Skip to Content
Wirtschaft & Politik

Euroraum: Konvergenz oder Divergenz?

- Tom Bugdalle , Moritz Pfeifer

KOMMENTAR. Wie einheitlich entwickelt sich die Eurozone? Unser neuer Divergenz-Monitor soll helfen, diese Frage zu beantworten.

1. Das Euro-Versprechen

Als der Euro 1999 eingeführt wurde, versprachen die Architekten der Währungsunion, dass eine gemeinsame Währung Europa näher zusammenbringen würde - ökonomisch und politisch. Die Hoffnung war, dass sich die Einkommensniveaus einander annähern, die Wirtschaftszyklen angleichen, und die Europäische Zentralbank als Hüterin der Stabilität fungieren würde.

Vor Einführung des Euro warnten Ökonomen wie Paul Krugman oder Milton Friedman vor den Risiken einer Gemeinschaftswährung. Krugman (1990) prognostizierte wachsende ökonomische Ungleichgewichte als Folge der hohen Heterogenität des Euroraums. Friedman (1997) befürchtete, dass eine einheitliche Geldpolitik zu politischen Spannungen und zur Spaltung führen könnte. 

Seit Gründung der Eurozone ist viel geschehen. Der Währungsraum hat eine große Finanzkrise, eine Staatsschuldenkrise, und zuletzt eine historisch hohe Geldentwertung erlebt. Ist, nachdem die Inflation wieder auf den Zielwert der EZB gefallen ist, die Eurozone ausreichend homogen, um eine einheitliche Geldpolitik zu rechtfertigen? Unser neuer Divergenz-Monitor soll helfen, diese Frage zu beantworten.

2. Die Bedeutung symmetrischer Konjunktur- und Finanzzyklen

Symmetrische Wirtschaftszyklen sind ein zentrales Kriterium der Theorie optimaler Währungsräume nach Mundell (1961). Nur wenn die Euro-Mitgliedstaaten ähnliche Konjunkturphasen durchlaufen, kann die EZB effektiv ihr Mandat der Preisniveaustabilität verfolgen. Andernfalls droht das Risiko zunehmender Ungleichgewichte, da unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen in einer Währungsunion nicht mehr über Wechselkursanpassungen der nationalen Währungen ausgeglichen werden können. 

Angenommen Deutschland befindet sich in der Krise, während die spanische Wirtschaft boomt. Dieser Fall konfrontiert die EZB mit einem Dilemma. Zinssenkungen würden – wie zwischen 2003 und 2007 – den spanischen Boom und den damit verbundenen Inflationsdruck verstärken, während Zinserhöhungen den deutschen Abschwung beschleunigen würden. Zu niedrige Zinsen haben zwischen 2003 und 2007 nicht nur die spanische Konjunktur befeuert, sondern auch Übertreibungen auf den Immobilien- und Finanzmärkten erzeugt, die schließlich in die sogenannten Eurokrise mündeten. Eine gemeinsame Währung braucht also synchrone Konjunktur- und Finanzzyklen, um Krisen vorzubeugen.

Mithilfe einer Methode, die als Dynamic Time Warping (DTW) bekannt ist, haben wir gemessen, wie eng die Konjunktur- und Finanzzyklen in 18 Ländern des Euroraums tatsächlich beieinander liegen.1  Dabei werden sowohl die strukturellen als auch die zeitlichen Differenzen der Zyklusphasen im Zeitraum von 1985 bis 2024 identifiziert. 

3. Die Konvergenz blieb aus, insbesondere bei den Finanzzyklen

Anfang der 1990er Jahre schwankten die Asymmetrien der Konjunkturzyklen noch erheblich. Mit der Einführung des Euro setzte zunächst eine rasche Angleichung der Zyklen ein, die jedoch mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise zum Erliegen kam (siehe Abb.1). Während der darauffolgenden Eurokrise erreichten die konjunkturellen Asymmetrien einen vorläufigen Höchststand, fielen aber im Zuge der unkonventionellen Geldpolitik wieder merklich ab. Seit 2021 lässt sich erneut eine rasche Zunahme der Asymmetrien beobachten. Zwar verlief die Konvergenz der Konjunkturzyklen nicht geradlinig, im langfristigen Trend ist dennoch eine leichte Zunahme der Synchronisierung zu beobachten.

Die Symmetrie der Finanzzyklen ist deutlich volatiler als die der Konjunkturzyklen.2 Das Divergenzmaß der Finanzzyklen zeigt abrupte Anstiege und Rückgänge, die in kürzeren, intensiveren Phasen verlaufen als die Divergenz der Konjunkturzyklen. Dieses Muster zeigt, dass nationale Finanzmärkte schneller und heterogener auf geldpolitische Entscheidungen reagieren. Die Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft ist insbesondere im Vorfeld der großen Finanzkrise zu beobachten.

  

Euroraum: Konvergenz oder Divergenz? -

Die Divergenz der Finanzzyklen erreichte im Jahr 1989 ihren Tiefpunkt. Mit der Euro-Einführung weitete sich die Lücke zwischen finanzieller und konjunktureller Asymmetrie zunehmend aus – die Finanzzyklen waren seither durchgängig asymmetrischer. Besonders in den Jahren vor der globalen Finanzkrise und während der Eurokrise stieg die Finanzzyklus-Asymmetrie dramatisch an.  Der Versuch einer einheitlichen Geldpolitik hat damals vor allem auf den Finanzmärkten zu Verzerrungen geführt. 

4. Ein Währungsraum, zwei Realitäten

Unsere Versuche Cluster von gemeinsamen Entwicklungen zu bilden zeigen, dass sich im Euroraum besonders zwei Länder-Gruppen mit ähnlichen zyklischen Mustern herausbilden. Es findet sich eine Gruppe aus eher fiskalisch konservativen Ländern, bestehend aus Deutschland, Finnland und den Niederlanden, und eine Gruppe von Peripherieländern, bestehend aus Griechenland, Spanien und Portugal. Diese Cluster sind sowohl bei den Konjunkturzyklen zu finden, aber noch deutlicher bei den Finanzzyklen.

Die Asymmetrie zwischen Deutschland und den drei Peripherieländern ist besonders auffällig. In den frühen 2000er Jahren erlebte die Peripherie einen starken konjunkturellen Aufschwung, während die deutsche Wirtschaft schwächelte (siehe Abb.2). 2008 erreichte Deutschland den konjunkturellen Tiefpunkt, während die Peripherie ihn erst während der Eurokrise 2011 erreichte. Nach der Finanzkrise und mit dem Einsetzen der unkonventionellen Geldpolitik wuchs die deutsche Wirtschaft, während die Peripherieländer sich nur langsam erholten.
 

Euroraum: Konvergenz oder Divergenz? -

Die Finanzzyklen zeigen ein ähnliches Muster aber mit höherer Intensität (siehe Abb.3). In den ersten Jahren nach Euro-Einführung kann man den größten Abstand zwischen beiden Finanzzyklen erkennen. In den 2000ern sanken die Kreditzinsen der Peripherie überproportional. Es kam zur Blasenbildung, wie bspw. auf dem spanischen Immobilienmarkt. Im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise kam es besonders in Deutschland zu einem Anstieg der Vermögenspreise.

5. Bekämpfung von Symptomen

Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Euro nicht zu einer anhaltend stärkeren Konvergenz beigetragen hat. Eine einheitliche Geldpolitik stößt somit, insbesondere mit Blick auf die Finanzstabilität, zwangsläufig an ihre Grenzen.  Der Euro-Beitritt Bulgariens am 01.01.2026 wird die Arbeit der europäischen Zentralbank noch zusätzlich erschweren. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 16.110 Euro liegt weit unter dem Euro-Durchschnitt von 43.040 Euro, was eine zusätzliche Heterogenität erwarten lässt. Doch Instrumente wie SMP, ELA-Kredite und TARGET2 zeigen: Die EZB ist kreativ bei der Entwicklung von Instrumenten, die den Euro zusammenhalten sollen. 

Im Falle neuer bedrohlicher Ungleichgewichte – etwa in Form einer neuen Staatsschuldenkrise – könnte die EZB mit dem Transmissionsschutzinstrument (TPI) bei Staatsanleihekäufen vom Kapitalschlüssel abweichen und bevorzugt Anleihen hochverschuldeter Staaten aufkaufen. Innerhalb der Bestände aufgekaufter Staatsanleihen schichtet das Eurosystem bereits zugunsten italienischer, spanischer und supranationaler Anleihen um.  Unter dem Vorwand des Klimaschutzes könnte die EZB auch das Prinzip der Marktneutralität aussetzen, um bevorzugt grüne Wertpapiere aus hochverschuldeten Ländern aufzukaufen. 

Diese Maßnahmen mögen die Symptome struktureller Ungleichgewichte vorrübergehend kaschieren. Die Bevorzugung einzelner Staaten im Rahmen einer unkonventionellen Geldpolitik der EZB führt jedoch zu Fehlanreizen, die auf lange Sicht die ökonomischen und politischen Spannungen im Euroland weiter verstärken können. Sollten Entscheidungsträger neue geldpolitische Instrumente oder zukünftige Erweiterungen des Euroraums in Erwägung ziehen, hoffen wir daher, dass unser Divergenz-Monitor mehr Klarheit in die damit verbundene Diskussion bringen kann.

Literatur

Bugdalle, Tom; Pfeifer, Moritz (2025): Warpings in Time: Business and Financial Cycle Synchronization in the Euro Area, SSRN Electronic Journal. Online verfügbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=5238187 

Friedman, Milton (1997): The Euro: Monetary Unity to Political Disunity?, Project Syndicate, 28.08.1997. Online verfügbar unter https://www.project-syndicate.org/commentary/the-euro--monetary-unity-to-political-disunity (Zugriff am 03.07.2025).

Krugman, Paul (1990): A Europe-Wide Currency Makes No Economic Sense, Los Angeles Times, 05.08.1990. Online verfügbar unter https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1990-08-05-fi-453-story.html (Zugriff am 03.07.2025).

Mundell, Robert (1961): A Theory of Optimum Currency Areas, American Economic Review, Bd. 51, H. 4, S. 657–665. Online verfügbar unter https://www.jstor.org/stable/1812792 (Zugriff am 03.07.2025).
_________________________________________

1 Estland und Kroatien wurden aus Gründen der Datenverfügbarkeit nicht in die Untersuchung aufgenommen.

2 Die Konjunktur- und Finanzzyklen bestehen jeweils aus dynamisch gewichteten Mittelwerten von vier Fundamentalvariablen (Bruttoinlandsprodukt, Investitionen, privater Konsum, und Arbeitslosigkeit bzw. ausstehende Kredite, Immobilienpreise, nationale Aktienindizes, und Renditen 10-jähriger Staatsanleihen)

Das könnte Sie auch interessieren

Rechtliche Hinweise

Die in diesem Dokument enthaltenen Informationen und zum Ausdruck gebrachten Meinungen geben die Einschätzungen des Verfassers zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Angaben zu in die Zukunft gerichteten Aussagen spiegeln die Ansicht und die Zukunftserwartung des Verfassers wider. Die Meinungen und Erwartungen können von Einschätzungen abweichen, die in anderen Dokumenten der Flossbach von Storch SE dargestellt werden. Die Beiträge werden nur zu Informationszwecken und ohne vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. (Mit diesem Dokument wird kein Angebot zum Verkauf, Kauf oder zur Zeichnung von Wertpapieren oder sonstigen Titeln unterbreitet). Die enthaltenen Informationen und Einschätzungen stellen keine Anlageberatung oder sonstige Empfehlung dar. Eine Haftung für die Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit der gemachten Angaben und Einschätzungen ist ausgeschlossen. Die historische Entwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Entwicklung. Sämtliche Urheberrechte und sonstige Rechte, Titel und Ansprüche (einschließlich Copyrights, Marken, Patente und anderer Rechte an geistigem Eigentum sowie sonstiger Rechte) an, für und aus allen Informationen dieser Veröffentlichung unterliegen uneingeschränkt den jeweils gültigen Bestimmungen und den Besitzrechten der jeweiligen eingetragenen Eigentümer. Sie erlangen keine Rechte an dem Inhalt. Das Copyright für veröffentlichte, von der Flossbach von Storch SE selbst erstellte Inhalte bleibt allein bei der Flossbach von Storch SE. Eine Vervielfältigung oder Verwendung solcher Inhalte, ganz oder in Teilen, ist ohne schriftliche Zustimmung der Flossbach von Storch SE nicht gestattet.

Nachdrucke dieser Veröffentlichung sowie öffentliches Zugänglichmachen – insbesondere durch Aufnahme in fremde Internetauftritte – und Vervielfältigungen auf Datenträger aller Art bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung durch die Flossbach von Storch SE.

© 2025 Flossbach von Storch. Alle Rechte vorbehalten.

Back to top