ESSAY. Die produktive Lösung des Konflikts zwischen Netzwerkökonomie und Wohlfahrtsstaat wäre die Schaffung eines sozialen Konsenses für größere finanzielle Ungleichheit zwischen Leistungsträgern und Empfängern staatlicher Leistungen.
Eine Zeit des Umbruchs liegt in der Luft. Mit Künstlicher Intelligenz und Computerkryptografie gehen Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Siegeszug des Internets in eine zweite Runde der Digitalisierung. Die bekannte Weltordnung zerfällt und es droht eine anarchische Weltunordnung. Gleichzeitig wird die Gesellschaft von einem Kulturkampf zerrissen und der Versorgungstaat hat die Grenze seiner Finanzierbarkeit überschritten. In diesem Essay möchte ich das Geschehen in geschichtliche Zusammenhänge einordnen und Szenarien für die Zukunft entwerfen. Dabei komme ich ohne kühne Pinselstriche und wagemutige Spekulationen nicht aus. Es wäre vermessen, zu erwarten, dass mir der Leser in allem folgen wird. Aber ich hoffe, ihn zumindest so weit mitnehmen zu können, dass ihm aus der Lektüre ein paar Erkenntnisse erwachsen.
Im ersten Abschnitt geht es um die historische Entwicklung der Wirtschaftsweise. Dem folgen eine Diskussion der sich daraus ergebenden Folgen für die politische Ordnung und die Finanzmärkte. Zum Abschluss wage ich einen Blick in die Zukunft.
1. Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung
In einem 1997 erschienenen Buch unternahmen James Dale Davidson und William Rees-Mogg einen Parforceritt durch die Wirtschaftsgeschichte.1 Alles begann mit der Gesellschaft der Jäger und Sammler. Die Jagdgründe mussten groß sein, um auch nur einen überschaubaren Stamm ernähren zu können, und beim Jagen und Sammeln war Zurückhaltung geboten, damit Wild und Früchte nachwachsen konnten. Die Weltbevölkerung war daher sehr klein. Die Arbeitsteilung erfolgte nach Geschlechtern. Männer jagten, Frauen sammelten Essbares und kümmerten sich um Kinder und Lager.
Der paradiesische Urzustand
Privates Eigentum spielte keine Rolle; gespart wurde so gut wie nicht, da es dafür keinen Grund gab; und die „Produktionsmittel“ bestanden aus primitivem Jagdgerät. Gearbeitet wurde nur nach Bedarf – mit etwas Glück beim Jagen und Sammeln daher wenig – und die Früchte der Arbeit wurden nach religiösen oder rituellen Sitten statt nach Leistung verteilt. Ein Jahr, ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert glich dem anderen. Außer Zeichnungen an den Wänden von Wohnhöhlen wurde nichts überliefert, es gab keinen Fortschritt. Den viel später in der Geschichte auftretenden Christen erschien das als „Paradies“, den noch späteren Sozialromantikern als das Ende der Geschichte im Sozialismus.
Die Agrarwirtschaft
Der „Sündenfall“ kam mit der Erkenntnis, dass man mehr ernten konnte, wenn man selbst vorher gesät hatte. Die Gesellschaft der Jäger und Sammler wurde aus dem Paradies vertrieben und landete in der schweißtreibenden Agrarwirtschaft: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (1. Mose 3:19). Mit der landwirtschaftlichen Revolution konnte eine größere Zahl an Menschen ernährt werden. Die Bevölkerung nahm zu und wurde sesshaft. Arbeitsteilung nach speziellen Fertigkeiten begann, die Arbeitsteilung nach Geschlecht abzulösen. Land und Kapital in Form Vieh und (vor allem im Nahen Osten) von Bewässerungssystemen kamen als Produktionsmittel auf die Welt. Ressourcen mussten für die Aufzucht von Vieh und den Bau von Kapitalgütern abgezweigt und Saatgut musste angespart werden. Das Wohlergehen hing vom Eigentum von Land, Vorräten und Anteilen an den Kapitalgütern ab.
Mit dem Privateigentum kamen Diebstahl und Steuern. Leistung ist die legitime, Diebstahl die illegitime Art, Privateigentum zu erwerben. Ohne Privateigentum haben beide keinen Grund. Gleichermaßen ist Leistung für den Erwerb von Eigentum sinnlos, wenn es keinen Schutz vor Diebstahl gibt. Die Nachfrage nach Schutz lockte ein entsprechendes Angebot hervor, zunächst durch gemeinsam organisierte Eigenleistungen der Schutzbedürftigen, dann im Zuge der Arbeitsteilung durch spezialisierte Schutzanbieter. Dank zunehmender Skalenerträge wird die Gewährung von Schutz umso billiger, desto größer die zu beschützende Gruppe. Das förderte die Bildung von Städten. Da auch die Bewohner des Umlands an Schutz interessiert waren, dehnten die Städte ihr Wirkungsgebiet aus. Sie wurden zu Stadtstaaten, wie Athen oder Rom, und später zu Staaten, wie das römische Reich.
Feudalismus in der Agrarwirtschaft
Nach der Übernahme Roms durch germanische Stämme gegen Ende des fünften Jahrhunderts zerfiel die zentrale Staatsmacht in Europa. Doch die Nachfrage nach Schutz gegen marodierende Banden nahm zu. Lokale Schutzanbieter befriedigten sie. Daraus entwickelte sich das System des Feudalismus. Feudalherren gewährten Schutz in regionaler Hierarchie, vom Sprengel bis zur Region, vom Freiherr bis zum Kaiser. Die hierarchische Gliederung der christlichen Kirche lieferte oft den Maßstab. Kirche und Feudalherrschaft bildeten eine Interessensgemeinschaft.
Die Agrarwirtschaft war produktiver als die Wirtschaft der Jäger und Sammler. Die Produktivität wuchs, aber langsam. Ein Beispiel für dieses Produktivitätswachstum ist die Ablösung des Jochs durch das Kumet im Hochmittelalter. Mit dem Joch zogen Ochsen über Jahrtausende Pflüge mit dem Kopf oder Nacken. Die begrenzte Zugkraft erlaubte keine schweren Pflüge. Das Kumet ist dagegen ein Lederring, der dem Tier über den Kopf gestülpt wird. Damit zieht es mit Brust und Schulter. Die höhere Zugkraft ließ schwere Pflüge zu, mit denen tiefere Ackerfurchen gezogen werden konnten. Der Ertrag stieg. Doch dieser technische Fortschritt ließ jahrtausendlang auf sich warten.
Zeit des Umbruchs
Tiefgreifendere Änderungen begannen im 15. Jahrhundert. Durch Korruption und moralischen Verfall – inklusive Sexorgien im Vatikan unter Papst Alexander VI. - verlor die Kirche an Autorität. Gleichzeitig schien ihr Hunger nach Ressourcen zum Unterhalt des Klerus und Bau von Kirchenpalästen unstillbar. Mit dem Verkauf von Sündenablässen verschaffte sie sich zusätzliche Einnahmen. Mit Ablässen konnten sich Gläubige im Jenseits nach Tarif Jahre im Fegefeuer für begangene und sogar geplante Sünden ersparen. Doch weil es der Klerus allzu bunt trieb, kippte die Stimmung. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts konnten „Reformatoren“ wie der deutsche Mönch Martin Luther das selbsterklärte Monopol der Kirche für die Regelung der Beziehung der Gläubigen zu Gott brechen. Nicht durch Ablass der Kirche, sondern durch den Glauben, die Lektüre der Bibel und direkte Zwiesprache mit Christus konnte der Gläubige Gnade erlangen. Das Individuum bekam Vorrang vor der Institution.
Für die Kirche brachte die Reformation ein finanzielles Desaster. Auf ihre Vermittlung konnte man verzichten, die Ablässe wurden wertlos und die Nachfrage brach ein. Die Kirche hatte ihre Bonität verloren und die Ablasspapiere glichen den Anleihen eines bankrotten Staates. Mit der Kirche litten auch Künstler und Kunsthandwerker, da ihr wichtigster Kunde wegfiel. Es dauerte Jahrhunderte, bis sich die Kirche von der Spaltung und Finanzkrise erholt hatte.
Eintritt in die Maschinenwirtschaft
Der verstärkte Blick auf das Individuum und die Relativierung der Kirche brachte eine Wiederbelebung der Kultur der Antike in der Renaissance. Die Zurückdrängung der Kirchendoktrin schuf größere intellektuelle Freiheit und ließ die Wissenschaften aufblühen. Technischer Fortschritt war nicht mehr abhängig von zufälligen Entdeckungen, sondern wurde durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse vorangetrieben. Die Zeit der Aufklärung begann.
Zur Umsetzung wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse in die Produktion brauchte es Unternehmer. Aus Theologie und Philosophie entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert die Wirtschaftswissenschaft. Sie sah in Arbeitsteilung, Unternehmen und marktwirtschaftlichem Austausch den Fortschritt. Allgemeine Regeln sollten die Beziehungen freier Individuen untereinander ordnen. Nicht ein launiger Herrscher, sondern das Recht sollte regieren. Das private Eigentum bekam Rechtsschutz. Die Abneigung der Kirche gegen die Finanzwirtschaft, die man gerne des „Wuchers“ verdächtigte, wurde unwichtig. Der Verleih von Ersparnissen gegen Zins und die Beteiligung am Produktivkapital der Unternehmen, bisher den Juden vorbehaltene Aufgaben, wurden auch für Christen gesellschaftsfähig.
Aufgrund durch Mechanisierung steigender Produktivität wuchs das Angebot rascher als die Konsumnachfrage. Das schuf größeren Raum für Ersparnisse und die Bildung von Kapital. Der in der Agrarwirtschaft vornehmlich aus Bewässerungsanlagen und Vieh bestehende Kapitalstock wurde von Maschinen abgelöst. In Fabriken miteinander verbunden und von Wasserkraft, Dampfkraft und schließlich Elektrizität angetrieben, wurden Maschinen zum Herz der Güter produzierenden Wirtschaft. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden am Fließband die notwendigen menschlichen Eingriffe in die maschinelle Produktion so zerlegt, dass sie auch mit schnell angelernten Arbeitskräften ohne besondere Vorkenntnisse ausgeführt werden konnten. Die Agrarwirtschaft wurden von der „Maschinenwirtschaft“ abgelöst.
Gegen den Kapitalismus!
Der Beitrag der Maschinen zur Wertschöpfung ging an die Unternehmer. Wie den Grundbesitzern in der Agrarwirtschaft die Landrente fiel ihnen und ihren Teilhabern der Ertrag des mit unternehmerischem Erfindergeist eingesetzten Kapitals zu. Manche übersahen die entscheidende Unternehmerleistung und verglichen die Kapitaleigner mit den feudalen Grundherren. Wie diese, so die These, würden die Kapitaleigner nicht von der eigenen, sondern der Leistung der in den Unternehmen tätigen Arbeiter profitieren. Verächtlich wurden die Unternehmer „Kapitalisten“ und die Maschinenwirtschaft „Kapitalismus“ genannt.
Nicht nur die mit dem Feudalismus verbandelte Kirche fand den Wechsel von den Feudalherren zu den Kapitalisten als Tonangeber in der Wirtschaft schwierig. Auch Sozialromantiker sahen in der Maschinenwirtschaft die Antithese zur paradiesischen Jäger- und Sammlergesellschaft und wollten den „Kapitalismus“ überwinden. Karl Marx sah die Maschinenwirtschaft als Übergang in eine neue paradiesische Jäger- und Sammlerwirtschaft ohne den früher dort allgegenwärtigen Mangel. Wladimir Lenin leitete mit der Oktoberrevolution im Jahr 1917 ausgerechnet im agrarisch rückständigen Russland den Praxistest dieser Philosophie ein. 1989 scheiterte dieser Test spektakulär, 1991 ging das Sowjetimperium unter. Dennoch blieb die kapitalistische Maschinenwirtschaft der Kirche, den Sozialromantikern und vielen Bürgern suspekt, weil sie ihnen „herzlos“ erschien.
Eintritt in die Netzwerkwirtschaft
Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnete sich eine neue Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung an. Die Maschinenwirtschaft wird nicht durch eine moderne Version der Jäger- und Sammlerwirtschaft, sondern durch die Netzwerkwirtschaft abgelöst. In jeder Wirtschaftsform spielt Information eine wichtige Rolle. In der Jäger- und Sammlerwirtschaft wurde sie mündlich über tradierte Sitten und Gebräuche weitergegeben und in Form von Höhlenzeichnungen bruchstückhaft der Nachwelt überliefert. In der Agrarwirtschaft entstand die Schrift, um Vorräte erfassen und den Eignern zuordnen zu können. Mit der Arbeitsteilung entstanden Märkte, auf denen Produzenten und Konsumenten im Güterhandel Informationen über Angebot und Bedarf austauschten.
In der Maschinenwirtschaft wurden Informationen innerhalb der Unternehmen zur Produktion und außerhalb dieser am Markt zur Abstimmung mit der Nachfrage ausgetauscht. Mechanische Rechner wie der Abakus existierten schon seit sumerischen Zeiten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie in Deutschland, England und den USA zu leistungsfähigen mechanischen Computern entwickelt. In den USA wurden die Computer dann elektrifiziert. Mit den elektronischen Rechnern konnte die Steuerung mechanischer Maschinen verbessert werden. Schließlich sah J.C.R. Licklider, der in den 1960er-Jahren die Advanced Research Projects Agency (ARPA) des US-Verteidigungsministeriums leitete, eine neue Rolle für die in der Nachkriegszeit weiterentwickelten Computer. Als Kommunikationsmedium zwischen Menschen würde sie eine weit größere Wirkung entfalten, als wenn sie nur Rechenarbeiten übernehmen würden.
Vom WWW zur KI
Ende der 1960er-Jahre entstand als Auftragsarbeit für die US Airforce das ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network). Das Netz sollte unterschiedliche US-amerikanische Universitäten, die für das Verteidigungsministerium forschten, miteinander verbinden. Die Verbindungen wurden über Telefonleitungen hergestellt. Das damals revolutionäre dezentrale Konzept enthielt die grundlegenden Aspekte des heutigen Internets und markiert den Übergang zur Netzwerkökonomie. Im Jahr 1989 entstand an der Forschungseinrichtung CERN in der Nähe von Genf das World-Wide-Web (WWW), mit dem ursprünglich auf effiziente Weise wissenschaftliche Artikel vernetzt wurden. Bald wurden jedoch Informationen jedweder Art in das WWW geladen und über Suchmaschinen (Browsers) zugänglich gemacht.
Das Informationsnetzwerk des World-Wide-Web entwickelte sich zu einem wichtigen Produktionsmittel für den auf Informationen angewiesenen Dienstleistungssektor. Gleichzeitig wurden auch Maschinen vernetzt („Internet der Dinge“) und Eigentumstitel mit kryptografischer Verschlüsselung über das Internet (mittels „Distributed Ledger Technologie“) übertragbar gemacht. Auf der Grundlage der im WWW verfügbaren Informationen wurden Verfahren („Large Language Models“) entwickelt, die durch algorithmische Interpolation von Wortfolgen zu Sätzen menschliche Intelligenz simulierten. Die absehbare nächste Stufe in dieser Entwicklung sind Algorithmen, die menschliche Intelligenz nicht nur nachbilden, sondern erweitern („General Artificial Intelligence“). Die Vernetzung von Informationen für Mensch und Maschine wurde zum bestimmenden Merkmal einer neuen Wirtschaftsweise, der Netzwerkwirtschaft.
Folgen der Netzwerkwirtschaft
Besonders zwei Folgen des Übergangs zur Netzwerkwirtschaft dürften einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft haben: Zunehmende Skalenerträge und die Verdrängung menschlicher durch künstliche Intelligenz. In der Agrar- und Maschinenwirtschaft galt das Gesetz der abnehmende Skalenerträge. Mit zusätzlichem Einsatz von Land und Kapital nahm der Zuwachs der Produktion ab: nach dem Einsatz von fruchtbarem Ackerland folgte die Erschließung von weniger fruchtbarem Land, und nach der maschinellen Mechanisierung einfacher Prozesse wurde die Mechanisierung komplexer. In der Netz-werkwirtschaft gilt dagegen das Gesetz der zunehmenden Skalenerträge. Je größer das Netzwerk, desto größer der Umfang der Information und desto höher der Ertrag aus der Verarbeitung der Information.
Daraus folgt jedoch nicht, dass es in der Netzwerkwirtschaft notwendigerweise einen alles beherrschenden Monopolisten geben wird. Das ist nur dann der Fall, wenn sich der Staat gewaltsam an die Spitze der Netzwerkwirtschaft setzt. In China geht die Entwicklung in diese Richtung. Wo der Staat jedoch nicht die unternehmerische Entscheidung trifft, entsteht eine Mischung von großen und kleinen Netzwerkunternehmen. So bilden zum Beispiel der einzelne vernetzte Taxifahrer oder Wohnungsanbieter Symbiosen mit den großen Plattformunternehmen Uber und AirBnB. Durch Produktdifferenzierung existieren mehrere soziale Medien nebeneinander. Während in der Maschinenwirtschaft menschliche Arbeitskraft in der Fabrik mit den Maschinen gekoppelt wurde, ergänzen und konkurrieren große Plattformen in der Netzwerkwirtschaft miteinander und vernetzen Anbieter mit Nachfragern. Statt von Menschen „bedient“ zu werden, kooperieren vernetzte Maschinen weitgehend selbstständig miteinander.
Menschliche Intelligenz simulierende künstliche Intelligenz kann unkreative Büroarbeit weitgehend ersetzen. Allgemeine künstliche Intelligenz wird über kurz oder lang mit menschlicher Kreativität und wissenschaftlicher Forschung konkurrieren. Wie durch die Mechanisierung in der Maschinenwirtschaft werden durch zunehmende Skalenerträge und künstliche Intelligenz viele Arbeitskräfte freigesetzt werden. Gleichzeitig steigt die Produktivität der weiterhin wirtschaftlich Aktiven – womöglich noch mehr als im Übergang von der Agrar- zur Maschinenwirtschaft.
In der Netzwerkwirtschaft werden Netzwerkspezialisten und von künstlicher Intelligenz nicht zu erledigenden Arbeiter gebraucht. Dazu zählen Betreuungskräfte für junge, alte und andere hilfsbedürftige Menschen wie Kindergärtnerinnen, Altenpfleger oder Psychologen. Gebraucht werden auch Handwerker, vom Klempner bis zum Zahnarzt, sowie Hausangestellte für die Netzwerkspezialisten. Weitgehend überflüssig werden ungelernte Industriearbeiter, unkreative Büroarbeiter und viele freiberufliche Beratungsberufe. Trotz einer wegen der Alterung der Gesellschaft schrumpfenden Erwerbsbevölkerung steigt die Arbeitslosigkeit. Doch der Fachkräftemangel bleibt, weil sich ungelernte Industriearbeiter, unkreative Büroarbeiter und freiberufliche Berater kaum zu Netzwerkspezialisten oder KI-komplementären Berufen umschulen lassen. Großzügig staatliche Arbeitslosenunterstützung mindert die Anreize, sich anzustrengen.
Die Bruttolöhne für die Netzwerkspezialisten und die durch künstliche Intelligenz nicht zu ersetzenden Arbeitskräfte werden steigen. Die Verteilung der Bruttoeinkommen wird wesentlich ungleicher werden als in der Maschinenökonomie, wo sogar ungelernte Fließbandarbeiter beachtliche Einkommen erzielen konnten. Wie die Landrenten der Minderheit der Feudalherren in der Agrarwirtschaft werden die Verdienste der Minderheit der Netzwerkspezialisten enorm sein. Mit dem Unterschied, dass die Feudalherren ihre Landrenten durch Gewaltandrohung eintrieben, während die Netzwerkspezialisten ihre Verdienste durch wirtschaftliche Produktivität erzielen. Mit Abstand folgen die zahlreicheren von KI nicht zu ersetzenden Arbeiter. Darunter wird es eine Unterschicht geben, die vornehmlich von staatlichen Transfers lebt.
2. Bankrott des Versorgungsstaat
Im Agrarstaat gab es im günstigsten Fall Almosen für die Armen. Die Kirche übernahm eine wichtige Rolle bei der Vergabe. Die Armenversorgung blieb dennoch bescheiden, galt es doch, mit geringer Produktivität die mächtigere aber selbst unproduktive Feudalgesellschaft gut zu versorgen.
Auftritt des Nationalstaats
In der Maschinenwirtschaft wurden die früheren Feudalherren von den Unternehmern abgelöst. Schnell spielten diese eine wesentlich größere wirtschaftliche Rolle als früher die Feudalherren. Die herkömmliche Delegation politischer Macht vom zentralen Herrscher König oder Kaiser über verschiedene Stufen der feudalen Hierarchie passte nicht länger zur Verteilung der wirtschaftlichen Macht. Mit der Modernisierung von Transport und Kommunikation fiel auch die Notwendigkeit weg, über die Vermittlung der Feudalhierarchie politische Macht vom Zentrum bis zur Basis auszuüben. Die Feudalhierarchie wurde überflüssig, Unternehmer traten in der Wirtschaft an die Stelle der Feudalherren, und König oder Kaiser regierten das Volk direkt durch ihre Staatsbürokratie. Gemeinsame Sprache statt Zuordnung zur jeweiligen Feudalherrschaft definierte das Volk. Mit der französischen Revolution breitete sich der der Nationalstaat aus.
Vom Kapitalismus zum Versorgungstaat
Wie der agrarische Zentralstaat der Antike und die Feudalherrschaft im Mittelalter übernahm der Nationalstaat die Aufgabe, für innere und äußere Sicherheit zu sorgen. Der Aufwand dafür war überschaubar und der Staat beanspruchte einen moderaten Teil der gesamten wirtschaftlichen Leistung. Doch die Mechanisierung der Produktion und die Entwicklung der Maschinenwirtschaft setzte Arbeitskräfte frei. Die Armut stieg zunächst an. Höhere Produktivität ließ das Güterangebot steigen, Arbeitslosigkeit und Hungerlöhne ließen die Nachfrage fallen. Karl Marx war ein scharfer Beobachter der im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung in England entstehenden Überproduktion und Unterkonsumtion. Er folgerte daraus, dass es zu ruinöser Konkurrenz der Anbieter, Hungerlöhnen und Verelendung der besitzlosen Arbeiter, und schließlich zur Revolution des „Proletariats“ kommen würde. Dadurch würde sich das Tor zum paradiesähnlichen Kommunismus öffnen.
Dabei übersah er nicht nur, dass die Maschinenwirtschaft ohne die Leistung der Unternehmer nicht lebensfähig war. Sondern er ignorierte auch, dass England überzählige Arbeiter in seine Überseekolonien exportierte und das Deutsche Reich unter Otto von Bismarck zur Befriedung der Arbeiterschaft die Sozialversicherung einführte.
Aus der ursprünglich sparsam dimensionierten Sozialversicherung entwickelte sich im Lauf des folgenden Jahrhunderts in den westlichen Industrieländern - in aufsteigender Reihenfolge der Transferleistungen - der Sozialstaat, der Wohlfahrtsstaat und der allgemeine Versorgungsstaat. Gleichzeitig organisierten sich Industriearbeiter zu Durchsetzung höherer Löhne in Gewerkschaften. Auch ungelernte Arbeitskräfte konnten Löhne erzielen, von denen gleichwertige Arbeitskräfte in weniger entwickelten Ländern nur träumen konnten.
Treiber dieser Entwicklungen war das sich auf die ganze Erwachsenenbevölkerung ausweitende Wahlrecht. Solange ein Verhältniswahlrecht galt, bei dem Wählerstimmen wie im preußischen Dreiklassenwahlrecht nach Steuerzahlungen gewichtet wurden, spielte die Bereitstellung öffentlicher Güter wie innere und äußere Sicherheit die wichtigste Rolle bei den Staatsaufgaben. Der Staat unterdrückte im Sinne der mehr Steuern zahlenden Unternehmer die organisierte Arbeiterschaft.
Mit der Ausweitung des Wahlrechts auf die gesamte Erwachsenenbevölkerung in der demokratischen Staatsform gewannen die Empfänger von staatlichen Transferleistungen und die immer zahlreicheren Staatsbediensteten an politischem Gewicht. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft war im Jahr 2019 ungefähr die Hälfte der deutschen Haushalte Nettoempfänger staatlicher Geldtransfers.2 Die obersten zehn Prozent der Steuerzahler kamen für rund 55 Prozent aller Einkommenssteuern auf. Da die Transferempfänger und die Staatsbediensteten zahlreicher und die Gewerkschaften und Sozialverbände besser organisiert sind als die weniger zahlreichen Zahler hoher Steuern ist der Einfluss der vom Staat abhängigen Haushalte auf die Politik größer als der Einfluss der Leistungsträger.
In Deutschland sind die von Staatsleistungen in Form von Transfers und Gehältern abhängigen Wähler durch SPD, Grüne, Linke und einen großen Teil der CDU/CSU vertreten. Arbeiter und kleinere Selbstständige tendieren zur AfD. Die Leistungsträger sind politisch weitgehend heimatlos. Sozialausgaben und Transferleistungen machen daher mehr als die Hälfte aller Staatsausgaben aus.3 Hinzu kommt die Entlohnung für die wuchernde Staatsbürokratie.
Der Staat als Anbieter öffentlicher Güter und Umverteiler
Zwischen der Bereitstellung öffentlicher Güter und der Umverteilung durch den Staat besteht ein grundsätzlicher Konflikt. Konzentriert sich der Staat auf die erste Aufgabe, ist sein Bedarf an Mitteln begrenzt und die Steuer- und Abgabelast moderat. Dies lässt Raum für privatwirtschaftliches Unternehmertum und ebnet den Weg für hohes Wirtschaftswachstum, wie es während der Gründerzeit vor dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachten war. Stellt der Staat jedoch die Umverteilung an erste Stelle, stirbt die privatwirtschaftliche Initiative ab und der Wohlstand schmilzt. Im Extremfall bricht der Staat unter der Leistungsverweigerung der Leistungsträger und dem Anspruch der Transferempfänger zusammen. Das war das Schicksal des Sowjetimperiums, das 1991 aufgrund seiner mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kollabierte.
In der Nachkriegszeit fand der westliche Wohlfahrtsstaat einen Mittelweg, indem er die Bereitstellung öffentlicher Güter wie innere und äußere Sicherheit mit einer erträglichen Umverteilung verband. Dabei half ihm, dass die Bedrohung durch die Sowjetunion die Zahlungsbereitschaft privater Wirtschaftsakteure für den von ihm gewährten Schutz erhöhte. Als mit dem Untergang der Sowjetunion die äußere Bedrohung jedoch wegfiel, bauten vor allem die europäischen Regierungen mit den Einsparungen für die Verteidigung den Wohlfahrtsstaat zum umfassenden Versorgungsstaat aus. Die USA führten im Nahen Osten weiterhin Kriege.
Die Überdehnung des Versorgungsstaats
Doch der Bedarf an Finanzmitteln für den europäischen Versorgungsstaat war so groß, dass die Schrumpfung der Verteidigungsausgaben für dessen Ausbau nicht reichte. Die meisten Staaten nahmen zusätzliche Schulden auf. Der deutsche Staat, der die Schuldenaufnahme begrenzte, finanzierte den Ausbau des Versorgungsstaat durch Vernachlässigung der Investitionen in die Infrastruktur. Zusammen mit einer wuchernden Staatsbürokratie, ineffizienten und kostspieligen Energiepolitik, einem durch unkontrollierte Immigration aus kulturfernen Regionen in die Knie gehenden Bildungssystems sowie steigender Steuer- und Abgabenlast hat die Politik des deutschen Versorgungsstaats das Wirtschaftswachstum abgewürgt. Seit sechs Jahren (dem dritten Quartal 2019) stagniert das reale deutsche Bruttoinlandsprodukt. Aufgrund der steigenden Zahl unproduktiver Zuwanderer hat es pro Kopf sogar um 1,7 Prozent abgenommen.
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem Abbau des militärischen Schutzschirms der USA für Europa durch die Regierung von Donald Trump steigt der Bedarf an Finanzmitteln für die Rüstung. Deutschland braucht höhere Staatsinvestitionen, um die lange vernachlässigte öffentliche Infrastruktur zu sanieren. Gleichzeitig beschleunigt sich der Anstieg der Sozialausgaben durch unkontrollierte Einwanderung in den Versorgungsstaat, und auf die öffentlichen Rentenkassen kommen höhere Ausgaben durch die Verrentung der zahlenmäßig starken Generation der Babyboomer zu.
Schon heute steht der Versorgungsstaat unter enormen finanziellen Stress. Der mit dem Übergang zur Netzwerkwirtschaft kommende Anstieg der Arbeitslosigkeit wird ihn wohl in den Bankrott treiben. Nach den ersten hundert Tagen im Amt zeichnet sich ab: Die Regierung Merz wird den Bankrott des deutschen Versorgungsstaats kaum verhindern.
3. Utopie und Dystopie: Globalisierung oder Deglobalisierung?
Zwischen Netzwerkwirtschaft und Versorgungsstaat gibt es einen fundamentalen Konflikt. Aufgrund steigender Produktivität wird in der Netzwerkwirtschaft die Kapitalrendite und der diese wiederspiegelnde natürliche Realzins steigen. Doch der schuldenfinanzierte Versorgungsstaat ist auf niedrige Schuldzinsen angewiesen. Ansonsten kann er die an ihn gestellten Ansprüche nicht mehr erfüllen, weil ihn der Schuldendienst auffrisst.
Finanzblasen und Bailouts
Die staatliche Zentralbank wird daher durch steigende Geldemission für niedrige Schuldzinsen sorgen müssen. Die monetäre Finanzierung staatlicher Neuverschuldung wird jedoch die Inflation steigen lassen. Der von der Zentralbank manipulierte reale Schuldzins wird daher deutlich unter den realen natürlichen Zins fallen. Die Bewertungen realer Vermögenswerte werden weiter steigen.
Überbewertungen von Aktien, Immobilien und anderen realen Vermögenswerten führen zu Preisblasen, die anfällig für Stimmungsschwankungen der Anleger sind. Selbst kleine Überraschungen können zu Wechselbädern der Gefühle zwischen Euphorie und Panik führen. Die Preisvolatilität realer Anlagen steigt. Wenn größere Preisblasen platzen, kommt es zu Finanzkrisen. Zur Bekämpfung der Krisen erhöht die Zentralbank sukzessiv die Geldemission. Durch die Wiederkehr von Finanzblasen und Finanzkrisen gerät die Inflation außer Kontrolle, das Vertrauen in das von der Zentralbank (in Kooperation mit den Kreditbanken) geschaffene Geld und in den Staat schwindet. Wohin führt dies?
Utopie: Das souveräne Individuum
Als Davidson und Rees-Mogg ihr im Jahr 1997 veröffentlichtes Buch schrieben, nahm die Globalisierung Fahrt auf. Eine universale Weltordnung, das „Global Village“, schien zu entstehen. Der lange Arm des Nationalstaats beim Zugriff auf seine Bürger schien schwach zu werden. Wo der Nationalstaat weiterhin die Leistungsträger schröpfte, schien die Flucht in andere Jurisdiktionen zur leicht greifbaren Option zu werden. Schließlich wurde es in der Netzwerkwirtschaft möglich, von jedem geografischen Standort aus an Produktion und wirtschaftlichem Austausch teilnehmen zu können. Neue Städte mit besseren Rechtssystemen, sogenannte Charter-Cities, sollten auf von Nationalstaaten gemieteten „grünen Wiesen“ entstehen können.
Die Autoren des Buches sahen im Zeitalter der Netzwerkwirtschaft die Ablösung des Nationalstaats durch das „souveräne Individuum“ voraus: „The thesis of this book is that the massed power of the nation-state is destined to be privatized and commercialized” (op.cit., S. 259). Ayn Rand hatte eine ähnliche Vision. Am Ende ihres 1957 erschienenen Romans "Atlas Shrugged" versammeln sich die Helden in einem versteckten Tal. Dort planen sie, eine neue Gesellschaft aufzubauen, die auf den Prinzipien des Kapitalismus und Individualismus basiert. Die Gegner der korrupten und kollabierenden Außenwelt wollen an ihrem Rückzugsort, eine neue Welt schaffen, in der die produktivsten und kreativsten Individuen frei von staatlicher Einmischung und Ausbeutung leben können. Zu Rands Zeiten schien diese Vorstellung eine weltferne Utopie. Davidson und Rees-Mogg sahen in der Entstehung der Netzwerkökonomie, die zu Rands Zeit noch in der unbekannten Zukunft lag, die Grundlage für die Umsetzung der Utopie.
Die Autoren erwarteten eine heftige Gegenwehr des nationalen Versorgungsstaats gegen den Siegeszug des „souveränen Individuums“. Aber sie waren sich sicher, dass dieser untergehen würde. Und sie scheuten vor präzisen Prognosen nicht zurück: „The nationalist reaction will peak in the early decades of the new millennium, then fade as the efficiency of fragmented sovereignties proves superior to the massed power of the nation-state” (op.cit. S. 261). Drei Jahrzehnte später ist jedoch klar, dass der nationale Versorgungsstaat weit mächtiger ist, als Davidson und Rees-Mogg gedacht hatten.
In China ist eine gelenkte Netzwerkwirtschaft entstanden, in der ein totalitärer Staat mit Netzwerktechnologie die vollständige Kontrolle des Individuums anstrebt. In Europa wird die Netzwerkwirtschaft mit einer kafkaesken Bürokratie eingehegt, während in den USA ein irrlichternder Präsident zwischen einem mit Protektionismus erzwungenen Rückfall in die verklärte Zeit der Maschinenwirtschaft und dem Sturm voran an die Spitze der Netzwerkwirtschaft schwankt. Das Ideal individueller Souveränität ist überall verblasst. Gegenwärtig scheint es wahrscheinlicher, dass durch den finanziellen Bankrott des Versorgungsstaats der liberale Rechtsstaat von einem autoritären sozialistischen System abgelöst wird. Fidesz in Ungarn, die Pis in Polen oder der Rassemblement National in Frankreich gehen in diese Richtung.
Dystopie: Ende des liberalen Rechtsstaats
Wenn die Inflation aufgrund der monetären Finanzierung von Staatstransfers zunimmt, werden die in der Netzwerkwirtschaft Beschäftigten das staatliche Schwundgeld durch wertstabiles Privatgeld, wie Gold und Kryptogeld, ersetzen. Ihre Ersparnisse legen sie in realen Vermögenswerten an. Die Kaufkraft der Transferempfänger von staatlichem Schwundgeld sinkt jedoch und ihre Unzufriedenheit steigt. Da sie aufgrund ihrer Überzahl die größere politische Macht haben, setzen sie eine konfiskatorische Besteuerung zur Umverteilung realer Ressourcen durch.
Die Motivation der Leistungsträger kommt zum Erliegen. Sie geben ihre Tätigkeit auf oder wandern ab. Gegen Abwanderung baut der bankrotte Versorgungsstaat die größtmöglichen Hürden auf. Die schon heute existierenden Wegzugssteuern für Besitzer von Vermögenswerten werden ausgebaut. Die Emigration in Länder mit niedrigeren Steuern wird für diese Bevölkerungsgruppe nur noch durch die weitgehende Aufgabe ihres Eigentums möglich.
Die politischen Vertreter der Transferempfänger haben im lange angelegten „Marsch durch die Institutionen“ die Exekutive und Judikative des Staatsapparats durchdrungen. Sie sichern sich ihre Macht, indem sie gegnerische Parteien unter dem Vorwand der Verfassungsfeindlichkeit verbieten lassen. Der Großteil der im bankrotten Versorgungsstaat verbliebenen Bevölkerung zieht sich ins Private zurück. Die politischen Machthaber genießen ihre Privilegien. Die Zustände erinnern an die Feudalwirtschaft – oder an die der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
4. Fazit
Die sich entwickelnde Netzwerkwirtschaft und der demokratische Versorgungsstaat stehen in einem elementaren Konflikt. Die produktive Lösung dieses Konflikts wäre die Schaffung eines sozialen Konsenses für größere finanzielle Ungleichheit zwischen Leistungsträgern und Empfängern staatlicher Leistungen. Möglicherweise gelingt das in den USA. Der Rückbau des Staates und die in Europa viel kritisierte regressive Wirkung von Donald Trumps „Big Beautiful Bill“ zeigen zumindest Ansätze in diese Richtung. Ob diese Ansätze jedoch in eine produktive Lösung des Konflikts führen, ist angesichts der Unberechenbarkeit des Präsidenten unklar.
In Deutschland ist eine produktive Lösung dagegen unwahrscheinlich. Der Versorgungsstaat ist an seinem finanziellen Ende und die Regierung von Friedrich Metz weckt keine Hoffnung auf produktive Reformen. Die Gefahr ist groß, dass mit dem Versorgungsstaat der demokratisch verfasste liberale Rechtsstaat untergeht. SPD, Grüne, Linke und ihr Umfeld wirken darauf hin, den Staat in ihrem Sinn neu zu definieren. Wer sich gegen ihr Verständnis stellt, kann der „Delegitimierung des Staates“ bezichtigt und unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt werden. Der nächste Schritt ist das Verbot der größten Oppositionspartei im Bundestag, der AfD. Der Weg in einen autoritären Sozialismus wäre frei.
Die Aussichten sind in Frankreich und vielen kleineren europäischen Ländern kaum besser. Allein Italien scheint es gelungen zu sein, den Kulturkampf zwischen dem „woken“ Lager und seinen Gegnern zu beenden. Unter Giorgia Meloni ist eine „post-woke“, stabile Regierung rechts der politischen Mitte entstanden. Eine höhere Ungleichheit in den Verteilungen von Einkommen und Vermögen als in anderen EU-Ländern wird anscheinend hingenommen. Mit der „Zwei-Klassen-Medizin“ (bei der Selbstzahler bevorzugt behandelt werden) und dem in den kommenden Jahren über 67 Jahre hinaus sukzessiv weiter steigenden Renteneintrittsalter hat man sich arrangiert. Doch der italienische Versorgungsstaat profitiert von vielerlei Transfers der Europäischen Union. Ob er den Wegfall des größten Nettozahlers in die EU-Finanztöpfe, Deutschlands, verkraften kann, ist fraglich.
Der Blick richtet sich auf Argentinien. Wird Javier Milei aus dem Bankrott des argentinischen Versorgungsstaat eine neue, mit der Netzwerkwirtschaft kompatible politische Ordnung schaffen können? Kann er Ayn Rands Traum verwirklichen und „Galt’s Gulch“ gründen, in dem sich die „souveränen Individuen“ von Henderson und Rees-Mogg versammeln?
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1 „The Sovereign Individual“. Touchstone trade paperback edition April 2020. Dieses Buch hat mich zu dem Essay inspiriert. Zum Teil folge ich seiner Argumentation, zum Teil sehe ich es anders, zum Teil gehe ich darüber hinaus.
3 Öffentliche Ausgaben nach Aufgabenbereichen | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de.
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