20.10.2021 - Kommentare

Zur Lage in den USA

von Norbert F. Tofall


US-Präsident Joe Biden ist es seit seiner Amtsübernahme im Januar 2021 bislang nicht gelungen, die politische und gesellschaftliche Polarisierung in den USA zu vermindern. Anders als sein Vorgänger Donald Trump heizt Joe Biden die politische Polarisierung zwar nicht selbst weiter an und ist bemüht, durch eine zurückhaltende Rhetorik und verbindliches Auftreten eine Atmosphäre zu erzeugen, welche Kompromisse und Brücken zwischen den politischen Lagern ermöglichen. Aber weder der Großteil der Republikanischen Partei noch der Großteil seiner eigenen Demokratischen Partei und insbesondere des linken Flügels der Demokraten scheinen diese Brücken derzeit betreten zu wollen.

Republikaner verzwergen sich zu Wachs in den Händen von Trump

Erschwerend kommt hinzu, daß sich die Republikanische Partei zu Wachs in den Händen von Donald Trump verzwergt hat und damit zu einem willfährigen und für fast beliebige Zwecke mißbrauchbaren Instruments eines einzigen Mannes, dessen ungezügelte Machtgier und grenzenloser Narzissmus immer neuen mimetischen Furor entfacht.1 Der Republikanischen Partei oder auch nur einer qualifizierten Minderheit von republikanischen Senatoren wäre es im Frühjahr 2021 im Schulterschluß mit den Demokraten im Senat möglich gewesen, Donald Trump wegen des von ihm provozierten Sturmes auf das Kapitol nachträglich des Amtes zu entheben und eine erneute Präsidentschaftskandidatur von Trump im Jahr 2024 rechtlich zu unterbinden. Stattdessen scheint sich die einstmals stolze Grand Old Party, die durch unterschiedliche, aber korrespondierende programmatische Strömungen und viele eigenständige Persönlichkeiten geprägt war, entschlossen zu haben, Trumps „Aufruhr als Geschäftsmodell“2 zu übernehmen und die früheren programmatischen Überzeugungen durch die unbeschränkte Loyalität zu Donald Trump zu ersetzen.

Biden packt den Stier nicht an den Hörnern

Daraus folgt aber auch, daß Joe Bidens Taktik, Trumps bisherige Aufruhr-Themen (Protektionismus, Afghanistan, Grenzschutz zur Abwehr von Migranten usw.) zu übernehmen und zu besetzen, um die politische Polarisierung in den USA zu vermindern, vermutlich nicht aufgehen wird. Denn Trumps bisherige Aufruhr-Themen sind für Trump lediglich Vehikel zur Erzeugung und Anfachung von mimetischem Furor. Sollten sich diese Themen zur Furor-Erzeugung nicht mehr eignen, wird zu anderen Themen gewechselt. Bidens Taktik der Besetzung und Entgiftung dieser Themen gleicht damit dem Versuch, den Stier nicht an den Hörnern, sondern am Schwanz zu packen.Der Stier dürfte dadurch immer wilder ausschlagen.

Doch wie packt man den Stier bei den Hörnern?

Kurz nach den US-Präsidentenwahlen vom November 2016 war in einem Beitrag des Flossbach von Storch Research Institute „Trump: Pro und Contra“ zu lesen, daß Donald Trump die Polarisierungsspirale vom Oval Office aus weitertreiben und eine Verschwörungstheorie nach der anderen verkünden könnte: „Eine Auflösung der politischen und gesellschaftlichen Polarisierung in den USA dürfte es deshalb so oder so in absehbarer Zeit nicht geben. Und mit grundlegenden Strukturreformen des fiskalischen und geldpolitischen Systems braucht man Donald Trump erst gar nicht kommen. Zwar könnten die sich abzeichnenden Trumponomics aus Steuersenkungen, Investitionsprogrammen und Abschaffung von Umweltauflagen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern und Angebotsbedingungen durch Deregulierung verbessern, so dass Nachteile aus Trumps angekündigtem Protektionismus ausgeglichen werden könnten. Die Staatsverschuldung dürfte sich unter Trump jedoch erhöhen und das fiskalische und geldpolitische System weiter unter Druck setzen.“3

Bereits vor der Corona-Krise erreichte die US-Staatsverschuldung Ende 2019 eine Höhe von 109 Prozent des BIP. Im Zuge der Corona-Krise ist die US-Staatsverschuldung auf 125 Prozent des BIP gestiegen und die Zentralbankgeldmenge in bislang unbekannte Höhen geschossen.Zwar hatte Donald Trump die Steuern gesenkt und Regulierungen abgebaut, aber grundlegende Strukturreformen des fiskalischen und geldpolitischen Systems war er nicht angegangen. US-Präsident Joe Biden fordert derartige Reformen aber auch nicht und betreibt eine noch ausgeprägtere Schuldenpolitik als sein Vorgänger, obwohl gerade vom fiskalischen und geldpolitischen System ein Zwang zu einer Geld- und Fiskalpolitik ausgeht, die zu Vermögenspreisinflation und damit zu verstärkter Ungleichheit führt, welche Joe Biden und seine Demokratische Partei eigentlich bekämpfen wollen. Jetzt hat sich durch die schuldenfinanzierte Corona-Krisen-Politik zusätzlich Konsumgüterpreisinflation entwickelt, welche sich zudem verstetigen könnte.4 Durch Konsumgüterpreisinflation leiden gerade untere und mittlere Einkommensklassen.   

Der Leipziger Ökonom Gunter Schnabl stellte bereits 2014 fest: „Aus der Sicht von Vermögensbeständen (die mit den Einkommen korreliert sind) profitieren Bevölkerungsschichten, die große Vermögenswerte halten gegenüber Bevölkerungsschichten mit geringen Vermögen… Für die USA zeigt sich eine enge Korrelation.“ Der steile Anstieg der Aktienpreise sei seit Beginn der 1990er Jahre mit einem deutlichen Anstieg des Anteils der Top-1 %-Einkommensbezieher an den gesamten Einkommen verbunden. In Krisen sei zwar zunächst ein Rückgang dieses Anteils zu beobachten, da die Vermögenspreise zunächst stark fallen. Die geldpolitischen Rettungsaktionen würden jedoch dazu beitragen, daß die Aktienpreise und der Anteil der privilegiertesten Einkommensschichten am Gesamteinkommen weitgehend auf dem erhöhten Niveau gehalten werden können, welches in den Boomphasen erreicht wurde.5

Die geldpolitischen Rettungsaktionen der FED und die schuldenfinanzierten Hilfsprogramme der Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise haben zwar den Abschwung der Wirtschaft gemildert, aber sie dürften diese Effekte enorm verstärken und diePolarisierung durch Problemverschleppungweiter vorantreiben.

Krise ohne Alternative?

Da jedoch das US-amerikanische politische System aufgrund seiner Checks and Balances überparteiliche Koalitionen benötigt, um Problemverschleppungen beenden und notwendige Strukturreformen beschließen zu können, führt die immer weiter zunehmende Polarisierung in den USA zu einer Situation, welche der Althistoriker Christian Maier mit Blick auf die Endphase der Römischen Republik als „Krise ohne Alternative“ bezeichnet hat. „Die Gesellschaft ist da in solchen Handlungskonstellationen befangen, daß sie fast mit Notwendigkeit durch die nicht-intendierten Nebenwirkungen ihres Handelns den Prozeß der Krise vorantreibt.“6 Es würden sich noch keine Positionen herausbilden, „von denen her etwa die Notleidenden eine neue Ordnung betreiben.“ D.h. auf die heutige Situation angewendet, es bilden sich noch keine politischen Mehrheiten, welche die verschleppten Probleme angehen und lösen und so die politische und gesellschaftliche Polarisierung entschärfen. Die nicht-intendierten Folgen der anhaltenden Problemverschleppungen führen hingegen sogar zu weiterer Polarisierung.

Aus diesen Gründen steht zu befürchten, daß die bisherige Polarisierung durch Problemverschleppung weiterwachsen wird. Die „notwendige Alternative“ einer neuen Geldordnung7 wird aufgrund der derzeitigen Polarisierung weder von den Republikanern noch von den Demokraten in den Blick genommen.Joe Biden hat sich als ein Präsident des Übergangs bezeichnet. Wohin dieser Übergang führt, ist immer noch nicht absehbar.


1 Siehe Norbert F. Tofall: Donald Trump – der Clodius Pulcher der USA, Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 4. März 2016, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/donald-trump-der-clodius-pulcher-der-usa/ sowie Norbert F. Tofall: Donald Trumps weltweiter Furor. Doch eine komplexe Welt läßt sich nicht durch Furor und Befehle steuern, Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 27. April 2018, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/donald-trumps-weltweiter-furor/

2 Siehe Norbert F. Tofall: Aufruhr als Geschäftsmodell, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 11. Januar 2021, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/aufruhr-als-geschaeftsmodell/

3 Thomas Mayer und Norbert F. Tofall: Trump: Pro und Contra, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 25. November 2016, S. 4; online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/trump-pro-contra/

4 Siehe Pablo Duarte: Inflation Update, Newsletter des Flossbach von Storch Research Institute vom 30. September 2021, online:https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/fileadmin/user_upload/RI/E-Mails-Archiv/210930-inflation-update.pdf siehe auch Pablo Duarte: Inflationsnarrative bestimmen das Schicksal der Zentralbanken, Kommentar zur Makroökonomik des Flossbach von Storch Research Institute vom 9. März 2021, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/inflationsnarrative-bestimmen-das-schicksal-der-zentralbanken/

5 Gunther Schnabl: Mit dem Kopf im Sand? Goodharts Gesetz und die Wirkungslosigkeit von Inflationszielen als geldpolitische Regelmechanismen, Working Papers von Global Financial Markets, No. 55, Oktober 2014, S. 19. Für Deutschland wird diese Entwicklung durch den Flossbach von Storch Vermögenspreisindex veranschaulicht. Allgemein zur Notwendigkeit einer neuen Geldordnung siehe Thomas Mayer: Die neue Ordnung des Geldes. Warum wir eine Geldreform brauchen, München (FinanzBuch) 2014.

6 Christian Maier: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar. Drei biographische Skizzen, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1980, S. 13.

7 Siehe Thorsten Polleit, Michael von Prollius, Frank Schäffler und Norbert F. Tofall: „Überwindung der Krise durch gutes Geld“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Juni 2009, Nr. 128, S. 12 sowie Frank Schäffler und Norbert F. Tofall: „Währungswettbewerb als Evolutionsverfahren. Der Übergang vom staatlichen Papiergeldmonopol zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung ist evolutionär mittels Wettbewerb möglich“, in: Peter Altmiks (Hg.): Im Schatten der Finanzkrise. Muss das staatliche Zentralbankwesen abgeschafft werden?, München (Olzog) 2010, S. 135 – 155 sowie Frank Schäffler und Norbert F. Tofall: „Euro-Stabilität durch konkurriende Privatwährungen“, in: Dirk Meyer (Hg.): Die Zukunft der Währungsunion. Chancen und Risiken des Euros, mit Beiträgen von Helmut Schmidt, Václav Klaus, Arnulf Baring, Roland Vaubel, Wolf Schäfer, Hans-Olaf Henkel, Charles B. Blankart und anderen, Berlin (LIT) 2012, S. 275 – 288 sowie Norbert F. Tofall: Währungsverfassungsfragen sind Freiheitsfragen. Mit Kryptowährungen zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung? Studie zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 15. Januar 2018, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/waehrungsverfassungsfragen-sind-freiheitsfragen/

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