22.09.2020 - Studien

Der ehrbare Finanzkaufmann

von Marius Kleinheyer


Die Zeit ist reif für eine Revitalisierung der Kultur des ehrbaren Kaufmanns und ihrer Anwendung als ehrbarer Finanzkaufmann.

Weil es sich bei einer Finanzdienstleistung um ein Vertrauensgut handelt, besteht insbesondere in diesem Sektor der Kern der Unternehmensverantwortung aus dem Erhalt der Vertrauenswürdigkeit. Dazu braucht es die Kultur des ehrbaren Finanzkaufmanns. Der ehrbare Kaufmann steht im Schnitt-punkt zwischen Ethik und Ökonomie. Im Ergebnis kann gezeigt werden, dass ehrbares Verhalten kaufmännisch geboten und kaufmännisches Verhalten moralisch geboten ist.

Hinter diesem Konzept steht zunächst ein moralischer Anspruch an Finanzmarktakteure in ihrer Rolle als Vertrauensnehmer. Vertrauen ist immer die erste Investition eines Geldanlegers. Ohne sie kann kein Geschäft zustande kommen. Die Erfüllung des moralischen Anspruchs liegt im wohlverstandenen Interesse des ehrbaren Finanzkaufmanns.

Gleichzeitig ist die Kultur des ehrbaren Kaufmanns eine Antwort auf die Herausforderungen durch radikale Unsicherheit im Bereich der Finanzberatung und zeigt damit den Weg zu einer neuen Risikokultur, wie sie zum Beispiel Thomas Mayer in seinem Essay „Die Vermessung der Zukunft“ beschreibt.1 Wird dagegen die Verantwortung für zukünftige Entwicklungen auf angeblich wissenschaftliche Modelle abgeschoben, entzieht sich die Finanzberatung der Verantwortung für ihre Klienten und verliert an Vertrauenswürdigkeit.

Der ehrbare Kaufmann steht somit im Schnittpunkt zwischen Ethik und Ökonomie: Ehrbares Verhalten ist kaufmännisch und kaufmännisches Verhalten moralisch geboten.

Spätestens seit der Finanzmarktkrise 2008 ist das Image der gesamten Finanzindustrie schwer beschädigt. Das allgemeine Misstrauen beginnt gegenüber Finanzberatern, von denen man nicht weiß, ob sie dem Kundeninteresse verpflichtet sind und geht bis zum Misstrauen gegen die Funktionsweise und Problemlösungsfähigkeit von Finanzmärkten im Allgemeinen.

Das Dilemma ist groß. Auf der einen Seite sind Finanzgeschäfte von Privatanlegern häufig von starker Informationsasymmetrie gekennzeichnet, auf der anderen Seite baut die dauerhafte Krisensituation und die weltweite Reaktion der Geldpolitik Handlungsdruck auf Privatanleger auf. Eine Rückkehr höherer Zinsen auf Tagesgeldkonten oder Sparbücher erscheint aussichtslos. Wer sein Vermögen erhalten oder aufbauen möchte, muss sich der Unsicherheit an den Finanzmärkten aussetzen. Genau in dieser Lage schlägt die Stunde des ehrbaren Finanzkaufmanns.

In diesem Artikel soll der ehrbare Finanzkaufmann als Modell für die Finanzberatung vorgestellt werden, mit dem Vertrauenswürdigkeit glaubhaft signalisiert werden kann. Das Ziel muss darin bestehen, zusammen mit dem Kunden der radikalen Unsicherheit auf Finanzmärkten bestmöglich zu trotzen.

Der ehrbare Kaufmann ist ein ur-europäisches Konzept. Bereits das antike Griechenland kannte eine Verbindung zwischen moralischem Verhalten und geschäftlichem Erfolg. „Wer gerecht und wahr auf dem Markt redet, dem wird Zeus Reichtum geben.“ Dieser Satz von Hesiod aus Askra in Böotien wird auf das Jahr 700 v. Chr. datiert und gilt als das älteste Zeugnis der Vorstellung vom ehrbaren Kaufmann.2 Auch bei Aristoteles, dem die Prägung des Begriffs Oikonomia (etwa: Haushaltsführung) zugeschrieben wird, ist die Verbindung zwischen Ökonomie und Ethik im Prototyp des ehrbaren Kaufmanns vorzufinden. „Wer auf gebührende Weise wirtschaften (oikonomein) will, muss die Orte erkennen, wo er tätig wird, muss von Natur aus begabt sein sowie aus eigenem Antrieb keine Mühen scheuen und gerecht sein. Wenn ihm von diesen Eigenschaften etwas fehlt, wird er in den Vorhaben, die er in die Hand nimmt, viele Fehler machen.“3

Im Mittelalter sind Kaufleute ein entscheidender Faktor für die Entstehung von Marktwirtschaft und der Weiterentwicklung feudaler Herrschaftsbeziehungen. Umherwandernde Händler boten lokalen Herrschern Schmuck und Seidenstoffe an. Die Herrscher konnten den Händler auf der einen Seite nicht ausrauben, wenn sie wollten, dass er wiederkommt. Auf der anderen Seite verfügten sie nicht über hohe Kassenbestände, denn die Untertanen waren vor allem zu Sachleistungen oder persönlichen Dienstleistungen verpflichtet. Die Lösung bestand darin, Pachtzahlungen für die Benutzung des Landes von den Untertanen einzuführen. Auf diese Weise brachten wandernde Kaufleute Europa aus seinem geld- und marktlosen Zustand heraus, in den es mit dem Untergang Roms gefallen war.4

Selbstverständlich gab es in dieser Zeit kein abgesichertes Institutionengefüge mit durchsetzbaren Eigentumsrechten. Kaufleute lebten gefährlich. Sie waren überall fremd und ihnen wurde mit Misstrauen begegnet. Sie waren stets verdächtig, Betrüger oder Räuber zu sein. Auf der anderen Seite waren sie selbst gefährdet, als Angehörige dieses Standes Opfer von Repressalien zu werden. So konnte zum Beispiel eine Forderung gegen einen wandernden Kaufmann beim nächsten Kaufmann fällig gestellt werden. Als Reaktion darauf schlossen sich die Kaufleute zusammen und entwickelten Beweis- und Gerichtsverfahren. Es entwickelte sich ein Kaufmannsrecht, geprägt durch das Leitmotiv von „Treu und Glauben“5

Große Relevanz bekommt der Kaufmann in der italienischen Renaissance und dem Aufblühen des europäischen Handels im Mittelmeerraum. Mit zunehmendem Handel entwickelten sich gesellschaftliche Strukturen, die dem Kaufmann und seiner internationalen Geschäftstätigkeit dienten. Von Versicherungsunternehmen bis zur rechtlichen Ausgestaltung von Handelsunternehmen, wurden Institutionen geschaffen, in denen gelernt wurde mit Risiken umzugehen. Die Wahrnehmung und die Verarbeitung von Risiko sind eng mit der historischen Entwicklung des ehrbaren Kaufmanns verbunden. Der ehrbare Kaufmann steht sozusagen für den Urknall der modernen Zivilisation nach der Antike als offene Gesellschaft. Statt dem gesellschaftlichen Verständnis von Menschen als passive Subjekte, deren Schicksal „von den Launen der Götter“ bestimmt wird, rückte das aktiv handelnde Individuum mit persönlicher Verantwortung für sein Tun in den Vordergrund.6 Erst durch diese Individualisierung war das Eingehen von Risiken aufgrund von eigenverantwortlichen Entscheidungen überhaupt möglich. Es entstand ein wichtiger Unterschied in der damaligen Zeit zwischen Risiko und Gefahr.7

Risiko (Risicum) war das Ergebnis individueller kommerzieller Entscheidungen eines Kaufmanns unter Unsicherheit. Damit einher ging die Eigenverantwortung für finanziellen Erfolg oder Verlust.

Gefahr (Periculum) oder das Gegenstück Glück (Fortunam)wurde für exogene, nicht kontrollierbare Kräfte verwendet, die ein Kaufmann nicht beeinflussen konnte.

Das Netzwerk der Kaufleute prägte Europa. Von Italien aus in die Niederlande, in die Messestädte Köln und Frankfurt, in die Hanse, nach London. Bevor die Betriebswirtschaft eine Wissenschaft wurde, war sie ein Handwerk, für das Anleitungen geschrieben wurden. Frühe Werk waren das italienische Handbuch von 1340 „Pratica della Mercatura“ oder das venezianische „Zibaldone da Canal“8 Das tugendhafte Verhalten war immer ein Teil dieser Anleitungen.

In den christlichen Handbüchern wurde im Mittelalter immer eine Beziehung zu Gott hergestellt, wodurch auch immer Demut in Bezug auf die Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen signalisiert wurde. Die Inschrift eines italienischen Handbuchs lautet beispielsweise: „Im Namen unseres Herrn Jesus Christus und der Heiligen Jungfrau Maria Seiner Mutter und aller Heiligen des Paradieses, durch ihre heilige Gnade und Barmherzigkeit sei uns Gesundheit und Gewinn gegeben, sowohl auf dem Lande wie zur See, und dank dem seelischen und körperlichen Heil mögen sich unsere Reichtümer und unsere Kinder vermehren. Amen.“9

Es existierte auch ein Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung der Kaufleute. Im 15. Jahrhundert erschien das Handbuch „Della Mercatura et del Mercante perfetto“ von Benedetto Cotrugli, einem neapolitanischen Kaufmann. In diesem Buch beschreibt er nicht nur die Technik der doppelten Buchführung und gilt damit neben Luca Pacioli als dessen Erfinder. Er schreibt auch über die gesellschaftliche Stellung der Kaufmannskunst: „Der Fortschritt, das Gemeinwohl und der Wohlstand der Staaten beruhen zu einem großen Teil auf den Kaufleuten. (…) Die Arbeit der Kaufleute ist zum Wohle der Menschheit eingerichtet.“10

In der Neuzeit fiel der explizite Bezug auf Gott weg und der Kaufmann bekam eine bürgerliche Prägung. Die bürgerlichen Tugenden des Kaufmanns waren allerdings eng angelehnt an die christlichen Tugenden. Die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Deirdre McCloskey geht in ihrem Werk „The Bourgeois Virtues – Ethics for an Age of Commerce“11 die sieben Kardinaltugenden durch und erläutert deren Sinn für das Leben von Kaufleuten. Die sieben Tugenden bestehen aus: Glaube, Liebe, Hoffnung sowie Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Die Botschaft des Buchs reicht über den Kaufmann als Person hinaus und zielt auf das gesellschaftliche Grundverständnis einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Entgegen den öfters anzutreffenden, häufig marxistisch geprägten Ressentiments in der Moderne, ist eine marktwirtschaftliche Ordnung per se dazu geeignet, moralisches Verhalten hervorzubringen, unabhängig von der enormen Fähigkeit, Wohlstand für breite Schichten der Bevölkerung zu produzieren.

Der ehrbare Kaufmann und insbesondere die Vorstellung, was ehrbar bedeutet, war immer auch ein Ausdruck der Wertvorstellungen der jeweiligen Zeit. Trotzdem lässt sich über die Jahrhunderte hinweg ein roter Faden erkennen, der auch heute als das Wesen des ehrbaren Kaufmanns anerkannt werden kann. Der ehrbare Kaufmann definiert sich über drei Prinzipien12:

  1. Kompetenz
  2. Verzicht auf Opportunismus
  3. Rechtschaffenheit gegenüber der Gesellschaft

Kompetenz

Die Kompetenz umfasst die notwendigen technischen Fähigkeiten und das das notwendige spezifische Wissen, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, die anvertraute Aufgabe vereinbarungsgemäß zu erledigen. Kompetenz ist eine Grundvoraussetzung, reicht aber nicht aus, weil sie das Kernproblem der Vertrauenswürdigkeit nicht berührt.

Verzicht auf Opportunismus

Das Kernproblem des Vertrauens betrifft die Unsicherheit in einer zwischenmenschlichen Beziehung über die wahren Handlungsabsichten des Gegenübers.  Ein opportunistisch handelnder Mensch verfolgt seine eigenen Interessen mit List und Tücke und verheimlicht bewusst wichtige Informationen. Missbraucht er dadurch das Vertrauen seines Gegenübers, verursacht er bei ihm einen Schaden.  Vertrauenswürdigkeit besteht aus dem Verzicht von opportunistischem Verhalten, trotz der Möglichkeit dazu.

Rechtschaffenheit gegenüber der Gesellschaft

Der dritte Aspekt des ehrbaren Kaufmanns bezieht sich auf die Auswirkungen seines Handelns auf Dritte. Diese Kategorie kann als Verantwortung gegenüber der Gesellschaft verstanden werden, die nicht unmittelbarer Teil der engeren Vertrauensbeziehung ist. Dem Kaufmann wurde immer auch eine gesellschaftliche Funktion zugerechnet.  Bis in die Neuzeit wurde diese Aufgabe über das Verhältnis zur Religion erfasst.  Heute wird der Kaufmann etwa über Themen wir Corporate Social Responsibility oder ESG-Kriterien, nicht immer im Sinne der Ehrbarkeit, in die Pflicht genommen.

In allen drei Prinzipien braucht der ehrbare Kaufmann Konstanz. Es macht keinen Sinn manchmal ehrbarer Kaufmann zu sein und manchmal nicht. Entweder man ist ein ehrbarer Kaufmann oder man ist es nicht. Das bedeutet in der Konsequenz, dass ein Verstoß gegen Prinzipien sehr viel schwerer wiegt als eine Befolgung. Vertrauen wird ungleich schneller zerstört als aufgebaut. Ein ehrbarer Kaufmann kann schlimmstenfalls mit einem Fehltritt seine gesamte Reputation zerstören.

Vertrauen ist der Schlüssel zum Erfolg in einer komplexen Welt, die geprägt ist von radikaler Unsicherheit. Insbesondere in Zeiten, in denen allgemeines Vertrauen in Systeme und Organisationen schwindet, nimmt die Bedeutung von Vertrauen in einzelne handelnde Personen und deren Organisation, die sie repräsentieren, zu. Der Vertrauende muss in Vorleitung gehen, deshalb ist Vertrauen eine Investition. Sie besteht aus der freiwilligen Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen gegen opportunistisches Verhalten. Sie impliziert die Erwartung, dass der Vertrauensnehmer motiviert ist, freiwillig auf opportunistisches Verhalten zu verzichten.13

Verträge, Compliance-Regelungen und Regulierungen können Vertrauen nicht ersetzen, sondern sind höchstens komplementäre Instrumente. Über Verträge und Regulierungen werden bestimmte, definierbare und erwünschte Ergebnismöglichkeiten fixiert, um das Risiko von Fehlverhalten zu begrenzen. Der Adressat einer Regulierung soll in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt werden, um so opportunistisches Verhalten möglichst zu verhindern. Die Wirkung von Vertrauen ist eine andere als die von Regulierung. Da Vertrauen kein Ergebnis fixiert, bleibt der freie Handlungsspielraum für den Vertrauensnehmer bestehen. Unsicherheiten werden nicht reduziert, sondern absorbiert.14 Dadurch wird dem Vertrauensnehmer ein höheres Ausmaß an Anpassungsfähigkeit und Resilienz ermöglicht, zwei wichtige strategische Vorteile in der Welt radikaler Unsicherheit.

Das Konzept des ehrbaren Kaufmanns öffnet die Tür für eine neue Risikokultur. Die typische Wahrnehmung von Risiko in der Wirtschaftswissenschaft und im Finanzbereich wird mathematisch ausgedrückt als das Produkt aus dem Verlust und der Wahrscheinlichkeit des Verlustes. Beobachter versuchen, ex-post Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu errechnen. Die Ergebnisse werden zu Prognosen über die Zukunft verwendet. Die daraus entstandene mechanistische bzw. szientistische Risikokultur des 20. Jahrhunderts wurde von dem österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek als verhängnisvolle Anmaßung bezeichnet und als Missbrauch und Verfall der Vernunft in seinem Werk ausführlich beschrieben.15

Jürgen Bott und Udo Milkau stellen in ihrem Artikel „Risk Culture and the Role Model of the Honorable Merchant”16 einen Entwurf des ehrbaren Kaufmanns als Maßstab für eine neue Risikokultur vor.17 Individuellen Entscheidungsträgern wird Risiko zugerechnet, weil sie mit ihren Entscheidungen die Entwicklung möglicher Zukunft prägen und dafür Verantwortung übernehmen. Es ist damit auch die Geburtsstunde des Unternehmertums und folglich des ehrbaren Kaufmanns, dessen Ehrbarkeit sich bereits dadurch ergibt, dass er ins Risiko geht.

Laut Bott und Milkau ist das Verständnis für kaufmännisches Risiko und das daraus abgeleitete Verständnis für Unternehmertum durch die Verwissenschaftlichung des Risikos und des Managementprozesses im 21. Jahrhundert verloren gegangen.18 Sie beschreiben die Situation wie folgt: „Diese "Kultur des Uhrwerks" hatte zwei Nebenwirkungen: Im Uhrwerk ist alles vollständig vorhersehbar (Illusion der Kontrolle) und kein Einzelstück hat eine Individualität (Verwässerung der Verantwortung). Die persönliche Verantwortung eines ehrbaren Kaufmanns trat in den Hintergrund.“19

Die Kommunikation des ehrbaren Kaufmanns in die Öffentlichkeit ist eine besondere Herausforderung. Einfach zu sagen, dass man kompetent, vertrauenswürdig und rechtschaffen arbeitet, reicht nicht aus. Im Gegenteil, bei allzu intensiver Betonung, könnten sogar Zweifel an den Prinzipien in der Öffentlichkeit aufkommen. Da die Ehrbarkeit im Grunde auch erwartet werden kann, sollte die Erreichung des Standards auch keine besondere Aufmerksamkeit erhalten. „Wieder eine Woche geschafft, in der wir keinen unserer Kunden übers Ohr gehauen haben“ wäre keine überzeugende Nachricht.20

Ein wichtiges Ziel für den ehrbaren Kaufmann sollte es sein, gemeinsame Maßstäbe mit Vertrauensgebern zu entwickeln. Das ist in einer komplexen, globalisierten Welt mit sehr heterogenen Lebenswirklichkeiten keine einfache Aufgabe. Es kommt darauf an, verschiedene Formen von Dialogen mit Kunden und der Öffentlichkeit anzubieten, in denen es nicht nur darum geht, gemeinsame Wertvorstellungen auszumachen und zu bestärken, sondern auch, wechselseitig ein Verständnis für das Weltbild und die Handlungssituation des jeweils anderen zu entwickeln. 21

Der ehrbare Kaufmann ist die zentrale historische Figur für die Entwicklung Europas hin zu einer grundsätzlich marktwirtschaftlich geprägten Ordnung. Die Entwicklung der letzten 100 Jahre zeigt einen Trend zur Verwissenschaftlichung von Risiko trotz Unberechenbarkeit radikaler Unsicherheit. Durch die damit geförderten Finanzkrisen und die von der Politik und Unternehmensorganisation geschaffenen Möglichkeiten, sich der Haftung für Fehlentscheidungen zu entziehen, wird das Vertrauen in Finanzmärkte und die dort Handelnden geschwächt. Die Rückbesinnung auf den ehrbaren Kaufmann und eine moderne zeitgemäße Interpretation als ehrbarer Finanzkaufmann bietet für einzelne Akteure die Chance eines Wettbewerbsvorteils und für die gesamte Branche die Chance auf den Aufbau nachhaltiger Vertrauensbeziehungen.

Eine der ersten Quellen zum ehrbaren Kaufmann im Mittelalter findet sich im italienischen Handbuch „Pratica della Mercatura“, herausgegeben um 1340. Dort zitiert der Autor Francesco Balducci Pegolotti in seiner Einleitung die Verse des florentinischen Kaufmanns Dino Compagni:22

„Der Kaufmann, der Ansehen genießen will,

muss immer gerecht handeln,

große Weitsichtigkeit besitzen

und immer seine Versprechen einhalten.

Wenn möglich, soll er liebenswürdig aussehen,

wie es dem ehrenwerten Beruf, den er gewählt hat, entspricht

aufrichtig beim Verkauf, aufmerksam beim Kauf sein,

er soll sich herzlich bedanken und von Klagen Abstand halten.

Sein Ansehen wird noch größer sein, wenn er die Kirche besucht,

aus Liebe zu Gott spendet, ohne zu feilschen

seine Geschäfte abschließt und sich strikt weigert,

Wucher zu betreiben. Schließlich soll er vernünftig

seine Konten führen und keine Fehler begehen.

Amen“

1 Mayer, Thomas (2020) Die Vermessung der Zukunft, siehe: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/studien/die-vermessung-der-zukunft/

2 Siehe dazu Baloglu, Chrestos und Peukert, Helge (1996) Zum antiken ökonomischen Denken der Griechen – Eine kommentierte Bibliographie, Marburg, Metropolis Verlag, S. 23

3 Schwalbach, Joachim und Klink, Daniel (2015) Der ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

4 Jones, Eric (1981) Das Wunder Europa, Tübingen: Mohr Siebeck

5 Klink, D. (2007): Der ehrbare Kaufmann – Diplomarbeit. Betreut von Joachim Schwalbach, Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Management. Online verfügbar unter www.der-ehrbare-kaufmann.de/files/der-ehrbare-kaufmann.pdf

6 Bott, Jürgen und Milkau, Udo (2018) Risk Culture and the Role Model of the Honorable Merchant, Journal of Risk and Financial Management, S.4

7 Milkau, Udo (2017) Risk Culture during the Last 2000 Years—From an Aleatory Society to the Illusion of Risk Control, International Journal of Financial Studies, 5(4), 31

8 Schwalbach, Joachim und Klink, Daniel (2015) Der ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

9 Klink, D. (2007): Der ehrbare Kaufmann – Diplomarbeit. Betreut von Joachim Schwalbach, Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Management. Online verfügbar unter www.der-ehrbare-kaufmann.de/files/der-ehrbare-kaufmann.pdf

10 Zitiert in Schwalbach, Joachim und Klink, Daniel (2015) Der ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

11 McCloskey, Deirdre (2006) „The Bourgeois Virtues – Ethics for an Age of Commerce“, Chicago: The University of Chicago Press

12 Schuchanek, Andreas (2015) Vertrauen als Grundlage nachhaltiger unternehmerischer Wertschöpfung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

13 Rippberger, Tanja (1999) Vertrauen im institutionellen Rahmen, in: Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 3, Berlin: Berlin University Press, S. 67- 96

14 Rippberger, Tanja (1999) Vertrauen im institutionellen Rahmen, in: Handbuch der Wirt-schaftsethik, Band 3, Berlin: Berlin University Press, S. 67- 96

15 Siehe etwa von Hayek, Friedrich A. (2004) Mißbrauch und Verfall der Vernunft, Tübingen: Mohr Siebeck

16 Bott, Jürgen und Milkau, Udo (2018) Risk Culture and the Role Model of the Honorable Merchant, Journal of Risk and Financial Management

17 In die gleiche Richtung zielt Thomas Mayer in dem Artikel „Die Vermessung der Zukunft“.  Mayer (2020).

18 Bott, Jürgen und Milkau, Udo (2018) Risk Culture and the Role Model of the Honorable Merchant, Journal of Risk and Financial Management

19 Bott, Jürgen und Milkau, Udo (2018) Risk Culture and the Role Model of the Honorable Merchant, Journal of Risk and Financial Management

20 Schuchanek, Andreas (2015) Vertrauen als Grundlage nachhaltiger unternehmerischer Wertschöpfung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

21 Schuchanek, Andreas (2015) Vertrauen als Grundlage nachhaltiger unternehmerischer Wertschöpfung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

22 Zitiert aus Schwalbach, Joachim und Klink, Daniel (2015) Der ehrbare Kaufmann als individuelle Verantwortungskategorie der CSR-Forschung, in: Schneider, Andreas; Schmidpeter, René, Corporate Social Responsibility, Berlin: SpringerGabler

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