Lage beruhigt, wenn klar wird, dass die Zentralbanken die Konjunktur nicht abwürgen werden. In ihrer letzten Sitzung am 16. März haben die Gouverneure der Fed ihre Erwartungen eines Leitzinses in 2024 zwischen 2,25 und 2,75 Prozent zu Protokoll gegeben. Auch wenn es heute vielleicht mehr wäre, bleibt das eine homöopathische Zinsanhebung, die kaum zu positiven Realzinsen führen dürfte. Und wenn die von Russland und China ausgehenden Risiken beherrschbar bleiben und die Wirtschaft weiterwächst, erzielen Unternehmen gute Gewinne - auch wenn die Inflation mittelfristig höher bleibt.

SPIEGEL: Warum sind Leitzinserhöhungen überhaupt so bedeutsam? Ist für die Aktienanlage nicht viel wichtiger, dass die Kapitalmarktzinsen steigen?

Mayer: Richtig. Aber es gibt eine enge Beziehung zwischen den Leitzinsen und den Kapitalmarktzinsen, denn jeder längerfristige Zins entspricht einer Abfolge kurzfristiger Zinsen. Steigt nun die Reihe der künftig erwarteten Leitzinsen, ergibt sich daraus ein höherer langfristiger Zins. Außerdem haben die Zentralbanken die Kapitalmarktzinsen durch massive Käufe von Anleihen gedrückt. Verkaufen sie diese wieder, sinkt der Preis und steigt die Rendite. Höhere Kapitalmarkzinsen sind natürlich nicht gut für die Aktienpreise. Aber wenn das Wachstum der erwarteten Gewinne steigt, kann der Druck von höheren Zinsen neutralisiert werden.

SPIEGEL: Sind Anleihen eine Alternative, wenn in Folge der höheren Inflation die Zinsen steigen? 

Mayer: Leider nicht. Wer jetzt schon Anleihen im Portfolio hat, sieht dort massive Buchverluste stehen, weil der Preis dieser Papiere fällt, wenn der Zins steigt. So ist der REX-Preisindex für hochwertige zehnjährige deutsche Anleihen seit Anfang des Jahres schon um rund 9 Prozent gefallen, und der Fall geht weiter, wenn die Zinsen weiter steigen. Dazu kommt, dass die nominalen Renditen beinahe aller Anleihen von hoher Bonität derzeit noch weit unter der zu erwartenden Inflationsrate liegen. Das heißt, man macht real gerechnet auch Verluste, wenn man die Anleihen bis zur Endfälligkeit hält.

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