KOMMENTAR. Höhere Vermögenssteuern führen zu Wachstumseinbußen und erhöhen die Investitionsschwäche. Wer im Sinne von Kant gerecht und zudem ökonomisch sinnvoll handeln will, muß die Erbschaftssteuer abschaffen
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil fordert höhere Steuern, um die akuten Haushaltsprobleme zu lösen. Vor allem bei der Erbschaftssteuer sehen Ökonomen Bedarf zu einer Reform.1 Doch was ist eine gerechte Erbschaftssteuer?
Trotz des Gleichheitsgrundsatzes in Artikel Art. 3 Abs. 1 GG – „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ – räumt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen großen Gestaltungsspielraum ein und zwar sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Der Gesetzgeber sei auch nicht gehindert, außerfiskalische Förderziele zu verfolgen. Er verfüge über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält und welche Verschonungen von der Steuer er zur Erreichung dieser Ziele vorsieht. Und genau hier liegt das Problem.2
Betrachten wir zur Verdeutlichung die Personen A, B, C und D:
A hatte als Angestellter in seinem Leben ein durchschnittliches jährliches Nettoeinkommen von 50.000 Geldeinheiten (GE), hat sehr, sehr bescheiden gelebt, in einer kleinen Mietwohnung gewohnt, war sehr sparsam und hinterläßt seinen Erben ein Vermögen von 400.000 Geldeinheiten.
B hatte als leitender Angestellter in seinem Leben ein durchschnittliches jährliches Nettoeinkommen von 200.000 Geldeinheiten, wohnte zur Miete in einer stattlichen Villa, war öfter mal auf Weltreise, jedes Jahr zum Skifahren in St. Moritz, Kunde bei exklusiven Weinhändlern, regelmäßiger Gast in Fünf-Sterne-Hotels und häufiger Besucher von Etablissements zweifelhaften Rufs und kann deshalb seinen Erben leider nichts hinterlassen. Das Leben als Bonvivant kostet halt. Après nous le déluge! Selbst seine Möbel in seiner gemieteten Stadtvilla sind wegen Mietschulden verpfändet.
C hatte als angesehener Hochschullehrer in seinem Leben ein durchschnittliches jährliches Nettoeinkommen von 120.000 Geldeinheiten, wohnte mit Frau und fünf Kindern im eigenen Haus am Stadtrand einer kleinen Universitätsstadt, setzte seine finanziellen Mittel für die internationale akademische Ausbildung seiner fünf Kinder ein, förderte viele soziale und ökologische Projekte durch großzügige Spenden und hinterläßt seinen Erben das mittlerweile renovierungsbedürftige Haus am Stadtrand und eine ausgewählte und gediegene Bibliothek, 10.000 Geldeinheiten Transaktionskasse, alles zusammen 350.000 Geldeinheiten.
D hatte als selbständiger Handwerksmeister in seinem Leben ein durchschnittliches jährliches Nettoeinkommen von 200.000 Geldeinheiten, hatte in guten Zeiten den größten Teil seines Einkommens in sein Handwerksunternehmen mit mehreren Angestellten reinvestiert, in schlechten Zeiten von Ersparnissen gezehrt, wohnte in einem Einfamilienhaus und besaß zur Alterssicherung drei kleine Mietshäuser mit insgesamt 10 Wohnungen im Wert von 950.000 Geldeinheiten(GE). Er hinterläßt seinen Erben ein Vermögen von insgesamt 2.000.000 Geldeinheiten (GE), davon 950.000 GE Betriebsvermögen und 100.000 GE Transaktionskasse.
Bei Existenz einer allgemeinen Erbschaftssteuer, die jeden vererbten Vermögensgegenstand unabhängig von der Vermögensart und von der Anzahl der Erben und deren wirtschaftlicher Lage mit 10 Prozent besteuert, müssen die Erben von A, die EvA, 40.000 GE Erbschaftssteuer zahlen. Die Erben von B, die EvB, müssen nichts zahlen, die EvC 35.000 Euro und die EvD 200.000 Euro.
Jetzt ist das Geschrei natürlich groß. Die EvA machen geltend, daß es doch wohl nicht sein könne, daß sie 40.000 GE Strafe für die Sparsamkeit und Bescheidenheit des A zahlen müssen, zumal der B, der alte Verschwender und unausstehliche ehemalige Chef des A, nicht einmal im Stande war, schuldenfrei zu sterben.
Die EvB, die sich überlegen, das nichtvorhandene Erbe auch formal auszuschlagen, weil sie dann die Beerdigungskosten für B sparen, fordern vom Staat Maßnahmen für Zwangssparen und gegen Verschwendung. Der moralische Verfall der Gesellschaft, der den B voll erfaßt habe, müsse aufgehalten werden.
Die EvC haben das Problem, daß sie aus der dünnen Transaktionskasse des C weder die Erbschaftssteuer zahlen, noch das geerbte Haus renovieren können. Vielleicht wird der Verkauf der Bibliothek zumindest die Lücke in der Erbschaftssteuerschuld schließen. Die EvC fordern vom Staat, Wohnimmobilien und alle nicht liquiden Vermögensgegenstände von der Erbschaftssteuer freizustellen.
Die EvD kriegen sich gegenseitig in die Haare. EvD1 hat als ältester Sohn den Betrieb geerbt und die Hälfte der Transaktionskasse. EvD2 bekommt den Rest und die Wohnimmobilien. EvD1 müßte einen Kredit aufnehmen, um seinen Anteil an der Erbschaftssteuer zu begleichen und den Handwerksbetrieb fortführen zu können. Er ist jedoch anderweitig so hoch verschuldet, daß er keinen Kredit bekommt.
EvD2 verkauft eine von 10 Mietwohnungen, um seinen Erbschaftssteueranteil zu bezahlen. Er schließt sich sowohl der Forderung der EvC an, Wohnimmobilien von der Erbschaftssteuer zu befreien, als auch der Forderung der EvB, daß der Staat für Zwangssparen zu sorgen und den moralischen Verfall der Gesellschaft aufzuhalten habe. Seinem Bruder EvD1 hätte es nie erlaubt werden dürfen, sich so hoch zu verschulden. Er könne jetzt nicht einmal den väterlichen Betrieb fortführen.
Alle sind sich einig, daß die Erbschaftssteuerregel geändert und ihren eigenen Interessen angepaßt werden muß.
Zieht man aber zur Beurteilung dieser Erbschaftssteuerregel die Rechts- und Moralphilosophie von Immanuel Kant heran, dann ist diese Erbschaftssteuerregel gerecht. Nach Kant ist das „angeborne Recht des Menschen … nur ein einziges: Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“3 Das Recht ist deshalb der Inbegriff der Bedingungen, unter denen der Wille des einen Menschen mit dem Willen des anderen Menschen unter einem allgemeinen Gesetze der Freiheit nebeneinander bestehen kann.
Der Staat hat zwar die Befugnis zur Anwendung von Zwang, um eine Verfassung von der größten Freiheit zwischen Menschen zu errichten und zu sichern, nicht jedoch zur Errichtung einer Verfassung von der größten Glückseligkeit und Wohlfahrt. Der Staat darf keine Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen per Gesetz – und das heißt per Zwang – durchsetzen oder fördern. Der Staat hat lediglich dafür zu sorgen, dass die Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen der Menschen nebeneinander bestehen können.
Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen sind ausschließlich individuelle Lebensführungsprogramme. Kein Mensch, keine Gruppe, keine noch so demokratisch gewählte Mehrheit und auch kein Staat haben deshalb das Recht, Menschen zu zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise glücklich zu sein. Jeder Mensch hat das Recht, auf seine Art nach Glück zu streben. Das heißt, daß der Staat auch nicht das Recht hat, die Gesellschaft auf bestimmte „Förderziele“ zu verpflichten.
Die betrachtete Erbschaftssteuerregel ist entsprechend dieses rechts- und moralphilosophischen Beurteilungsmaßstabes gerecht. Sie enthält keine Beurteilungen des Lebensstils und der Entscheidungen der Erblasser, also keine Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen. Sie unterscheidet aus Gerechtigkeitsgründen nicht zwischen unterschiedlichen Vermögensgegenständen oder Verwendungsweisen. Auch werden die Folgen nicht beurteilt. Diese sind der materielle Ausfluß der freien Entscheidungen der Menschen, die Folge des Willens und der Freiheit der Individuen.
Natürlich ist diese Erbschaftssteuerregel nicht die einzige mögliche Regel, um die von Immanuel Kant formulierten Bedingungen zu erfüllen. Es wäre mit der Gerechtigkeit auch vereinbar, überhaupt keine Erbschaftssteuer zu erheben. Die Gerechtigkeit erfordert lediglich, entweder alle Vermögensgegenstände im Erbfall gleich zu besteuern oder keinen. Tertium non datur! Kompromisse und Zwischenlösungen führen zur Ungerechtigkeit.
Sollte also keine Gleichbehandlung bei der Regelung der Erbschaftssteuer erreicht werden können, muß die Erbschaftssteuer abgeschafft werden.
Obwohl sowohl eine Erbschaftssteuer ohne jegliche Ausnahmen ebenso gerecht ist wie die vollständige Abschaffung der Erbschaftssteuer, stellt sich über Kant hinausgehend die Frage, welche dieser beiden gerechten Regeln ökonomisch sinnvoll ist. Eine Erbschaftssteuer ohne jegliche Ausnahmen würde die Fortführung von vererbten Betrieben und Unternehmen erheblich erschweren und vielfach unmöglich machen, was erhebliche Wachstumseinbußen in einer Volkswirtschaft zur Folge hat. Zudem geht jede Form der Vermögens- und Substanzbesteuerung mit gesamtwirtschaftlichen Wachstumseinbußen einher und das unabhängig davon, ob das zu besteuernde Vermögen vererbt wird oder nicht.
Das bedeutet in Bezug auf die Vorschläge von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und die Diskussion von einigen Ökonomen, daß eine Erhöhung der Erbschaftssteuer durch vollständige Abschaffung aller Ausnahmetatbestände zwar gerecht, aber ökonomisch katastrophal wäre. Die deutsche Wirtschaft leidet bereits an einer ausgeprägten Wachstums- und Investitionsschwäche. Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer dürfte die Investitionsschwäche weiter verstärken und in der Folge die Gesamtsteuereinnahmen senken. Nun dürfte selbst Lars Klingbeil nicht so tollkühn agieren, daß er alle Ausnahmetatbestände bei der Erbschaftssteuer abschafft. Er muß sich dann aber den Vorwurf gefallen lassen, daß er im Sinne Kants ungerecht handelt.
Wer im Sinne von Immanuel Kant gerecht und darüber hinaus ökonomisch sinnvoll im Sinne von wachstums- und investitionsfördernd handeln will, muß die Erbschaftssteuer komplett abschaffen.
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1 Siehe Julia Löhr und Johannes Pennekamp: „Die Steuer für die ärmeren Reichen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. August 2025, Nr. 192, S. 15.
2 Darauf hatten wir bereits 2016 hingewiesen, vgl. zu den folgenden Absätzen Norbert F. Tofall:Was wäre eine gerechte Erbschaftssteuer, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 14. April 2016.
3 Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten, 1797, Werkausgabe VIII., herausgeben von Wilhelm Weischedel, 5. Auflage, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1982, AB 45, S. 345.
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