STUDIE. Die deutsche Altersvorsorge ist in die Jahre gekommen. Sie benötigt dringend Reformen. Die Studie macht Vorschläge.
Executive Summary
„Da muss man kein Mathematiker sein. Da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen.“ (Franz Müntefering, 2006)
1. Wie Deutschland derzeit fürs Alter vorsorgt
Der gesetzlichen Rente in Deutschland droht der Kollaps – betriebliche und private Altersvorsorge sind schwach entwickelt.
Die gesetzliche Rente bildet mit einem Anteil von 53 Prozent an den gesamten Alterseinkommen ein Klumpenrisiko bei der Altersvorsorge.1 Sie muss reformiert werden und es muss diversifiziert werden.
Aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft steht die gesetzliche Rente unter Finanzierungsdruck. Hält die Politik bis 2035 an „Haltelinie“ von 48 Prozent fest, wird die Belastung pro sozialversicherungspflichtig Beschäftigen durch die gesetzliche Rente in den nächsten zehn Jahren um rund 70 Prozent steigen.
Nur 52 Prozent der deutschen Arbeitnehmer besitzen eine betriebliche Altersvorsorge. Der Bestand an staatlich geförderten privaten „Riester-Renten“ sinkt seit Jahren und umfasst heute nur noch 10-12 Millionen aktive Verträge.
2. Wirtschaft und Demographie schwächeln in Deutschland
Die Altersvorsorge leidet unter einer alternden Gesellschaft und schwachem Wirtschaftswachstum.
Zu wenig Geburten und eine steigende Lebenserwartung sorgen für demografischen Druck. Im Jahr 2035 wird ein Ehepaar den Wohlstand für sich selbst, die eigenen Kinder und einen Rentner erwirtschaften müssen.
Produktivitätssteigerungen könnten das demografische Problem dämpfen, sind aber seit längerem nicht zu beobachten.
Die Teilnahme von Zuwanderern am Arbeitsmarkt, eine weitere Möglichkeit den demografischen Druck zu mildern, ist sowohl bei EU-Ausländern als auch bei Menschen aus Drittstaaten eingeschränkt.
3. Falsche Anreize und verfehlte Wirtschaftspolitik erschweren die Vorsorge zusätzlich
Ruhestandsprivilegien verschärfen den Fachkräftemangel und belasten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, während die Unterstützung für Familien unzureichend und die Belastung von jungen Menschen zu hoch ist.
Eltern erhalten keinen Beitragsrabatt in der gesetzlichen Rente, obwohl sie deren langfristigen Fortbestand sichern. Dazu ist Kinderbetreuung in Teilen Deutschlands ein knappes und teures Gut.Insbesondere für die Mittelschicht sind Kinder damit Luxus.
Die Rente mit 63 hat die im Zuge der Agenda 2010 abgeschafften Vorruhestandsregelungen weitestgehend ersetzt und kostet die Allgemeinheit aktuell rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu verstärkt sie den Fachkräftemangel.
Die Belastung durch Steuern und Abgaben kann (auch aufgrund der Ruhestandsprivilegien) in Deutschland fast 50 Prozent der Lohnkosten betragen und liegt damit gut 15 Prozentpunkte über Ländern wie Kanada oder Großbritannien, mit denen Deutschland um qualifizierte Zuwanderer konkurriert.
4. Erfolgreiche Altersvorsorge im Ausland
Bei „demografie-festen“ Systemen im Ausland geht staatliche Grundversorgung mit kapitalgedeckter Zusatzversorgung Hand in Hand. Die Stärkung kapitalgedeckter Elemente braucht Zeit und steht nicht im Widerspruch zu sozialem Ausgleich.
Demografie-feste Altersvorsorge im Ausland verknüpft die gesetzliche Rente zur Absicherung des Existenzminimums mit kapitalmarktnaher betrieblicher oder privater Vorsorge zum Erhalt des Lebensstandards. Die USA zeigen, welche Renditen in der Altersvorsorge bei konsequenter Anlage in Aktien möglich sind. In den Niederlanden sieht man die gesellschaftlichen Vorzüge einer flächendeckenden betrieblichen Altersversorgung.
Ein breiter gesellschaftlicher Aufbruch an den Kapitalmarkt braucht Zeit, ist aber möglich. In Kanada verdoppelte sich der Anteil von Fonds und Aktien am Finanzvermögen der privaten Haushalte in den letzten 30 Jahren von 20 Prozent auf 40 Prozent.
Öffentliche Ausgabendisziplin, Aktienanlage und sozialer Ausgleich sind kein Widerspruch, wie Schweden zeigt. Der Anteil (relativer) Altersarmut ist in Schweden, das eine gesetzliche Basisrente mit einer aktienbasierten Zusatzversorgung kombiniert, nur etwa halb so hoch wie in Deutschland.
5. Handlungsempfehlungen für Deutschland
Gesetzliche Rente schützt vor Altersarmut - betriebliche und private Vorsorge sichert den Lebensstandard.
Die gesetzliche Rente sollte künftig eine Basisabsicherung sein, die nicht vom früheren Lohn abhängt und für alle Bürger knapp oberhalb des Bürgergelds liegt. Das Renteneintrittsalter sollte 70 Jahre betragen. Privilegien wie die „Rente mit 63“ sollten abgeschafft werden.
Betriebliche und private Vorsorge müssen von Kapitalgarantien und bürokratischer Komplexität befreit werden, um höhere Renditen zu ermöglichen und die Verbreitung insbesondere der betrieblichen Altersversorgung zu verbessern. So kann der Lebensstandard weiter Teile der Bevölkerung im Alter gesichert werden. In der privaten Vorsorge sollte das Konzept des Altersvorsorgedepot der letzten Bundesregierung wieder aufgenommen werden.
Zur langfristigen Finanzierung der Altersvorsorge braucht es Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum. Dies sollte durch Investitionen in physische und digitale Infrastruktur, und Deregulierung sowie Preisstabilität gewährleistet werden. Dazu muss Aus- und Weiterbildung eine herausragende Stellung in unserer Gesellschaft einnehmen.
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1 Berücksichtigt man nur die klassischen drei Säulen eines Angestellten, d.h. gesetzliche Rente, betriebliche Versorgung und privates Sparen, steigt der Anteil auf 80 Prozent.
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