17.05.2024 - Kommentare
In knapp einem halben Jahr werden in den USA am 5. November 2024 ein neuer Präsident, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Und obwohl der designierte Kandidat der Republikanischen Partei Donald Trump gerade in einem Strafrechtsverfahren wegen illegaler Verbuchung von Schweigegeld kämpft und lediglich Glück hat, daß die Strafverfahren gegen ihn wegen versuchten Wahlbetrugs und des Sturms auf das Kapitol wohl nicht mehr vor den Wahlen im November terminiert oder mit Urteilen entschieden werden, liegt Donald Trump derzeit in den auf realclearpolitics.com kumulierten Umfragen vor Amtsinhaber Joe Biden (Stand vom 16. Mai 2024 um 19.00 Uhr MEZ).
Im direkten Vergleich Trump versus Biden kommt Trump derzeit auf 46,3 Prozent der befragten Personen und Biden auf 45,2 Prozent. Dieser geringe Abstand vergrößert sich jedoch, wenn der Vergleich aller fünf derzeitigen Präsidentschaftskandidaten betrachtet wird. Trump kommt zum jetzigen Zeitpunkt dann auf 41,5 Prozent, Biden auf 38,8 Prozent, Robert F. Kennedy jun. (Umweltaktivist, Impfgegner, Abtreibungsgegner und unabhängiger Kandidat) auf 10,8 Prozent sowie Cornel West (Theologe, Philosoph und unabhängiger Kandidat) auf 2,0 Prozent und Jill Stein (Green Party und von Beruf Ärztin) auf 1,5 Prozent. Für den Ausgang des Duells zwischen dem heute 77jährigen Trump und dem 81jährigen Biden könnte durchaus relevant werden, wem die Kandidatur des 70jährigen Kennedy jun. am meisten schaden wird. Daß Kennedy überwiegend aus dem Wählerpotential von Biden Stimmen abziehen wird, ist noch nicht ausgemacht. Es soll in den USA gerade in der jüngeren Generation viele eher republikanisch gesinnte Wähler geben, die aber mit Trump und rechter Identitätspolitik genauso wenig anfangen können wie mit der linken Identitätspolitik von Bidens Demokraten. Sowohl Trump als auch Biden müssen deshalb fürchten, daß ihnen Kennedy jun. in entscheidenden Swing States Stimmen abnimmt.
Denn der Ausgang der Präsidentenwahl dürfte in den sieben am stärksten umkämpften Battlegrounds, den sogenannten Swing States, entschieden werden: In Wisconsin kommt Trump zur Zeit auf 47,9 Prozent der befragten Personen und Biden auf 47,3 Prozent; in Arizona liegt Trump mit 48,4 Prozent vor Biden, der auf 43,2 Prozent kommt; in Georgia liegt Trump bei 49,0 Prozent und Biden bei 44,4 Prozent; in Michigan kommt Trump auf 46,0 Prozent und Biden auf 45,2 Prozent; Pennsylvania Trump 47,6 Prozent und Biden 45, 6 Prozent; North Carolina 48,2 Prozent für Trump und 42,8 Prozent für Biden und in Nevada kommt Trump derzeit auf 48,0 Prozent und Biden auf 41,8 Prozent. Trump liegt im Moment also in allen sieben Swing States vor Biden.
Und auch bei Betrachtung der sich bei der Präsidentenwahl nach derzeitigem Umfragestand ergebenden Wahlmänner liegt Trump mit 312 Wahlmännern vor Biden mit 226 Wahlmännern, wenn die Toss Up States, also die Staaten, in denen der Abstand zwischen beiden Kandidaten im Bereich der Fehlerwahrscheinlichkeit liegt, nicht herausgerechnet werden. Bei separatem Ausweis der derzeit 104 Toss Ups liegt Trump mit 219 Wahlmännern aber immer noch vor Biden mit 215 Wahlmännern.
Daß Ex-Präsident Donald Trump trotz seiner strafrechtlichen Verfahren, trotz des Sturms auf das Kapitol und trotz seiner Wahlniederlage vom November 2020 derzeit in den Umfragen vor Amtsinhaber Joe Biden liegt, dürfte daran liegen, daß bei den drei Kernthemen für die US-Wahlen – Lebenshaltungskosten, Migration und Abtreibung – die Probleme Lebenshaltungskosten und Migration gegen Amtsinhaber Joe Biden ins Feld geführt werden, wobei die hohen Lebenshaltungskosten nochmals herausragen. Wie mein Kollege Pablo Duarte in seinem neuesten Konjunkturbericht erläutert, sind in den USA die Preise für Lebensmittel und Energie im Vergleich zu Mai 2019 um 30 Prozent gestiegen.1 Es verwundert deshalb nicht, daß die US-amerikanische Bevölkerung die ökonomische Lage trotz der derzeitigen wirtschaftlichen Hochjunktur als schlecht einstuft. Und bei der Frage, ob die USA derzeit in die richtige Richtung regiert werden, antworten derzeit 24,1 Prozent der Befragten mit „Right Direction“ und 65,6 Prozent mit „Wrong Track“.
Präsident Joe Biden versucht deshalb, Wähler durch besondere Wahlgeschenke und ökonomische Stimuli für sich zu gewinnen. Er verspricht beispielsweise, daß über 30 Millionen US-Amerikaner von einem Schuldenerlaß ihrer Studienkredite profitieren könnten.2
Bezüglich der sonst üblichen schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme steckt Biden jedoch in der Klemme, weil diese angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Hochkonjunktur in den USA die Inflation weiter anheizen würden. Aus dem gleichen Grund kann die Fed ihm nicht durch eine Zinssenkung unter die Arme greifen. Weiterer kurzfristiger Inflationsdruck würde nicht Biden, sondern Trump an der Wahlurne nutzen. Aus diesem Grund dürfte Präsident Joe Biden seinen Rivalen Donald Trump in dieser Woche durch Überbietung von Trumps Zollplänen angegriffen haben. Biden fehlen zur Zeit einfach andere ökonomische Angriffsfelder.
Trump will im Falle eines Wahlsieges laut seinem Wahlprogramm mindestens 10 Prozent Zoll auf alle Importe in die USA erheben, nicht nur auf die aus China. Bezüglich chinesischer Exporte könnten auch 60 Prozent und mehr erhoben werden. Primär zielen diese Pläne darauf, die heimische Industrie zu schützen und Chinas Exportmöglichkeiten zu beschränken, während Unternehmen aus Europa einen Anreiz erhalten sollen, ihre Produktion in die USA zu verlagern.
Bislang schien der Protektionist Biden weniger zu Zöllen und mehr zu nicht-tarifären Handelshemmnissen, Schutzmaßnahmen und Subventionen zu neigen, wie sie sich im Inflation Reduction Act und im Chips and Science Act von 2022 finden, während der Protektionist Trump ein ausgesprochener Fan von Zöllen ist. Beide Präsidentschaftskandidaten halten jedoch wenig von Freihandel und sind Protektionisten und Merkantilisten. Biden hat in seiner bisherigen Amtszeit auch keine protektionistische Maßnahme, die Trump gegen die EU verhängt hat, aufgehoben.
Jetzt hat Biden die Zölle für Elektro-Automobile aus China von 25 Prozent auf 100 Prozent angehoben. Halbleiter aus China müssen mit 50 Prozent verzollt werden. Die meisten anderen betroffenen Güter aus China wie Batterien, Stahl, Aluminium, Solarzellen, Hafenkrähne und Medizinprodukte sind jetzt mit mindestens 25 Prozent zu verzollen. Daß durch diese geoökonomischen Maßnahmen Importe in die USA verteuert werden und letztlich den US-amerikanischen Konsumenten treffen, dürfte in Kauf genommen worden sein, zumal der durch diese Maßnahmen erzeugte erhöhte Inflationsdruck wohl erst nach den Wahlen zu spüren sein wird.
Im Moment kann nur abgewartet werden, ob Donald Trump als Reaktion auf diesen Überbietungsangriff bei seiner bisherigen Zoll-Linie bleibt oder ob er eine „Rolle-Rückwärts“ einlegt und zum gemäßigten Freihändler mutiert, um sich von Biden abzuheben. Bei Trump ist immer alles möglich und nichts berechenbar. Im Moment scheint jedoch wahrscheinlicher zu sein, daß sich Trump und Biden gegenseitig mit protektionistischen Forderungen überbieten werden. Trumps Forderung eines 200-Prozent-Zolls auf E-Autos stellt bereits die vorauseilende Reaktion auf die keine drei Tage später offiziell verkündeten Zollerhöhungen von Biden dar. Trump wußte natürlich aus der Presse, was die Regierung plant.3 Zudem hat Trump in seiner ersten Amtszeit mit dem Handelskrieg gegen China ein Wahlkampfversprechen eingelöst, und sein heutiges Wahlprogramm ist auch auf einen Handelskrieg ausgerichtet.
Die Handelspolitik von Trump führte in den betroffenen Regionen in den USA zwar nicht zur Verbesserung der ökonomischen Lage; in den betroffenen Regionen wird seitdem jedoch wahrnehmbar mehr Trump gewählt.4 Der Überbietungsangriff von Biden zielt deshalb auf Wählergewinnung in Regionen, die Importschutz erhalten. Biden will vor den Wahlen im November offensichtlich Stärke demonstrieren und übernimmt dazu sogar das bisherige Wahlkampfkalkül von Trump. Bidens Strategie, Trumps Positionen und Wahlkampfkalküle zu übernehmen, erinnert an die Politik von Angela Merkel, die immer stärker Positionen der SPD übernommen hatte, um SPD-Wähler zu gewinnen, wodurch die SPD immer weiter nach links gedriftet ist. Dieses Beispiel könnte dafür sprechen, daß auch Trump auf den „Übernahmeangriff“ von Biden mit noch radikaleren Forderungen reagiert, wofür auch seine 200-Prozent-Forderung ein Indiz ist.
Ein Wirtschaftskrieg mit China ist jetzt wahrscheinlich. China wird entsprechende Vergeltungsmaßnahmen einleiten. Zudem wird China versuchen, die beschränkten Exportmöglichkeiten in die USA durch Exporte in andere Teile der Welt zu kompensieren, so daß insbesondere die EU weiter unter Druck gerät. Die EU wollte ohnehin bis zum 6. Juni 2024 über handelspolitische Maßnahmen gegen China entscheiden. Daß sich die an mangelnder ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit leidende Europäische Union auf Dauer einem noch größerem Wettbewerb mit China aussetzen wird, ist unwahrscheinlich. Es könnte deshalb durchaus sein, daß die EU den Forderungen der USA nolens volens folgt und ebenfalls weitgehende handelspolitische Maßnahmen gegen China verhängt.
Daß der Wirtschaftskrieg nach den US-Wahlen im November wieder abebbt, ist eher unwahrscheinlich. Zum einen stellt sich China immer deutlicher auf die Seite von Russland. Putin und Xi haben in dieser Woche eine verstärkte Zusammenarbeit vereinbart. Daß sich Xi auf einen Deal einläßt und sich von Russland abwendet, um weniger beschränkten Handel mit dem Westen treiben zu können, widerspricht seinen geopolitischen Zielen. Solange Xi an der Macht ist, bleibt ein solcher Deal unrealistisch. Zum anderen sind sowohl Biden als auch Trump ausgeprägte Protektionisten und Merkantilisten. Egal wer von den Beiden die Wahl gewinnt, die nächste US-amerikanische Regierung wird einen Wirtschaftskrieg gegen China weiter ausbauen.
1 Siehe Pablo Duarte: Konjunkturbericht April 2024 des Flossbach von Storch Research Institute, S. 38, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/fileadmin/user_upload/RI/real-economy-tracker/Konjunkturberichte/240516-konjunkturbericht-april-24.pdf
3 Auch in Deutschland wurde über die geplanten Zollerhöhungen von Biden am Wochenende vor ihrer offiziellen Verkündigung berichtet, siehe bspw.: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/usa-koennte-zoll-auf-chinesische-e-autos-auf-100-prozent-erhoehen-19712898.html
4 Siehe: https://www.nber.org/papers/w32082
09.02.2024 - Wirtschaft & Politik
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