28.02.2022 - Kommentare

Der Westen vereint gegen Putin

von Norbert F. Tofall


Der Westen handelt geschlossen gegen Putin. China wird sich fragen, ob eine Renaissance der transatlantischen Beziehungen entstanden ist. Der Kampf gegen Putin ist aber noch nicht gewonnen.

Europa handelt vereint gegen Putin und das zusammen mit den USA. Den militärischen Verteidigungsmaßnahmen der NATO gegen Putin haben sich auch Schweden und Finnland angeschlossen, obwohl sie noch nicht Mitglieder der NATO sind. Und selbst die Schweiz wird heute beraten, ob sie sich den gewaltigen Finanzsanktionen der Europäischen Union und der USA gegen Putin anschließen werden. Der Westen handelt geschlossen gegen Putins Überfall auf die Ukraine, der ein Angriff auf ganz Europa darstellt. China wird das sehr genau beobachten und sich fragen, ob hier nicht eine Renaissance der transatlantischen Beziehungen entstanden ist, die China zurecht militärisch, politisch und wirtschaftlich sehr ernst nehmen muß. Aber heute geht es zuvorderst um den Kampf gegen Putin. Dieser Kampf dürfte erst am Anfang stehen und ist noch nicht gewonnen.

Friedrich Merz hat die Invasion von Putin in die Ukraine mit 1938 verglichen. Und der russische Friedensnobelpreisträger Dmitri Andrejewitsch Muratow, Chefredakteur der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, sagte, daß Russland den dritten Weltkrieg begonnen hätte. Vermutlich haben wir schon 1939, obwohl es einige vielleicht immer noch nicht wahrhaben wollen. Auf den Überfall auf Polen 1939 folgte monatelanges Waffenschweigen, bis 1940 Belgien, die Niederlande und Frankreich überfallen wurden. Folgt nach Putins Überfall der Ukraine jetzt auch ein Angriff auf das Baltikum und Polen? Oder erst 2023 oder 2024? Wird Putin die Verteidigungswilligkeit der NATO durch einen solchen Angriff wirklich testen? Putin hat gestern bereits die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Ist dem im Wahnsinn badenden Putin noch bewußt, daß auch die NATO und europäische Staaten Atomwaffen besitzen? Ausschließen sollten wir im Moment besser nichts. Wissen kann es niemand, aber vorbereitet und gerüstet müssen wir sein.

Die derzeit wichtigste Nachricht aus der Ukraine lautet (Stand 28. Februar 2022, 6.30 Uhr): Die ukrainische Armee kämpft und sie kämpft immer noch! Und noch ist Kiew nicht von russischen Truppen erobert worden. Wie lange die ukrainische Arme kämpfen und bestehen kann, weiß niemand. Die Ukrainer geben ihre Heimat und ihre Freiheit nicht kampflos preis und vielleicht gelingt es ihnen sogar, Putins Armee aus der Ukraine zu vertreiben. Und selbst wenn Kiew heute oder in den kommenden Tagen fallen sollte, wird die Ukraine weiterkämpfen. Putin kann die getöteten russischen Soldaten bereits jetzt nicht mehr in der Heimat verheimlichen. Und je länger die Ukrainer kämpfen und kämpfen können, desto eher könnten Putin und sein Regime von Überlegungen, die Verteidigungswilligkeit der NATO durch einen Angriff auf das Baltikum und Polen zu testen, Abstand nehmen. Die Ukrainer kämpfen und sterben auch für uns. Wir ziehen Nutzen aus ihrem Kampf. Und es wäre eine Schande sondergleichen gewesen, wenn sich Deutschland nicht dazu durchgedrungen hätte, doch Waffen in die Ukraine zu liefern.

Die deutsche Bundesregierung hat innerhalb von drei Tagen eine Wende in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vollzogen, die erstaunlich und notwendig ist. Wer hätte noch am 24. Februar 2022, am Tag des Überfalls von Putin auf die Ukraine, geglaubt, daß der Olaf Scholz mit der Merkelraute eine Regierungserklärung wie die gestrige abgeben würde. Scholz wurde im Dezember zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vom Deutschen Bundestag gewählt, gestern ist er auch Kanzler der Bundesrepublik Deutschland geworden.

Das Versagen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den letzten Jahren ist eklatant. Gestern war aber nicht der Tag, das im Bundestag en détail aufzuarbeiten. Die Kanzlerschaft von Angela Merkel dürfte aber als die bislang schlechteste Kanzlerschaft in der Geschichte unseres Landes eingehen. Nicht nur die Bundeswehr fast zerstört und durch Appeasement seit Georgien und der Krim Putin keine Grenzen aufzeigend. Durch eine falsche Energiepolitik seit 2011 hat Angela Merkel unser Land in eine Abhängigkeit eines Despoten geführt, für die wir jetzt einen sehr hohen wirtschaftlichen Preis zahlen werden. Alle Warnungen aus den USA wurden von Angela Merkel und ihren Claqueuren in Politik, Wirtschaft und Medien ignoriert.

Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat gestern angekündigt, daß es keine Denktabus bei der jetzt anstehenden Frage der Energiesicherheit geben dürfe - auch nicht bezüglich Kohle und Atomkraft. Die bereits unrealistischen Vorstellungen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel wurden von der Realität jetzt schneller eingeholt, als selbst Kritiker des Koalitionsvertrags vermutet haben.

Es kann an dieser Stelle nicht auf die Folgen aller Sanktionen, welche die EU und die USA beschlossen haben, eingegangen werden, zumal die Fragen, wen trifft was und wie, erst eigehender analysiert werden müssen. Neben dem Ausschluß von russischen Großbanken von SWIFT dürften vor allem die Sanktionen gegen die russische Zentralbank enorme ökonomische Folgen zeitigen. Putins Kriegskasse von Milliarden Dollar und Euro Devisenreserven könnte weitgehend neutralisiert werden.

An dieser Stelle sind die folgenden drei Hinweise wichtiger:

  1. Das Verhalten von China zum Angriff von Putin auf die Ukraine ist höchst besorgniserregend. Und vermutlich sind viele westliche Unternehmen schon lange in die chinesische Falle geraten. China agiert zwar anders als Russland, sein Verhalten im Indopazifik und im Südchinesischen Meer und in Hongkong und bezüglich Taiwan zeigen aber eindeutig Eroberungsansprüche. Auch wenn es gerade für Deutschland unangenehm ist: Wir müssen die Diskussion führen, ob wir weiterhin Rücksicht auf die Interessen der deutschen Automobilindustrie und andere Industriezweige nehmen können. Insgesamt wird von Putins Krieg in der Ukraine China profitieren. Man könnte fast konstatieren, daß Russland unabsichtlich für die geopolitischen Interessen Chinas kämpft. Insgesamt dürfte Putins Krieg aber auch die Beziehungen des Westens zu China verändern und könnten zu einer sich weiter verstärkenden Deglobalisierung der Weltwirtschaft führen.
  2. Die serbische Regierung verteidigt Putin und behauptet, die Ukraine hätte Russland angegriffen. Nicht nur wegen dieser Äußerungen ist die Entstehung eines neuen Balkankrieges, der von Russland befeuert werden dürfte, nicht ausgeschlossen.
  3. Im Westen müßten jetzt eigentlich alle verstanden haben, daß sich Verteidigungs- und Sicherheitspolitik letztlich nicht durch Wirtschaftssanktionen betreiben läßt. Die jetzt anstehende militärische Aufrüstung des Westens kostet Geld. Das muß erwirtschaftet werden und kann nicht immer weiter und weiter per Knopfdruck erzeugt werden, ohne dauerhaft unsere wirtschaftlichen Grundlagen zu zerstören. Die Frage der Entschuldung der Eurozone gehört deshalb auf die Tagesordnung, obwohl jetzt zumindest kurzfristig das Schuldenmachen durch die Druckerpresse weitergehen wird.  Die Frage einer gesunden wirtschaftlichen Basis ist die Voraussetzung dafür, daß ausreichend Verteilungsmasse vorhanden ist, um sowohl erhöhte Verteidigungsausgaben tragen und eine neue Energiesicherheit herbeiführen zu können als auch um den sozialen Frieden zu sichern. In Europa muß der Streit um die Schulden vom Tisch, weil sonst von dieser Seite die größte Uneinigkeit droht. Diese Uneinigkeit kann sich Europa um der Verteidigung der Freiheit willen nicht leisten.

 

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