Skip to Content
Wirtschaft & Politik

Die Intervention der USA im Iran verschiebt die geopolitischen Machtverhältnisse

- Norbert F. Tofall

KOMMENTAR. Das Eingreifen der USA im Iran markiert eine außenpolitische Wende und eine Verschiebung der geopolitischen Machtverhältnisse zugunsten der USA und zulasten von China und Russland.
 

Die USA haben iranische Atom- und Urananreicherungsanlagen mit bunkerbrechenden Bomben angegriffen. Wenn die Informationen stimmen, dass der Iran kurz davorstand, ausreichend angereichertes Material für den Bau einer Atombombe zu besitzen, dann war diese militärische Intervention richtig und notwendig.

Israel besitzt keine bunkerbrechenden Bomben und keine Flugzeuge, welche diese Bomben ins Ziel tragen können. Seit etwas mehr als einer Woche vor dem US-Bombenabwurf hat Israel mit seinen Angriffen auf die iranischen Atomanlagen, Flugabwehrstellungen und sonstige militärische Infrastruktur die Lufthoheit über den Iran errungen und notwendige Vorarbeiten geleistet. Inwieweit diese Arbeitsteilung von vornherein abgesprochen war oder ob es Israel durch mutiges Vorausstürmen gelungen ist, die USA zum Eingreifen auf der Seite Israels zu zwingen, wird die Zeithistoriker beschäftigen. Einige Medien berichten bereits, dass der Einsatz der USA monatelang vorbereitet worden sein soll. Für die Finanzmärkte ist die Frage wichtiger, ob das Eingreifen der USA zu einer Eskalation des Konflikts zwischen Israel und Iran führt und ob weitere Staaten in diesen Konflikt verwickelt werden oder ob jetzt nicht eine Begrenzung oder sogar ein Einfrieren des gesamten Konflikts möglich sein könnte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich durch den Einsatz der USA die geopolitischen Machtverhältnisse zwischen den USA auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen Seite zugunsten der USA verschoben haben.

I.

Vermehrte Angriffe iranischer Kräfte sowie der Hamas, der Hisbollah oder der Huthi auf US-amerikanische Einrichtungen und Schiffe sind sehr wahrscheinlich. Ebenso können Terroranschläge in den USA und anderen westlichen Staaten nicht ausgeschlossen werden. Wie dosiert derartige Vergeltungsschläge ausfallen werden, ist offen und dürfte nicht zuletzt davon abhängen, welche Staaten sich auf die Seite des Irans stellen und inwieweit diese Staaten dem Iran Optionsfreiheit zubilligen und an welchen Formen der Eskalation Interesse haben.

Seit dem terroristischen Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023, hinter denen der Iran vermutet wird und der nicht darauf zielte, das Los der Palästinenser zu verbessern, sondern durch das Schüren von Chaos und Konflikten die geopolitische Macht in der Region zu Gunsten des Irans zu verschieben,1 hat sich kein bedeutender Staat der Region auf die Seite des Irans gestellt. Das heißt, dass das Kalkül des Irans, mittels der Palästinenserfrage zur regionalen Hegemonialmacht aufzusteigen, nicht aufgegangen ist. Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, die schon bislang kein Interesse daran hatten, dass der Iran seine Macht in der Region ausbaut oder auch nur verteidigt, dürften jetzt wohl kaum auf die Seite des Irans wechseln. Saudi-Arabien und Jordanien haben kein Interesse an der Eskalation des Krieges zwischen Israel und Iran und der Ausweitung des Chaos in der Region. Das gilt auch für Syrien, welches nach der Vertreibung des Assad-Regimes erst noch innenpolitische Stabilität finden muß. Außenpolitische Konflikte bis hin zu kriegerischen Konflikten könnten die derzeitigen Machtinhaber Syriens schnell die gerade erst errungene Macht kosten.

Eine andere Interessenlage dürfte für Russland und China gelten, welche bisher die eigentlichen Nutznießer des gesamten Konflikts seit dem 7. Oktober 2023 waren. Für Russland und China, welche die Gewichte in den internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft zu ihren Gunsten verändern wollen – was durch terroristisches Chaos à la Hamas und Hisbollah und Instabilität begünstigt wird – hat es sich gelohnt, Iran in die Runde der erweiterten BRICS-Staaten aufzunehmen:2

  • Erstens musste sich der Westen neben der Ukraine auch um Israel und den Nahen Osten kümmern, was Putin in der Ukraine nützlich ist.
  • Zweitens ist durch den andauernden Israel-Konflikt die Polarisierung in den westlichen Staaten weiter angestiegen.
  • Drittens sorgen Krieg und Chaos im Nahen Osten für erhöhte Instabilitäten der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft. Stichwort Ölpreis und Straße von Hormus.
  • Viertens hat sich für China der Vorteil ergeben, dass sich der Westen und vor allem die USA vermehrt in Konflikte verwickeln, die sie vom Taiwan-Konflikt ablenken.

Zwar versucht China, den Anschein eines Vermittlers und eines wohlwollenden Interessenvertreters des Globalen Südens zu erwecken, Chinas Handeln ist jedoch mitnichten auf Konfliktminimierung oder gar Konfliktlösung gerichtet. Wie Chinas geoökonomischer Kampf auf Seiten Russlands zeigt, strebt China eine Neuordnung der globalen Machtverteilung zu seinen Gunsten an. Dazu werden kriegerische Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen, auch wenn anderen vornehm der Vortritt gewährt wird. China betreibt zwar mitnichten Konfliktminimierung, hat aber ein großes Interesse an einer Minimierung seiner eigenen Kosten.

Russland soll seinen Krieg in der Ukraine nicht verlieren, darf aber nicht über seine neue Rolle als Juniorpartner Chinas hinauswachsen. Der Iran soll ruhig im Schulterschluß mit der Hamas und der Hisbollah Chaos und Konflikte im Nahen Osten schüren, soll aber nicht zu einer eigenständigen Hegemonialmacht im Nahen und Mittleren Osten aufsteigen. Und die seit dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 leidenden Palästinenser sind das nützliche Kanonenfutter, um zum einen den Globalen Süden weiter gegen den Westen in Stellung zu bringen und um zum anderen innergesellschaftliche Spannungen und Konflikte im Westen zu eskalieren.

Aufgrund seines Kostenkalküls dürfte China weiterhin bestrebt sein, nicht militärisch in den Krieg zwischen Israel und Iran verwickelt zu werden. Eine ausgeweitete ökonomische Unterstützung des Irans für weitere günstige Öllieferungen sind jedoch wahrscheinlich.

Russland hatte durch sein Eingreifen in Syrien 2015 die europäische Flüchtlingskrise ausgelöst. Russland sind jedoch heute durch den Ukraine-Krieg weitgehend die Hände gebunden. Bei einem Eingreifen von Russland in den Krieg zwischen Israel und Iran besteht für Putin die Gefahr, dass US-Präsident Trump seine Zurückhaltung gegenüber Russlands Krieg in der Ukraine aufgibt und die Ukraine und die Europäer militärisch stärker unterstützt. Das heißt insgesamt, dass Iran von seinen BRICS+Freunden nur sehr begrenzte Unterstützung erhalten dürfte.

Falls die geschilderten Interessenlagen der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie die von China und Russland Bestand haben sollten, bleibt Iran eigentlich nur die Option, nach einigen gesichtswahrenden Vergeltungsschlägen, den Krieg mit Israel zu beenden oder einzufrieren. Einen Krieg gegen Israel und die USA kann Iran in der derzeitigen Situation nicht gewinnen.

Dazu kommt, dass die USA nach ihrer Bombardierung der iranischen Atom- und Urananreicherungsanlagen Druck auf Israel ausüben könnten, israelische Angriffe auf den Iran einzustellen, wenn Iran seinerseits die Raketenangriffe auf Israel einstellt. Israel hat dann, falls sich die Angaben der US-Regierung bewahrheiten, dass das iranische Atomwaffenprogramm vernichtet ist, kein Argument mehr, welches vor der eigenen Bevölkerung Bestand haben könnte, um den Krieg gegen den Iran fortzuführen. Das Eingreifen der USA in den Konflikt könnte deshalb die Grundlage für eine Begrenzung oder gar ein Einfrieren des Konflikts gelegt haben.

II.

Für die Einordnung des aktuellen Konflikts in einen größeren Zusammenhang sollte man sich erinnern, dass bereits 1997 der frühere Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch „The Grand Chessboard“ das gefährliche Szenario einer zukünftigen großen Koalition zwischen China, Russland und Iran gezeichnet hatte. Diese Koalition werde nicht durch eine Ideologie, sondern durch komplementäre Missstände geeint sein. Sie würde in Umfang und Reichweite an die Herausforderung erinnern, die einst der chinesisch-sowjetische Block darstellte, auch wenn China diesmal wahrscheinlich der Anführer und Russland der Gefolgsmann sein werde.3

Aufbauend auf diese leider eingetretene Prophezeiung von Zbigniew Brzezinski argumentiert der britisch-amerikanische Historiker Niall Ferguson, dass heute der neue Kalte Krieg schneller heraufziehe als der alte Kalte Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg:

„For now, fortunately, we are in Cold War II, not World War III. However, Cold War II is proceeding rather faster than Cold War I. If the Russian invasion of Ukraine was our equivalent of the Korean War of 1950-53, we have (thus far) skated past a second Cuban Missile Crisis — over Taiwan — and have already entered a period of détente, a sequence that took two decades last time around. Since last November’s presidential summit in Woodside, California, the Chinese have seemed genuinely keen to avoid a showdown and want to engage in serious, if frosty, dialogue with their American counterparts, reminiscent of 1969-72.

But the surprise attack on Israel by Hamas last October propelled us all the way to 1973… In short, in Cold War II we seem to be getting the 1950s, 1960s and 1970s compressed together in a somewhat bewildering mash-up.”4

Diese Parallelsetzung sollte indes mit Vorsicht betrachtet werden. Will sich China heute wirklich wie in der Zeit von 1969 bis 1972 mit den USA und dem Westen verständigen? Oder will China die USA und den Westen ruhigstellen? Zumindest kann China nicht auf die Exportmärkte USA, Europa und Japan verzichten.

Damals lag China wirtschaftlich am Boden und spielte in der Weltwirtschaft keine größere Rolle. Heute ist China gemessen am BIP fast so groß wie die USA.

Im Jahr 1969 führte der Zwischenfall am Ussuri zum Höhepunkt des Zerwürfnisses zwischen China und der Sowjetunion. Dieser Grenzkonflikt am Fluß Ussuri führte fast zu einem größeren Krieg zwischen China und der UdSSR, nachdem es bereits vorher eine Vielzahl von bewaffneten Zusammenstößen gegeben hatte. Heute steht China im Ukraine-Krieg fest an der Seite von Russland.

Darüber hinaus warnt China zwar vor neuen Blockbildungen, treibt diese aber selbst offensiv voran. Zum einen versucht China, neue strategische Bündnisse und regionale Handelsabkommen zu schließen und vor allem Abhängigkeiten durch die One-Belt-One-Road-Strategie zu erzeugen. Zum anderen blockiert China bestehende internationale Organisationen wie die WTO oder auch der UN-Menschenrechtsausschuß.

Aber wird die neue Koalition aus China, Russland und Iran wirklich auf Dauer Bestand haben? Wie lange hält diese Achse noch? Oder zerbricht diese Achse derzeit, weil Iran seine Rolle als fünfte Kolonne Moskaus und Pekings erfüllt hat und jetzt zum Klotz am Bein werden könnte?

Russland und China haben den Iran geopolitisch zwar genau in die Rolle des Chaos-Erzeugers und Konflikt-Mehrers gedrängt, also dahin, wo sie den Iran 2023 durch die Aufnahme in die BRICS+ haben wollten. Aber weder China noch Russland werden den Iran als gleichberechtigten Partner akzeptieren. Insgesamt ist die Achse China, Russland und Iran deshalb in der Tat – wie Zbigniew Brzezinski schon 1997 mutmaßte – eine Koalition ohne Ideologie, die durch komplementäre Missstände geeint wird und – das muß ergänzt werden – durch gemeinsame Feinde: die USA und der Westen.

Aus diesem Grund ist Niall Ferguson zuzustimmen, wenn er betont, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten in fernen Ländern uns letztlich angehen müssen. Sie sind Teil eines einzigen Krieges, der von einer neuen Achse gegen unsere Grundwerte geführt wird: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit. Niall Ferguson prophezeite, dass deshalb die Gegenargumente der Isolationisten nicht lange halten werden.

Vermutlich spielt China auch aus diesem Grund die geopolitische Unschuld vom Lande. Weder sollen der Globale Süden noch die Isolationisten in den USA und Europa aus ihrem wohligen Schlaf geweckt werden. Denn die Achse China, Russland und Iran könnte schneller brechen als erwartet, wenn sie unter den Druck einer konsequenten Sicherheits- und Außenpolitik wie die der NATO in den 1970er und 1980er Jahren gerät.

Durch den Krieg zwischen Israel und dem Iran und dem Eingreifen der USA auf Seiten Israels dürften nicht wenige Isolationisten in den USA und Europa aufgeweckt worden sein. Auch aus diesem Grund könnte China den Iran jetzt drängen, schnell einer Friedenslösung oder einem Waffenstillstand und einem Aussetzen seines Atomwaffenprogramms zuzustimmen, bevor sich weitere geopolitische Machtverschiebungen zugunsten der USA entwickeln. Denn das Eingreifen der USA im Iran dürfte eine außenpolitische Wende markieren. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump mußten China und Russland wenig tun, um ihrem Ziel einer Neuordnung der Weltwirtschaft und der internationalen Beziehungen zu ihren Gunsten näher zu kommen. Jetzt besteht sogar die Gefahr, dass die USA doch wieder ihr Interesse entdecken, die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland konsequent so zu unterstützen, dass Russland seinen Angriffskrieg nicht gewinnt. Dadurch würde auch die Wahrscheinlichkeit sinken, dass Russland andere Teile Europas angreift und die Verteidigungswilligkeit der NATO testet. Die USA haben durch ihre Intervention im Iran nicht nur unmissverständlich signalisiert, dass sie sich noch nicht von der Weltbühne verabschiedet haben, sondern dass sie weiterhin oder - je nach Lesart - wieder bereit sind, anderen Mächten mit militärischen Mitteln entgegenzutreten.

_________________________________________________________

1 Siehe Norbert F. Tofall: G20+, BRICS+ und China. Globale ökonomische und politische Minenfelder, Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 11. September 2023, online: https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/kommentare/g20-brics-und-china-globale-oekonomische-und-politische-minenfelder/

2 Siehe ebenda.

3 Hierzu Niall Ferguson: The Second Cold War Is Escalating Faster Than The First, Bloomberg, 21. April 2024, online: https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2024-04-21/china-russia-iran-axis-is-bad-news-for-trump-and-gop-isolationists?srnd=homepage-americas

4 Vgl. ebenda.

Das könnte Sie auch interessieren

Rechtliche Hinweise

Die in diesem Dokument enthaltenen Informationen und zum Ausdruck gebrachten Meinungen geben die Einschätzungen des Verfassers zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Angaben zu in die Zukunft gerichteten Aussagen spiegeln die Ansicht und die Zukunftserwartung des Verfassers wider. Die Meinungen und Erwartungen können von Einschätzungen abweichen, die in anderen Dokumenten der Flossbach von Storch SE dargestellt werden. Die Beiträge werden nur zu Informationszwecken und ohne vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. (Mit diesem Dokument wird kein Angebot zum Verkauf, Kauf oder zur Zeichnung von Wertpapieren oder sonstigen Titeln unterbreitet). Die enthaltenen Informationen und Einschätzungen stellen keine Anlageberatung oder sonstige Empfehlung dar. Eine Haftung für die Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit der gemachten Angaben und Einschätzungen ist ausgeschlossen. Die historische Entwicklung ist kein verlässlicher Indikator für die zukünftige Entwicklung. Sämtliche Urheberrechte und sonstige Rechte, Titel und Ansprüche (einschließlich Copyrights, Marken, Patente und anderer Rechte an geistigem Eigentum sowie sonstiger Rechte) an, für und aus allen Informationen dieser Veröffentlichung unterliegen uneingeschränkt den jeweils gültigen Bestimmungen und den Besitzrechten der jeweiligen eingetragenen Eigentümer. Sie erlangen keine Rechte an dem Inhalt. Das Copyright für veröffentlichte, von der Flossbach von Storch SE selbst erstellte Inhalte bleibt allein bei der Flossbach von Storch SE. Eine Vervielfältigung oder Verwendung solcher Inhalte, ganz oder in Teilen, ist ohne schriftliche Zustimmung der Flossbach von Storch SE nicht gestattet.

Nachdrucke dieser Veröffentlichung sowie öffentliches Zugänglichmachen – insbesondere durch Aufnahme in fremde Internetauftritte – und Vervielfältigungen auf Datenträger aller Art bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung durch die Flossbach von Storch SE.

© 2025 Flossbach von Storch. Alle Rechte vorbehalten.

Back to top