KOMMENTAR. Die KI-Branche befindet sich in einem Investitionsboom. Wird daraus ein Wachstumsturbo?
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Die KI-Wachstumsstory aus Sicht des Kapitalmarktes
Der Boom künstlicher Intelligenz (KI) am Kapitalmarkt lässt sich rasch zusammenfassen: Technologieunternehmen und Investoren setzen auf weiter steigende Nutzerzahlen und deren Kommerzialisierung. In Erwartung einer wachsenden Nachfrage baut OpenAI, Entwickler von ChatGPT, gemeinsam mit Chip-, Server- und Datenzentrumsanbietern seine KI-Kapazitäten aus - laut Financial Times im Umfang von über einer Billion US-Dollar. Der Markt reagierte positiv: Die Aktienkurse der beteiligten Firmen legten deutlich zu. Technologieaktien verzeichneten ein starkes Quartal.
Der Investitionsboom bleibt dabei nicht auf die USA beschränkt. Beim Staatsbesuch von Donald Trump in Großbritannien kündigten US-Techkonzerne dort KI-Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich an. Microsoft plant bis 2028 rund 15 Mrd. US-Dollar in Cloud- und KI-Infrastruktur zu investieren. In Deutschland will SAP gemeinsam mit OpenAI ChatGPT für Behörden bereitstellen und in den nächsten zehn Jahren über 20 Mrd Euro in digital souveränes Cloud-Computing investieren.
Die britische Zeitschrift The Economist skizzierte kürzlich in einem Leitartikel eine von KI und Automatisierung getriebene Zukunft mit jährlichen BIP-Wachstumsraten von über 20 %! Produkte werden darin überwiegend vollautomatisch gefertigt und viele Dienstleistungen ohne menschliches Einwirken erbracht. Ob sich dieses Szenario verwirklicht, bleibt offen – doch die wirtschaftliche Bedeutung von KI ist bereits erheblich: 2025 trug die Technologiebranche rund zwei Drittel zum BIP-Wachstum in den USA bei.
Die KI-Wachstumsstory aus Sicht der Wissenschaft
In der Forschung besteht Uneinigkeit über den Beitrag von KI zum Wachstum. Nicht alle Forscher teilen die Euphorie der Kapitalmärkte. Nobelpreisträger Daron Acemoglu erwartet in den kommenden zehn Jahren lediglich ein jährliches Plus von 0,1 %, während die Investmentbank Goldman Sachs ein Potenzial von 0,7 % errechnet hat. Der Thinktank Brookings hält 1,6 bis 2,6 % jährliches Wachstum für möglich.
Einig sind sich die Forscher darüber, welche drei Parameter den Einfluss von KI auf das BIP hauptsächlich bestimmen werden: Erstens die Adoptionsrate von KI durch die Unternehmen, d.h. die Entwicklung des Anteils der Unternehmen, welche KI in ihrem Geschäftsbetrieb oder ihren Produkten und Dienstleistungen nutzen.1 Zweitens die möglichen Produktivitätsgewinne aus einzelnen, (teilweise) automatisierbaren Tätigkeiten, wie z.B. dem Zusammenfassen einer Forschungsarbeit oder der Übersetzung eines Fachartikels. Drittens die Weiterentwicklung der Fähigkeiten von KI, also die Zunahme an automatisierbaren Tätigkeiten. Unterschiede in den Schätzungen dieser Parameter führen zu unterschiedlichen Prognosen.
Um die verschiedenen Prognosen einzuordnen, entwickelte die OECD im Rahmen einer Metastudie ein eigenes Szenario. Es unterstellt für die nächsten zehn Jahre eine 40% höhere Adoptionsrate von KI in Unternehmen, Produktivitätssteigerungen bei automatisierbaren Tätigkeiten um 30% und eine Zunahme der automatisierbaren Tätigkeiten um 35%. Unter diesen Annahmen steigen Produktivität und BIP jährlich um rund 0,6% – genug, um in Deutschland die wachstumsdämpfenden Effekte der anstehenden Pensionierungswelle der Babyboomer auszugleichen.
Möglicher Gegenwind für KI und Wachstum
Doch es gibt auch Skepsis. So warnt Daron Acemoglu, dass zunehmend komplexe Tätigkeiten automatisiert werden müssten. Diese seien jedoch schwerer zu automatisieren als einfache Aufgaben, weshalb die Produktivitätsgewinne geringer ausfallen dürften. Viele Studien ignorieren diesen Effekt und überschätzen so das Wachstum. Entspricht die Realität nicht den überhöhten Erwartungen, kann KI enttäuschen – was ihre Nutzung bremsen und die Produktivitätsgewinne mindern würde.
Abzuwarten bleibt auch, ob den hohen notwendigen Investitionen in Chips und Rechenzentren eine entsprechend hohe zahlungsbereite Nachfrage gegenübersteht. Im Oligopol der großen KI-Konzerne könnten Entscheidungen weniger auf realistischen Nachfrageschätzungen als auf strategischen Überlegungen beruhen: Kein Unternehmen will riskieren, den KI-Boom zu verpassen und an Bedeutung zu verlieren. Dieses „Gefangenendilemma“2 zeigte sich beispielsweise bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Deutschland um die Jahrtausendwende, als sich einige Bieter aus Angst eine wichtige technologische Neuerung zu verpassen, finanziell übernahmen.
Dazu könnten Staaten die KI-Diffusion durch Regulierung erheblich einschränken. Die europäische Union ist mit dem „AI-Act“ bereits 2024 tätig geworden. Sogenannte Hochrisiko-KI-Systeme müssen vor Markteinführung einer Prüfung unterzogen werden. Mögliche Produktivitätsgewinne durch KI werden so, zumindest in Europa, weniger schnell gehoben.
Möglicher Rückenwind für KI
Aber der Staat kann die Weiterentwicklung von KI auch fördern. In den USA erlaubt die Plattform USAi.gov Behördenangestellten, mit KI-Programmen großer Tech-Konzerne wie Anthropic, Google, Meta und OpenAI zu experimentieren. Selbst xAI, ein Unternehmen des zwischenzeitlich beim US-Präsidenten in Ungnade gefallenen Elon Musk, ist inzwischen vertreten. Ziel ist es, den Einsatz von KI in der Verwaltung zu beschleunigen.
Zugleich verbessert sich die Verknüpfung von KI und Robotik, wodurch eine neue Klasse automatisierbarer Tätigkeiten entsteht. Roboter können komplexe Aufgaben wie Mülltrennung oder Wäschesortierung erlernen und Wissen untereinander austauschen. Sie greifen dabei auf KI-Chatbots zurück, um etwa regional unterschiedliche Vorschriften zu erfragen. Amazon setzt KI-gestützte Roboter bereits in Verteilzentren ein, um Bestellungen effizienter zu bearbeiten.
Und mit der Weiterentwicklung von Quantencomputern zeichnet sich der nächste Technologiesprung ab. Die Firmen IBM und HSBC demonstrierten jüngst erste Anwendungen im Wertpapierhandel: Sie stellten eine verbesserte Schätzmethode für die Ausführungswahrscheinlichkeiten von Wertpapiertransaktionen vor. Bereits im nächsten Jahrzehnt könnten Quantencomputer neue KI-Modelle schneller und energieeffizienter trainieren – oder gar völlig neue, speziell für Quantenhardware entwickelte Modelle ermöglichen, die komplexe Zusammenhänge in weniger Rechenschritten erfassen können als heutige Algorithmen.
Drei unterschiedliche Zukunftsszenarien
Im schlechtesten Fall erfüllen sich die in KI gesetzten Hoffnungen nicht. Die Menschen finden kaum praktische Anwendungen und sind nicht bereit für die von KI zur Verfügung gestellten Dienstleistungen zu bezahlen. Vom heutigen Boom würden riesige ungenutzte Rechenzentren zurückbleiben. Die Industrieländer blieben mit steigenden Ausgaben für ihre alternden Bevölkerungen, Stagnation und sinkendem Wohlstand zurück.
Eine nüchtern optimistische Sicht vertreten zwei Informatiker der Universität Princeton. Sie sehen die KI als eine „normale“ Technologie, vergleichbar mit der Entdeckung der Elektrizität oder der Einführung des Internets. Der Mensch werde die Verbreitung von KI und deren Weiterentwicklung kontrollieren und zugleich mit Hilfe der KI seine eigenen Fähigkeiten erweitern. Dabei begrenzen „Speed Limits“ wie geltendes Recht, gesellschaftliche Normen und menschlichen Lernkurven die Geschwindigkeit, mit der sich KI ausbreitet. Unternehmen, die KI in ihre Geschäftsmodelle integrieren, erzielen früher oder später Produktivitätsgewinne.
Die Wirtschaft könnte sich zu einer Netzwerkökonomie verwandeln, wie sie mein Kollege Thomas Mayer skizziert hat: Technologieunternehmen betreiben KI-Plattformen, deren Merkmal zunehmende Skalenerträgen sind. Jeder zusätzliche Nutzer steigert den Informationswert und den Ertrag des Netzwerks. Plattformbetreiber und Infrastrukturanbieter profitieren am stärksten. Daneben bleiben nicht automatisierbare Berufe wie Erzieher oder Pflegekraft gefragt. Für Anleger bedeutet das, auf große Netzwerkunternehmen und unersetzbare Dienstleistungen zu setzen – die fortwährende Konzentration globaler Aktienindizes könnte ein Indiz für die Überzeugungskraft dieses Narrativs sein.
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1 Der Wert wird durch Befragungen ermittelt. Die Methodik variiert auf nationaler Ebene.
2 Das Gefangenendilemma beschreibt eine Situation, in der rational handelnde Akteure Entscheidungen treffen, die für alle Beteiligten zu suboptimalen Ergebnissen führen, weil jeder versucht, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Das führt jedoch zu einem Verlust für alle.
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