05.05.2023 - Kommentare

Wie politisch soll ein Unternehmen werden?

von Marius Kleinheyer


Der amerikanische Ökonom Albert O. Hirschman beschreibt in seinem Buch „Exit, Voice and Loyalty“1  die Reaktionsmöglichkeiten auf den Niedergang von Unternehmen und Staaten. Viele Unternehmen, entscheiden sich, wenn sie die Wahl haben, für den „Exit“. „Voice“ spielt dagegen eine kleinere Rolle. Dabei könnte sie als Ausdruck von Loyalität der Kern von Corporate Social Responsibility sein.

Warum Unternehmen Exit gegenüber Voice bevorzugen

Hirschman ordnet die Exit-Option als eine genuin ökonomische Reaktion ein. Ein Kunde, der mit einer Leistung nicht zufrieden ist, wechselt den Anbieter und nutzt den Marktwettbewerb, um seinen Wohlstand zu sichern. Gleichzeitig kommuniziert er durch sein Handeln ein wichtiges Signal an den Marktteilnehmer, der ihn als Kunden verliert. Der unterlegene Anbieter muss besser werden. Dieser Mechanismus treibt eine Volkswirtschaft an und ist ganz nebenbei eine sehr elegante Art der Konfliktlösung ohne offene Konfrontation. „It is indirect – any recovery on the part of the declining firm comes by courtesy of the Invisible Hand, as an unintended by-product of the customer’s decision to shift.”2

Damit der Mechanismus funktioniert braucht es zwei Arten von Kunden: Aktive, informierte, preis- oder qualitätsbewusste Kunden und trägere beziehungsweise großzügigere Kunden. Die aktiven Kunden signalisieren den Missstand, die trägeren geben dem Anbieter die Möglichkeit nachzubessern.

„Voice“ wird von Hirschman als eine genuin politische Reaktion kategorisiert. Die Eleganz der Exit-Reaktion fehlt. Der Widerspruch ist direkt, konkret und konfrontativ. „It implies articulation of one´s critical opinions rather than a private “secret” vote in the anonymity of a supermarket.”3 Unter “Voice” wird jede Form von Widerspruch verstanden, um Veränderungen des Status Quo zu erreichen. Dazu kann eine direkte Beschwerde beim Anbieter aber auch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung gehören. „Voice“ ist tendenziell unbequemer, bleibt aber letztlich ein Ausdruck von „Loyalty“, da die Verbindung zum Anbieter bestehen bleibt.

Hirschman konstatiert, dass Ökonomen klassischerweise die Voice-Option ignorieren oder aber fälschlicherweise ihre Bedeutung für ökonomische Entscheidungen aufgrund der Zuordnung in den Bereich der politischen Auseinandersetzung unterschätzen. Dagegen muss heute festgestellt werden, dass in der gesellschaftlichen Realität westlicher Industriegesellschaften spätestens seit den 1970er Jahren „Voice“ nicht nur ein wichtiger Macht- sondern auch Wirtschaftsfaktor geworden ist. „Voice“ ist damit heute mehr als nur die Residualgröße von „Exit“. Mit steigender Erfolgswahrscheinlichkeit der Voice-Option wird sie auch häufiger der Exit-Option vorgezogen. Wird die Voice-Option gewählt, obwohl der „Exit“ möglich ist, ist das ein Ausdruck von Loyalität.

Unternehmen sind keine politischen Akteure. In einer globalisierten Welt ist die Qualität des regulatorischen Umfeldes vergleichbar mit der Produktqualität eines Marktanbieters. Wird ein potentiell schädliches Produkt angeboten, ist es legitim, dem Schaden durch „Exit“ auszuweichen. „Voice“ ist in dieser Situation die viel riskantere und letztlich verantwortungslose Wahl.

Loyalität als Kern der Corporate Social Responsibility

Bevor es aber zu der Situation kommt, dass „Exit“ die einzig verbleibende Wahl wird, lohnt es sich zu fragen, welche Verantwortung Unternehmen selbst für diese Situation tragen. Hätten sie durch Ihre „Voice“ zu einer besseren Situation beitragen können? Ist „Voice“ sogar Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung?

Gerade weil es tendenziell die informierten und agilen Unternehmen sind, die die Wahl zwischen „Exit“ und „Voice“ haben, kommt ihnen eine besondere Verantwortung zu. Denn sie haben besonderes Wissen, das ihnen eine besonders qualifizierte „Voice“ gibt. Hirschman stellt fest: „As a result of loyalty, these potentially most influential customers and members will stay on longer than they would ordinarily, in the hope or, rather, reasoned expectation that improvement or reform can be achieved “from within”. Thus loyalty, far from being irrational, can serve the socially useful purpose of preventing deterioration from becoming cumulative, as it so often does when there is no barrier to exit.”4 Hier liegt der Anknüpfungspunkt zur Corporate Social Responsibiliy.

Der Wirtschaftsethiker Martin van Broock kritisiert, dass der Aufgabe der Corporate Social Responsibility häufig ein additiver Charakter zugesprochen wird, der über das Kerngeschäft hinausgeht und einen Beitrag einfordert, der über geltende Standards hinausreicht. Unabhängig von möglichen Reputationsgewinnen trägt dieses CSR-Verständnis eine Gefahr in sich: Es wird implizit ein unzulässiger Antagonismus suggeriert, dass Unternehmen neben ihrem eigentlichen Geschäft noch etwas „Gutes“ für die Gesellschaft leisten müssten. „Das Kerndefizit besteht darin, dass unter einem solchen, primär auf gute Taten ausgerichteten Verantwortungsbegriff relevante Konfliktfelder unternehmerischen Handelns weitgehend ausgeblendet bleiben.“5 Van Broock schlägt vor, dass ein wichtiger Teil der Corporate Social Responsibility aus Investitionen in das allgemeine Verständnis für das Unternehmensziel und den dafür grundlegenden abstrakten Rahmenbedingungen besteht.6

Fazit

Ein Unternehmen, wird seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, wenn es nicht auf die Aussprache unbequemer Wahrheiten verzichtet, nur um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Bevor das Unternehmen von seiner Exit-Option gebraucht macht, wäre es vor dem Hintergrund seiner besonderen Bedeutung wünschenswert, dass es die „Voice“-Option wählt. Dies muss frühzeitig passieren und dem abstrakten Verständnis der notwendigen Rahmenbedingungen dienen. Daraus folgt eine entschlossenere Einmischung in politische Prozesse seitens vieler Unternehmen.

Die Exit-Option bleibt auch bei diesem Ansatz legitim und nützlich. Verlassen Unternehmen den Standort ist das ein wichtiges Signal für die Politik.


1 Hirschman, Albert O. (1970) Exit, Voice, and Loyalty, Harvard: Harvard University Press.

2 Hirschman, Albert O. (1970) Exit, Voice, and Loyalty, Harvard: Harvard University Press, S.16

3 Hirschman, Albert O. (1970) Exit, Voice, and Loyalty, Harvard: Harvard University Press, S. 16

4 Hirschman, Albert O. (1970) Exit, Voice, and Loyalty, Harvard: Harvard University Press, S. 77.

5 Van Broock, Martin (2012) Spielzüge – Spielregeln – Spielverständnis, Marburg: Metropolis Verlag, S.223.

6 Van Broock, Martin (2012) Spielzüge – Spielregeln – Spielverständnis, Marburg: Metropolis Verlag, S. 233 f.

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