28.06.2023 - Kommentare

Irgendwann wird auch die Inflation „transitorisch“ sein

von Pablo Duarte


Trotz Normalisierung der Energie- und Konsumgüterpreise, bleibt die Inflation unbesiegt. Irgendwann wird die Inflation wieder zurückgehen, und wie alles auf dieser Welt, wird die Inflation dann auch „transitorisch“ gewesen sein.

Die Inflationsraten in den USA und der Eurozone sind seit einigen Monaten rückläufig. Einige feiern dies als endgültige Niederlage der Inflation und sehen es als Bestätigung dafür, dass sie letztendlich „transitorisch“ war. Dies wirft jedoch zwei Probleme auf. Erstens lässt sich immer ein ausreichend langer Zeitraum finden, um ein weltliches Phänomen als „transitorisch“ zu bezeichnen, wodurch der Begriff letztlich inhaltslos wird. Zweitens scheint der Inflationsdruck noch nicht vollständig verschwunden zu sein. Die Inflationsraten könnten sogar erneut steigen. Die Inflation wird zwar irgendwann wieder vorbei sein, aber vermutlich nicht so bald.

Inflation ist „transitorisch“, weil alles „transitorisch“ ist

Die Zielinflationsrate von 2 % wurde Anfang 2021 in den USA und etwas später auch in der Eurozone überschritten. Da das damals vorherrschende Narrativ besagte, dass diese hohen Inflationsraten vorübergehend ("transitorisch") seien, reagierten die Zentralbanken erst spät mit einer Straffung ihrer sehr expansiven Geldpolitik. Man ging davon aus, dass die Inflationsraten von selbst wieder fallen würden, sobald sich die zuvor durch die Pandemie-Lockdowns beeinträchtigten Lieferketten normalisieren würden. Alles schien unter Kontrolle zu sein.1

 

Doch es kam anders. Mehr als zwei Jahre später liegen die Inflationsraten immer noch spürbar über dem 2 %-Ziel. Die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) reagierten mit erheblicher Verzögerung darauf.

Die „transitorischen“ Treiber der Inflation sind verblasst

Der wichtigste Beitrag zur Rückkehr der Inflation kam nach der Pandemie von der Angebotsseite. Sowohl in den USA als auch im Euroraum trieben Engpässe in den Lieferketten die Preise für viele Konsumgüter in die Höhe. Gleichzeitig zogen auch die Rohstoff- und Energiepreise an. Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine trieb die Öl- und Gaspreise noch weiter in die Höhe und die Inflationsraten auf ein Niveau, das seit den 1970er Jahren nicht mehr erreicht wurde. Diese Preise sind in den letzten Monaten gesunken. Die Kosten für den Warentransport sind beispielsweise auf das Niveau vor der Pandemie zurückgegangen. Da die Engpässe in den Versorgungsketten aufgelöst wurden und die Energiepreise trotz des Krieges gesunken sind, scheint der Inflationsdruck auf der Angebotsseite nachgelassen zu haben.

Der Inflationsdruck ist jedoch immer noch zu spüren.

Der Anstieg der Inflation beschränkt sich jedoch nicht nur auf Rohstoffe und Konsumgüter. In den USA sind die Preise für Dienstleistungen stetig gestiegen und tragen nun am meisten zur Inflation bei. In der Eurozone nimmt der Inflationsdruck bei den Dienstleistungs- und Lebensmittelpreisen zu. Auch die Löhne sind sowohl in der Eurozone als auch in den USA schneller gestiegen. Bisher scheinen die Steigerungen der Dienstleistungspreise und Löhne nicht nachzulassen. Der Inflationsdruck hat sich von Rohstoffen und Konsumgütern auf Dienstleistungen und Nahrungsmittel übertragen.

Der Basiseffekt versteckt den Inflationsdruck

Der Rückgang der Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr, den wir in den letzten Monaten beobachten konnten, wird durch den Basiseffekt überzeichnet. Die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr, die am häufigsten beobachtet und diskutiert wird, steigt oder fällt auch, je nachdem, wie sich die Inflation im Vorjahr entwickelt hat.2 Die jährliche Inflationsrate kann nur dann auf demselben Niveau bleiben, wenn der Preisindex monatlich um denselben Betrag steigt wie vor zwölf Monaten. In der ersten Jahreshälfte 2022 kam es zu einem drastischen Anstieg des Preisindexes als Folge der kriegsbedingten Verteuerung von Energie und Rohstoffen. Daher führt ein hoher, aber weniger starker monatlicher Anstieg dieses Jahr zu einer überzeichneten Verringerung der Inflationsrate im Jahresvergleich.

Der Basiseffekt ist in den nachstehenden Schaubildern zu erkennen (Abbildung 4). Die blaue Linie gibt die jährliche Inflationsrate an. Die roten Balken sind die monatlichen Veränderungen des Preisindexes, die blauen Balken die monatlichen Veränderungen des Preisindex zwölf Monate zuvor. Die jährliche Inflationsrate sinkt, wenn die blauen Balken größer sind als die roten Balken. Dies geschieht auch bei anhaltend hoher Inflation über dem Zielwert der Zentralbanken.

Seit Ende letzten Jahres hält der Inflationsdruck an (rote Balken). In den USA und der Eurozone sind die Preise mit Monatsraten von im Schnitt 0,3 % und 0,4 % gestiegen. Die annualisierten Raten betrugen 3,5 % und 5,3 %. Da die Monatsraten geringer waren als vor zwölf Monaten, ist die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr stark zurückgegangen. Dieser Rückgang ist durch den Basiseffekt überzeichnet.

Die Geldmenge

Ohne eine Geldmengenausweitung wäre der Anstieg der Inflation nicht möglich. Ohne Geldmengenausweitung würde beispielsweise ein Anstieg der Energiepreise zu einer Neuanpassung der Nachfrage nach Energie und anderen Gütern entsprechend der Budgetbeschränkung der Haushalte führen. Die relativen Preise würden sich anpassen, so dass einige Preise steigen und andere fallen, aber das allgemeine Preisniveau stabil bliebe. Die aggressive Geldmengenausweitung zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 schufen den monetären Spielraum, der den anschließenden Anstieg der Inflation ermöglichte. Da die Menschen in ihren Häuser isoliert und die Lieferketten unterbrochen waren, und insbesondere Dienstleistungen ausfielen, sammelte sich dieses Geld auf Bankkonten an. Mit dem Ende der Pandemie fanden die erzwungenen Geldersparnisse ihren Weg in die Konsumnachfrage. Da das Angebot nicht so schnell wachsen konnte wie die Nachfrage, begannen die Preise den von den Zentralbanken geschaffenen monetären Raum zu füllen. Die Verringerung der Geldmenge begann spät und geschieht noch immer langsam. Das bedeutet, dass die Preise noch monetären Spielraum für einen weiteren Anstieg haben.

Die Verlangsamung der Kreditvergabe und der Konjunktur

Die Geldpolitik wird mit einer Verzögerung von mehr als einem Jahr über den Finanzsektor auf die Realwirtschaft übertragen. Die Erhöhung der Leitzinsen der Zentralbanken verteuert die Kredite, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage verringert. In der Vergangenheit war der Kreditimpuls, d. h. die Veränderung des Kreditflusses vom Finanzsektor zum privaten Sektor, ein guter Indikator für die reale Nachfrage. In den USA und der Eurozone sind die Kreditflüsse stark zurückgegangen. Folglich könnte der Inflationsdruck dank eines Rückgangs der Gesamtnachfrage nachlassen.

Fazit

Insgesamt deuten die Normalisierung der Energie- und Konsumgüterpreise sowie die Verlangsamung des Kreditflusses auf eine nachlassende Inflation hin. Doch die Inflation ist noch nicht besiegt. Irgendwann wird die Inflation wieder zurückgehen, und wie alles auf dieser Welt, wird die Inflation dann auch „transitorisch“ gewesen sein.


1 Siehe hierzu Duarte (2021), „Inflationsnarrative bestimmen das Schicksal der Zentralbanken“, Kommentar, Flossbach von Storch Research Institute, 09.03.2021.

2 Für eine genaue Erklärung des Basiseffekts siehe Duarte (2022), Wurde der Inflationspeak erreicht? Der trügerische Basis-Effekt, Studie, Flossbach von Storch Research Institute.

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