22.11.2021 - Kommentare

Finanzmärkte und hybride Kriege

von Norbert F. Tofall


Der Konflikt zwischen China und Taiwan ist für die Finanzmärkte von Bedeutung, weil die Art und Weise, wie dieser Konflikt geführt wird, viele ökonomische und geoökonomische Elemente aufweist und weitreichende ökonomische Konsequenzen nach sich ziehen dürfte. Darüber hinaus dürfte im Verlauf dieses Konflikts noch deutlicher werden, mit welchem Mix aus ökonomischen, politischen und militärischen Maßnahmen China sein Hegemonialstreben im asiatisch-pazifischen Raum umzusetzen beabsichtigt, und welche Handlungen und Gegenmaßnahmen einige Anrainerstaaten sowie Europa und vornehmlich die USA zu ergreifen bereit sind.

Konflikte wie der zwischen China und Taiwan können nur unzureichend in den Denkschablonen klassischer Eroberungskriege analysiert werden. Zwar dürfte China in ein paar Jahren militärisch in der Lage sein, Taiwan im Sinne einer klassischen Eroberung mit Truppen zu besetzen, aber selbst die taiwanesische Regierung in Taipeh hält das Bedrohungsszenario einer Luft- und Seeblockade ihres Inselstaates für wahrscheinlicher. Mit einer wirksamen Luft- und Seeblockade würden der Import und der Export von Waren zwischen Taiwan und dem Rest der Welt zum Erliegen kommen. Taiwan würde ökonomisch austrocknen. Peking könnte mit einer wirksamen Luft- und Seeblockade Taipeh zwingen, Taiwan mit China wiederzuvereinigen.

Dieses Bedrohungsszenario bildet den Hintergrund, auf welchem das Eindringen chinesischer Kampfflugzeuge in den Luftraum Taiwans alles andere als nur chauvinistischer Theaterdonner an chinesischen Nationalfeiertagen darstellt – wie zuletzt im Oktober. Das Eindringen chinesischer Kampfflugzeuge in den Luftraum Taiwans ist ein nicht zu unterschätzender Teil „hybrider“ oder „nichtlinearer“ Kriegführung.

In der NATO wird der Begriff „hybride Kriegführung“, in Russland und China wird der Begriff „nichtlineare Kriegführung“ verwendet. Gemeint ist, daß durch politischen und wirtschaftlichen Druck, massive Propaganda, das Aufstacheln von Protesten der einheimischen Bevölkerung, durch verdeckte Militärmittel und Spezialeinheiten heute selbst ein „blühender Staat im Verlauf von Monaten in einen erbitterten Konflikt verwandelt werden und in Chaos, humanitäre Katastrophe und Bürgerkrieg versinken“ kann.1 Aufgrund der geographischen Insellage Taiwans und der seit 1949 gewachsenen ausgeprägten politisch-kulturellen Identität der taiwanesischen Bevölkerung dürften massive Propaganda aus Peking sowie das Aufstacheln von Protesten der taiwanesischen Bevölkerung durch Peking ebenso wenig erfolgversprechend sein wie verdeckte Militärmittel. Für Peking liegt der Aufbau von politischem und wirtschaftlichem Druck deshalb nahe.

Politisch soll Taiwan möglichst isoliert werden, weshalb Staaten, die Taiwan als Staat oder nur als eigenständigen politischen Akteur anerkennen, mit massiven politischen und vor allem ökonomischen Vergeltungsmaßnahmen bedroht werden. Und ökonomisch soll Taiwan in die Knie gezwungen und ausgetrocknet werden, weshalb eine Luft- und Seeblockade Taiwans in zwei bis vier Jahren ins Werk gesetzt werden könnte.

Sollte China das gelingen, dann sind im weiteren zeitlichen Verlauf Bedrohungen anderer Staaten mit Luft- und Seeblockaden im asiatisch-pazifischen Raum nicht unwahrscheinlich. Das Aufschütten von Inseln und der Ausbau von chinesischen Marinestützpunkten spricht bereits Bände. Je nach geographischer Lage und politischer sowie ökonomischer Situation könnten weitere Elemente nichtlinearer Kriegführung hinzukommen. Und sollte China eine wirksame Luft- und Seeblockade von Taiwan durchsetzen können, dann wird China in anderen Fällen vermutlich nur noch mit ähnlichen oder sogar nur mit weniger drastischen Maßnahmen drohen müssen. Der Verschuldungshebel, der im Rahmen der sogenannten Neuen Seidenstraße systematisch von China ausgebaut wird, könnte dabei im Vorfeld eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Insgesamt könnte China in einigen Jahren große Teile des asiatisch-pazifischen Raums unter seine Hegemonie zwingen, ohne auch nur einen klassischen Eroberungskrieg führen zu müssen. Die ökonomischen Folgen für den Westen und den Rest der Welt dürften selbst dann weitreichend sein, falls China sich bei der Durchsetzung seines eigenen totalitären Gesellschaftssystems in seinem geopolitischen Einflußbereich zurückhalten sollte.

Angesichts dieses Bedrohungsszenarios erscheinen die Bekundungen von US-Präsident Joe Biden, Taiwan verteidigen zu wollen, als fast schon zurückhaltend. Und auch die Entscheidung der australischen Regierung – atomgetriebene U-Boote von den USA zu kaufen, mit denen auch fernab der eigenen Küste strategisch agiert werden kann, anstatt mit U-Booten französischer Bauart lediglich die eigenen Küsten verteidigen zu können – folgt aus der ausgeführten Bedrohungslage. Nur wenn die Seewege im asiatisch-pazifischen Raum wirksam offengehalten und militärisch verteidigt werden, können Luft- und Seeblockaden durch China verhindert werden. Und zur Verhinderung einer Luftblockade Taiwans benötigt man vermutlich auch mehr als nur einen Flugzeugträger. Das eine deutsche Kriegsschiff, das in die Region entsendet wurde, hat hinsichtlich dieser Aufgaben leider nur symbolische Bedeutung.

Während die USA zusammen mit Indien, Japan und Australien mit der sogenannten QUAD eine Art NATO für den asiatisch-pazifischen Raum aufbauen, hält sich die Europäische Union trotz der weitreichenden ökonomischen und politischen Folgen eines von China beherrschten asiatisch-pazifischen Raums noch auffällig zurück. Die EU scheut noch die klare Positionierung und hofft darauf, die ökonomische Globalisierungsrendite aus dem Handel mit China bewahren zu können. Zu viele europäische Konzerne haben sich in den letzten 30 Jahren blauäugig in die ökonomische Abhängigkeit von China begeben.

Ein rechtzeitiges, klares und glaubwürdiges Bekenntnis der EU, auf der Seite der USA zu stehen und notfalls zusammen mit den USA ökonomisch, politisch und militärisch für eine freie Welthandelsordnung und offene Seewege zu kämpfen, könnte jedoch gerade eine fortschreitende De-Globalisierung der Weltwirtschaft begrenzen, falls es durch gemeinsames konsequentes Handeln gelingen sollte, China zur Anerkennung des gleichen Rechts für alle im Welthandel und den internationalen Beziehungen zu drängen. Im Moment sieht es jedoch nicht danach aus, daß der Aufbau von gemeinsamer Gegenmacht zu China vorankommen würde.2

Deshalb könnte in ein paar Jahren bei fortschreitender De-Globalisierung und neuer Bipolarität3 durchaus die unangenehme Situation entstehen, daß einige europäische Konzerne gezwungen sein könnten, sich entweder für einen von den USA angeführten Handelsraum oder für einen von China angeführten Handelsraum zu entscheiden oder sich entsprechend rechtlich und ökonomisch aufzuspalten. Die Folgen für einige deutsche Autobauer dürften weitreichend sein. Das auch von Lobbyisten europäischer Konzerne beförderte Zögern der Europäischen Union, sich klar auf die Seite der USA zu stellen, könnte gerade die Existenz einiger europäische Konzerne gefährden.

Fraglich ist aber gerade deshalb, ob die europäische Politik auf diese Lobbyisten hören sollte. Insbesondere die Autobauer vertreten Sonderinteressen, welche sowohl dem langfristigen europäischen Gesamtinteresse als auch den strategischen Interessen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten entgegenstehen. In Deutschland wird beispielsweise immer die Verletzlichkeit der deutschen Autoindustrie aufgrund der Abhängigkeit vom chinesischen Markt betont. Wird aber der gesamte deutsche Handel mit China betrachtet, dann fällt auf, daß erstens Deutschland mit China ein Handelsbilanzdefizit hat und zweitens der Anteil der Exporte nach und Importe aus China überschaubar ist:4

Sollten wir angesichts dieser insgesamt noch verhältnismäßig überschaubaren Gesamtverflechtung mit China tatsächlich unsere strategischen politischen und ökonomischen Gesamtinteressen vernachlässigen und den Sonderinteressen einzelner Industriezweige den Vorrang einräumen?

Noch könnte Zeit vorhanden sein, daß die EU und die USA rechtzeitig gemeinsame Gegenmacht gegen China aufbauen. Die Zeit wird jedoch immer knapper. Aber eines ist sicher: Früher oder später werden die Finanzmärkte die ökonomischen Folgen des hybriden Krieges im asiatisch-pazifischen Raum bewerten und auf die betriebswirtschaftlichen Einheiten herunterbrechen.


1 So der russische Generalstabschef Walerij Gerassimow Anfang 2013 im Fachblatt „Mi­litärisch-Industrieller Kurier“, zitiert nach Michael Roick: Lebt Putin in einer „anderen Welt“? Ein Versuch, die russische (Außen-)Politik zu verstehen, Potsdam (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit) 2014, S. 8., S. 8; Roick zitiert hier den Artikel „Die Welt in Scherben“ aus der Süddeutschen Zeitung vom 19. Juli 2014.

2 Siehe Norbert F. Tofall: Das China-Dilemma. Oder wie geht man mit einem Systemgegner um? Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 12. Februar 2021, online: www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/das-china-dilemma-oder-wie-geht-man-mit-einem-systemgegner-um/

3 Siehe Norbert F. Tofall: De-Globalisierung und neue Bipolarität? Wohin führt die strategische Rivalität zwischen China und den USA? Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 6. Dezember 2019, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/de-globalisierung-und-neue-bipolaritaet/ 

4 Für diesen wichtigen Hinweis danke ich dem Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institutes, Prof. Dr. Thomas Mayer.

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