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Makro

Die „Abgeltungssteuer“ der USA (Section 899): Erfolgreicher Angriff gegen die Mindeststeuer der OECD

- Pablo Duarte

KOMMENTAR. Mit der Section 899 des Haushaltsgesetzes hat die US-Regierung einen guten Deal für US-Unternehmen erreicht und die OECD-Mindeststeuer geschwächt.

 

1. Einleitung

Die US-Regierung scheint mit der „Abgeltungssteuer“ (Section 899) einen guten Deal gemacht zu haben. Die Regelung ist bisher Teil des „One Big Beautiful Bill Act“, eines umfassenden Haushaltspakets, und sieht Steuererhöhungen auf Einkünfte von Investoren und Unternehmen aus „diskriminierenden“ Ländern in den USA vor. Die Liste dieser Länder soll das US-Finanzministerium festlegen. Ziel ist es, andere Staaten davon abzuhalten, die OECD-Mindeststeuer auf US-Unternehmen anzuwenden. Das Ziel wurde anscheinend erreicht. Am 26. Juni kündigte der US-Finanzminister eine Einigung mit den G7-Staaten an und forderte den Kongress auf, „Section 899“ aus dem Gesetzentwurf zu streichen.

Die „Section 899“ hatte für Unruhe gesorgt. Allerdings wäre die Folgen für Investoren begrenzt gewesen und für Unternehmen aufgrund der Komplexität unklar, aber wohl nicht dramatisch. Größere Sorgen erweckte die institutionelle Stabilität: Die Entscheidungshoheit über die Liste unfairer Länder hätte de facto beim Präsidenten gelegen, was das internationale Vertrauen in die USA wohl weiter belastet hätte. Diese Sorge könnte nun entfallen. Insgesamt ein guter Deal für die USA. Offen bleibt, wie und wann die G7-Länder die vereinbarten Ausnahmen von der OECD-Mindeststeuer umsetzen wird, was ein schwerer Schlag für die lang erkämpfe OECD-Mindeststeuer wäre. Wenn insbesondere die EU ihre Steuern für US-Unternehmen reduzieren würden, könnte dies den internationalen Steuerwettbewerb stärken.

2. „Section 899“ als Gegenreaktion auf die globale Mindeststeuer

Seit der Jahrtausendwende sind durch die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle entstanden, die nicht an einzelne Jurisdiktionen gebunden sind. Unternehmen wie Google, Meta oder Amazon bieten digitale Dienstleistungen in Ländern an, in denen sie weder physisch präsent noch steuerlich ansässig sind. Das erlaubt, dass Gewinne häufig in anderen Ländern mit niedrigen Steuersätzen verbucht werden. Die OECD reagierte in den 2010er Jahren auf diese Entwicklung mit dem „Base Erosion and Profit Shifting“-Projekt (BEPS), um Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer einzudämmen. Ziel war es, sicherzustellen, dass Unternehmensgewinne dort besteuert werden, wo die wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden.1
  
Weil das Projekt nur langsam Fortschritte machte, führten einige Staaten Steuern auf digitale Dienstleistungen („Digital Services Taxes“, DST) ein. Frankreich war im Juli 2019 der erste große EU-Staat. Besteuert mit 3 % werden etwa Umsätze aus Online-Werbung auf Suchmaschinen wie Google oder Plattformen wie Facebook, sofern die Anbieter mehr als 750 Millionen Euro und in Frankreich mehr als 25 Millionen Euro umsetzen. Es folgten Großbritannien (2020), Italien (2020) und Spanien (2021).

In den USA trafen die DSTs auf Widerstand, weil sie insbesondere US-Unternehmen betreffen. Der United States Trade Representative (USTR) leitete im Jahr 2020 Untersuchungen nach Section 301 des Trade Act u.a. gegen Großbritannien, Indien, Brasilien und die Europäische Union ein.2 Auch Präsident Trump drohte als Antwort auf die Digitalsteuer damals mit Gegenzöllen, insbesondere gegenüber Frankreich.3 

Um das oben genannte BEPS-Projekt voranzubringen und den durch die unterschiedlichen nationalen Digitalsteuern entstandene Flickenteppich zu vereinheitlichen, legte die OECD im Oktober 2020 ein Zwei-Säulen-Modell zur Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung vor. Unter der ersten Säule („Pillar One“) sollten multinationale Konzerne ihre Gewinne jeweils dort, wo ihre Kunden ansässig sind, versteuern. Im Gegenzug sollten die nationalen Digitalsteuern entfallen.

Die zweite Säule („Pillar Two“) sah einen globalen effektiven Mindeststeuersatz von 15 % für Unternehmen mit einem konsolidierten Jahresumsatz von mehr als 750 Mio. Euro vor. Kernstück der Implementierung war die sogenannte „Undertaxed Payment Rule“ (UTPR), die anderen Staaten erlaubt, Gewinne nachzuversteuern, wenn in einem anderen Land eine Steuerbelastung unter 15 % festgestellt wird. Zahlt ein Konzern in einem Land nur 5 % effektive Steuer auf Gewinne, so können andere Länder über die UTPR weitere 10 % nachversteuern – bis der globale Mindeststeuersatz des entsprechenden multinationalen Unternehmens mindestens 15 % beträgt. Die OECD regelt die Koordination zwischen Staaten sowie andere Umsetzungsdetails im „Administrative Guidance Handbook“.4
  
Am 20. Januar 2025, Donald Trumps erstem Amtstag, unterschrieb er eine Executive Order, mit der sich die USA offiziell aus der im Januar 2021 von 136 Ländern unterzeichneten OECD-Vereinbarung zurückzogen.5 Die Executive Order erklärte das Abkommen für nicht bindend für die USA und wies das Finanz- und Handelsministerium an, diskriminierende Steuerpraktiken anderer Staaten systematisch zu prüfen. Section 899 bringt die Ablehnung der OECD-Initiative in das US-Steuerrecht ein. Es werden ausdrücklich Länder bestraft, die die Mindeststeuer der OECD umsetzen.6 Deshalb der Spitzname „Vergeltungssteuer“. 

3. Konkrete Ausgestaltung und Folgen

Section 899 soll für alle Nicht-US-Personen gelten, die Einkünfte in den USA erzielen, sofern deren Heimatstaat als steuerlich diskriminierend eingestuft wird. Dies dürfte insbesondere Länder betreffen, die entweder eine Steuer auf digitale Dienstleistungen erheben oder die zweite Säule der globalen Mindeststeuer – insbesondere die UTPR – umsetzen. Die Entscheidung über die Liste der „unfairen“ Länder wird an das US-Finanzministerium delegiert. 

Die Maßnahme sieht im aktuellen Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses eine zusätzliche Steuerbelastung sowohl auf Kapitalerträge als auch auf Unternehmensgewinne vor.  Insgesamt soll der aktuell geltende Steuersatz jährlich um fünf Prozentpunkte bis zu maximal zwanzig Prozentpunkte steigen.7
  
Bei Kapitalerträgen werden Einkünfte wie Dividenden und Zinserträge (regulär 30 Prozent, nach Doppelbesteuerungsabkommen häufig niedriger) besteuert. Bestehende Ausnahmen auf Zinseinkünfte von bspw. US-Staatsanleihen bleiben voraussichtlich erhalten.  Auch realisierte Kursgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren wie Aktien unterliegen bei ausländischen Investoren grundsätzlich keiner Quellensteuer. Im derzeitigen Gesetzentwurf wird ein Wegfall dieser Ausnahmen nicht erwähnt.

Für Investoren aus den betroffenen Ländern würde Section 899 damit eine verkraftbare Steuererhöhung auf US-Anlagen bedeuten. Ein einfaches Aktienportfolio basierend auf dem S&P 500 erzielte seit 1990 eine durchschnittliche Gesamtrendite von rund 10,5 % p.a. einschließlich einer Dividendenrendite von ca. 2 % p.a. Unter der Annahme einer 15-prozentigen-Quellensteuer auf Dividenden (wie aktuell für deutsche Anleger dank einem Doppelbesteuerungsabkommen) betrug die Netto-Rendite etwa 10,1 % p.a. Bei einer Anhebung der Quellensteuer auf 35 % würde die Netto-Rendite auf etwa 9,7 % p.a. sinken.

Hinsichtlich der Unternehmensgewinne wären insbesondere europäische Unternehmen von Section 899 betroffen, da die EU-Länder mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Liste der unfairen Länder landen würden. Ungefähr 22 % der Umsätze der Stoxx-600-Firmen stammen aus den USA.8 Die Konzentration ist jedoch hoch: Rund 30 Unternehmen weisen einen US-Umsatzanteil von über 50 % auf.9 

Die steuerlichen Auswirkungen hängen wesentlich von der Struktur des jeweiligen Unternehmens ab. Für Firmen mit direkten Betriebsstätten in den USA – was eher selten vorkommt – würde die Steuerlast auf US-Gewinne schrittweise von 21 auf bis zu 41 Prozent steigen: fünf Prozentpunkte pro Jahr nach Inkrafttreten von Section 899. Unternehmen die über eigenständigen Tochtergesellschaften in den USA tätig sind, unterliegen bereits heute der sogenannten BEAT-Steuer („Base Erosion Anti-Abuse Tax“), einem Zuschlag von 10 Prozent auf bestimmte konzerninterne Zahlungen ins Ausland, der Gewinnverlagerungen entgegenwirken soll. Section 899 würde diesen Satz auf 12,5 Prozent anheben und zugleich zahlreiche Ausnahmen streichen. Dadurch wären mehr, auch kleinere Unternehmen betroffen und die Steuerlast könnte spürbar zunehmen. Die genauen Auswirkungen hängen vom Einzelfall ab.

4. Folgen: zwei Szenarien

Aus der Section 899 ergaben sich zwei Szenarien. Erstens könnte der internationale Steuerwettbewerb gestärkt werden, wenn betroffene Länder unter dem Druck heimischer Unternehmen versuchen, mit Hilfe von Zugeständnissen von der Liste der diskriminierenden Länder gestrichen zu werden. Dies ist nun bereits vor der Verabschiedung des „One-Big-Beautiful-Bills“ eingetreten. Der US-Finanzminister kündigte am 26.06. bereits einen „Deal“ mit den G7-Staaten an, wonach US-Unternehmen von der OECD-Mindeststeuer („Pillar two“) ausgeschlossen werden sollen. Er bat beide Kammern des Kongresses, Section 899 aus dem Haushaltsgesetz zu streichen.10 Eine Aussetzung der bereits beschlossenen Gesetze zur Umsetzung von Pillar 2 erscheint allerdings insbesondere in der EU schwierig und zeitaufwendig.
 
Zweitens hätte es zu einer Eskalation kommen können, falls europäische Länder mit Gegenmaßnahmen wie höheren Steuern auf digitale Dienstleistungen oder strengeren Regulierungen digitaler Dienstleistungen in der EU reagiert hätten. Dieses Risiko scheint erstmal vom Tisch, allerdings wurde bisher nicht über die Steuern auf digitale Dienstleistungen (DST) einzelner Länder gesprochen. Sollte die Section 899 doch nicht aus dem Haushalts- und Steuerpaket gestrichen werden, und es keine Ausnahme für US-Unternehmen geben, dann würden europäische Unternehmen am meisten darunter leiden. Gleichzeitig könnte Europas Produktivitätswachstum leiden, da digitale Innovationen dadurch verteuert würden und eingeschränkt verfügbar wären.
 
Eine breite Anwendung von Section 899, was heute nicht sehr wahrscheinlich erscheint, aber immer noch möglich ist, wäre für die USA vergleichbar mit der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. Entwicklungs- und Schwellenländer nutzten solche Kontrollen häufig, um volatile Portfolioflüsse und die destabilisierende Wirkung schneller Kapitalabflüsse zu begrenzen. Die USA würden durch Section 899 langfristige ausländische Direktinvestitionen abschrecken, die eigentlich durch die Zollpolitik von Donald Trump angezogen werden sollten. Diese widersprüchliche Politik erhöht die Unsicherheit und bremst Wachstumsimpulse durch europäische Direktinvestitionen in den USA aus.

Die Unsicherheit würde sich vor allem durch die Kompetenzverschiebung an das US-Finanzministerium verstärken, das Länder als „unfair“ und weitere Steuern in anderen Ländern als diskriminierend einstufen könnte. Für die EU-Regierungen bedeutet dies, dass ähnlich wie bei der Zollpolitik, „Deals” verhandelt werden müssten. Deshalb wäre es aus Institutioneller Sicht ein gutes Zeichen, wenn Section 899 aus dem Gesetzentwurf gestrichen würde.

5. Fazit

Die große Aufregung um die Section 899 des US-Haushaltsgesetzes scheint nun vorbei. Die befürchteten Folgen für ausländische Unternehmen mit einem großen Umsatzanteil in den USA aus Ländern, die die Mindeststeuer der OECD eingeführt haben, sind durch den jüngsten „Deal“ zwischen den USA und den G7-Ländern zunächst nicht eingetreten. Ob und wann die vergleichsweise unflexible EU die versprochenen Ausnahmen der Mindeststeuerregelungen implementiert, bleibt noch offen.
 
Die Unsicherheit, die mit der Kompetenzverschiebung an den US-Präsidenten durch die Erstellung der Liste unfairer Länder verbunden gewesen wäre, hätte das internationale Vertrauen in die USA weiter geschwächt. Insgesamt scheint die Regierung Trump für die USA damit einen guten Deal gemacht zu haben.

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1 Siehe Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 - 2015 Final Report | OECD.
2 Siehe DST_Initiation_Notice_June_2020.pdf.
3 Siehe Trump Administration Threatens Tariffs After France Digital Services Tax.
4 Siehe Global Anti-Base Erosion Model Rules (Pillar Two) | OECD
5 Siehe The Organization for Economic Co-operation and Development (OECD) Global Tax Deal (Global Tax Deal) – The White House.
6 “The provision creates an incentive for foreign jurisdictions to remove the unfair treatment of U.S.-headquartered or otherwise U.S.-parented companies, since it ceases to apply to these entities if the country revokes its discriminatory or extraterritorial tax or if the country provides that the discriminatory or extraterritorial tax does not apply to U.S. persons and their subsidiaries.“ (S. 1760). Siehe H. Rept. 119-106, Book 2 - ONE BIG BEAUTIFUL BILL ACT.
7 Die aktuellen Diskussionen im Senat sehen bereits einige entschärfende Änderungen des Entwurfes des Repräsentantenhauses vor. Eine Endversion steht allerdings noch an und weitere Änderungen sind wahrscheinlich. Siehe Senate Finance Chairman Crapo releases substitute for House-passed tax package: PwC. Für den aktuellen Entwurf des Finanzkomitees des Senats siehe Finance Committee Legislative Text Title VII.
8 Siehe A world of opportunities? - RBC Wealth Management.
9 Siehe European Equity Strategy: Section 899 — Expert Views and Market Implications.
10 Siehe Treasury Secretary Scott Bessent on X.

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