30.06.2023 - Kommentare

Der digitale Euro - Geldreform oder weitere Problemverschleppung?

von Norbert F. Tofall


Die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung können für Reformen zur Lösung von geldpolitischen Problemen genutzt werden. Die Möglichkeiten der Digitalisierung können aber auch für weitere Problemverschleppungen und zur Verfestigung von Machtstrukturen mißbraucht werden, welche diese geldpolitischen Probleme hervorgerufen haben. Leider weist der am 28. Juni 2023 von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für einen Rechtsrahmen eines von der Europäischen Zentralbank (EZB) zu emittierenden digitalen Euros1 in die Richtung weiterer Problemverschleppung und Status-quo-Sicherung bestehender Machtstrukturen.

Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für das Europäische Parlament und den Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs liegt damit auf der generellen Linie, die bereits im Januar 2020 durch ein Working Paper des Generaldirektors der EZB für Marktinfrastrukturen, Ulrich Bindseil, vorgezeichnet wurde,2 ist jedoch in einem Punkt korrigierend. Bindseil hatte in seinem Working Paper vorgeschlagen, daß jedem Bürger oder Haushalt in der Eurozone bei der EZB ein eigenes Einlagenkonto mit digitalem Zentralbankgeld eingerichtet werden könne. Die Anzahl der Einlagenkonten bei der EZB würde dadurch von derzeit ca. 10.000 auf 300 Millionen bis 500 Millionen steigen. Alternativ könnte die EZB digitales Zentralbankgeld aber auch als Kryptogeld ausgeben, so daß digitales Zentralbankgeld mittels der Distributed Ledger Technologie direkt zwischen den Nutzern peer-to-peer übertragen werden kann. Eine Kontoführung bei der EZB würde dann entfallen. Beide technische Möglichkeiten scheinen aber nun vom Tisch zu sein.

Angedacht ist jetzt, daß jeder Bürger eine online und offline nutzbare Wallet - in der Regel auf dem Smartphone oder in Härtefällen auf einer Geldkarte - mit digitalem Zentralbankgeld erhalten kann, wobei das digitale Zentralbankgeld durch die Geschäftsbanken – und nicht von der EZB – dem einzelnen Nutzer übertragen wird.  Zwischen den Geschäftsbanken soll dann entsprechend ein Clearingsystem von der EZB errichtet werden. Verträge zwischen dem einzelnen Bürger und der EZB soll es nicht geben, was bedeutet, daß die ursprüngliche Idee von Einlagenkonten der Bürger bei der EZB verworfen wurde. Daß in den kommenden Wochen vom Europäischen Parlament oder dem Rat der Staats- und Regierungschefs die ursprünglich angedachten technischen Möglichkeiten in den Gesetzesrahmen eingearbeitet werden, ist zwar formal möglich, aber eher unwahrscheinlich. Und selbst wenn das veranlaßt werden sollte, würde das den Charakter des gesamten Gesetzesrahmens der EU-Kommission noch längst nicht weg von der Status-quo-Sicherung hin zu einer Geldreform ändern.

Bereits für Ulrich Bindseil war es 2020 unerläßlich, daß die Emittierung von digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency - CBDC) so gesteuert werden müsse, daß die bestehende Währungsordnung nicht dadurch in Frage gestellt wird, daß digitales Zentralbankgeld zu einer wichtigen Form der Wertaufbewahrung für die Bürger werde. Geld solle weiterhin durch Kreditvergabe erzeugt werden, aber der Nutzer soll dieses nun nicht nur in Zentralbankgeld aus Papier (also Bargeld in Form der uns bekannten Geldscheine), sondern in begrenztem Umfang auch in von der EZB geschaffenes „digitales“ Geld tauschen können. Um zu verhindern, daß das digitale Zentralbankgeld von den Bürgern verstärkt zur Wertaufbewahrung verwendet wird, schlug Bindseil eine gestaffelte Vergütung (tiered remuneration) für die Einlagen aus digitalem Zentralgeld vor. In der Stufe 1 (Tier 1) solle bis zu einer Höhe von 3000 Euro die Vergütung der Vergütungshöhe für Überschußreserven entsprechen, wobei eine „Untergrenze“ von Null gilt. In der Stufe 2 (Tier 2) solle die Vergütung 2 Prozentpunkte unterhalb der Vergütung für Überschußreserven liegen, wobei eine „Obergrenze“ von Null gilt. Die Stufe 2 dient also ausdrücklich der „Disincentivierung“. Das heißt, daß bereits für Ulrich Bindseil das von der EZB emittierte digitale Zentralbankgeld für die Bürger von vornherein so unattraktiv gestaltet werden müsse, daß von ihm kein heilsamer Zwang zur Reform der fragilen Europäischen Währungsunion ausgelöst werden könne.3

Fragen der Obergrenzen von digitalem Zentralbankgeld für jeden Bürger und mögliche Vergütungshöhen der Einlagen werden in dem von der EU-Kommission vorgelegten Rechtsrahmen der Kompetenz der EZB zugwiesen. Aber auch sonst schafft der Rechtsrahmen der EU-Kommission von vornherein keinerlei Anreizstrukturen, welche einen digitalen Euro für Bürger derart attraktiv machen könnte, daß ein heilsamer Zwang zur Reform der Währungsunion aufgebaut wird. Die innovativen Möglichkeiten der Digitalisierung werden gerade nicht dazu genutzt, das bestehende Geldsystem durch eine Geldreform zu verändern und zu verbessern.

Würde hingegen der Euro im Zuge einer Geldreform als eine mit Staatsanleihen gedeckte Digitalwährung („asset-backed token“ oder „stablecoin“) geschaffen, dann wäre der Euro nicht nur länger vom Zerfall in widrigen Umständen4 wie in der Eurokrise bedroht, sondern würde auch die Möglichkeit eröffnen, die am Markt ausstehende Schuld der Eurostaaten erheblich zu verringern.5 Eine Entschuldung der Eurozone wären mittels einer Digitalisierung der Währung möglich.6 Darüber hinaus wäre die für die Stabilität des Kreditgeldsystems lebenswichtige aber politisch kaum durchsetzbare Vergemeinschaftung der Versicherung für Bankeinlagen und der Staatsschulden unnötig,  weil unser fragiles Kreditgeldsystem durch digitales Stablecoin-Zentralbankgeld in ein stabiles Geldsystem überführt würde. Folglich könnte die Neuaufstellung des Euro als vollständig gedeckte Digitalwährung nicht nur die Europäische Währungsunion auf eine nachhaltige Grundlage stellen, sondern auch andauernde politische Zwistigkeiten über die Vergemeinschaftung der Haftung für Banken- und Staatsschulden beenden. Hierzu scheint der EU-Kommission, den Staats- und Regierungschefs der EU und der EZB noch der Mut zu fehlen. Aber was nicht ist, könnte angesichts neuer Krisen und ökonomischen Drucks durchaus noch wachsen.


1https://finance.ec.europa.eu/document/download/99eef109-c0dc-4457-9ff8-25c2464b9c90_en?filename=230628-proposal-digital-euro-regulation_en.pdf

2 Siehe Ulrich Bindseil: Tiered CBDC and the financial system, European Central Bank, Working Paper Series, No 2351, January 2020. Darauf bezugnehmend Norbert F. Tofall: Digitales Zentralbankgeld. Verspielt die EZB gerade eine Chance?, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 14. Februar 2020, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/digitales-zentralbankgeld/

3 Wie ein heilsamer Zwang durch „gutes Geld“ und Währungswettbewerb aufgebaut werden könnte, siehe bereits FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Währungswettbewerb als Evolutionsverfahren. Der Übergang vom staatlichen Papiergeldmonopol zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung ist evolutionär mittels Wettbewerb möglich“, in: PETER ALTMIKS (Hg.): Im Schatten der Finanzkrise. Muss das staatliche Zentralbankwesen abgeschafft werden? München (Olzog) 2010, S. 135 – 155 sowie FRANK SCHÄFFLER und NORBERT F. TOFALL: „Euro-Stabilität durch konkurrierende Privatwährungen“, in: DIRK MEYER (Hg.): Die Zukunft der Währungsunion. Chancen und Risiken des Euros, mit Beiträgen von Helmut Schmidt, Václav Klaus, Arnulf Baring, Roland Vaubel, Wolf Schäfer, Hans-Olaf Henkel, Charles B. Blankart und anderen, Berlin (LIT) 2012, S. 275 – 288.

4 Siehe auch Thomas Mayer & Norbert F. Tofall: Kampf gegen die Inflation oder für die Finanzstabilität? Das eine muss das andere nicht ausschließen. Aber dazu bräuchte es eine Geldreform, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 16. März 2023, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/kampf-gegen-die-inflation-oder-fuer-die-finanzstabilitaet-das-eine-muss-das-andere-nicht-ausschliessen/

5 Siehe dazu Thomas Mayer: „A digital Euro to save the Euro“, voxeu.org vom 6. November 2019 und Thomas Mayer: “To save the euro, turn it into a digital currency”, Financial Times vom 18. November 2019.

6 Siehe auch Norbert F. Tofall: Populismus und Inflation. Oder weshalb der Westen ein neues „Bretton Woods“ benötigt, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 13. Mai 2022, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/populismus-und-inflation-oder-weshalb-der-westen-ein-neues-bretton-woods-benoetigt/

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