21.02.2024 - Kommentare

Fed und EZB: „Um die Produktivität geht’s, Dummkopf!“

von Pablo Duarte


Die Inflationsrate hat in den USA und der Eurozone im Juni bzw. Oktober 2022 ihren Höhepunkt erreicht. Sie nahm danach schnell ab und liegt heute deutlich tiefer, aber immer noch über dem 2 %-Inflationsziel. Wie sollten die Zentralbanken jetzt agieren? In Anlehnung an James Carvilles berühmte Mahnung an Bill Clinton „It’s the economy, stupid!” kann es heute für die Geldpolitik von Fed und EZB heißen: „It’s the productivity, stupid!“

Der Inflationsdruck bleibt im Dienstleistungssektor hoch

Anfang 2021 stiegen die Inflationsraten der USA und etwas später der Eurozone schnell und zum ersten Mal in einer Dekade auf über 3 %. Mit der Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe und den Lockerungen der Pandemie-Restriktionen trafen die während der Pandemie angehäuften Ersparnisse ausgabewilliger Konsumenten auf immer noch stockende globale Lieferketten. Eine hohe Nachfrage traf also auf ein verknapptes Angebot, sodass der zuvor von den Zentralbanken sehr stark ausgeweitete Geldüberhang durch Preiserhöhungen gefüllt werden konnte.1

Der Preisdruck kam zunächst aus den Waren- und Energiepreisen und übertrug sich in den Dienstleistungssektor (Abb. 1). Der Beginn des Krieges in der Ukraine und die darauffolgenden Sanktionen gegen Russland Anfang 2022 verstärkten den Inflationsbeitrag der Energie- und der Lebensmittelpreise insbesondere in der Eurozone. Zeitgleich stieg der Inflationsbeitrag der Dienstleistungen stetig. Heute hat sich die Teuerungsgeschwindigkeit der Energie- und Warenpreise normalisiert und der Inflationsdruck ist hauptsächlich bei den Dienstleistungen zu finden.

Lohnentwicklung und Inflation

Der Anstieg der Preise im Dienstleistungssektor hängt stark mit der Lohnentwicklung zusammen. Insbesondere für Dienstleistungsunternehmen sind Löhne der größte Kostenfaktor, weil Dienstleistungen in der Regel personalintensiver als die Produktion von Waren sind. Steigen die Löhne, haben Unternehmen den Anreiz, entweder durch Preiserhöhungen oder Produktivitätsverbesserungen die Gewinne zu erhalten. Deshalb wirken steigende Löhne je nach Produktivitätswachstum inflationär: Schnelles Produktivitätswachstum dämpft den Inflationsdruck der Löhne.

Obwohl sich die Löhne in den USA und der Eurozone ähnlich entwickelt haben, geht das Produktivitätswachstum auseinander. Im Jahr 2022 erreichten die Lohnkosten in den USA ein Wachstum von über 5 % und Ende 2023 von 4,2 % J-ü-J, deutlich über dem vorpandemischen 3 % (Abb. 2). In der Eurozone stiegen die Löhne bis Ende 2023 um 4,7 %, ebenfalls deutlich schneller als vor der Pandemie. Zeitgleich stiegen auch die Dienstleistungspreise an. Die Produktivität, gemessen am realen BIP pro erwerbstätige Person, stieg in den USA um 15 % seit 2012 und stagnierte in der Eurozone (Abb. 3). Der bescheidene Produktivitätsgewinn der Eurozone um 2,5 % bis 2019 ist in den letzten Jahren zurückgegangen.

Das langsamere Produktivitätswachstum in der Eurozone führt zu einem höheren Inflationsdruck als in den USA, da die Lohnstückkosten dort schneller steigen (Abb. 4). Wenn die Löhne schneller steigen als die Produktivität, müssen Unternehmen höhere Kosten tragen, um die gleiche Menge an Gütern oder Dienstleistungen zu produzieren. Um diese gestiegenen Kosten auszugleichen, erhöhen die Unternehmen die Preise ihrer Produkte. Das Wachstum der Lohnstückkosten geht in den USA seit Anfang 2022 zurück, während es in der Eurozone seit der Pandemie steigt. Einige Tarifverhandlungen stehen noch in Ländern der Eurozone aus, sodass der Lohnkostendruck weiter steigen dürfte. Weil das Produktivitätswachstum dies nicht kompensieren kann, dürfte der Inflationsdruck in der Eurozone hoch bleiben.

Fazit: Die Fed hat es leichter

Weil die Produktivität in der Eurozone nicht steigt, sind dort Lohnerhöhungen stärker inflationär als in den USA. Die EZB scheint sich dieses Verhältnis bewusst zu sein. Bei der letzten Zinsentscheidung betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass in der jetzigen Phase die Lohnentwicklung für die kommenden Zinsentscheidungen im Mittelpunkt sein würde. Ohne einen starken Einbruch der Wirtschaft, der die Lohnkosten wieder senken würde, müsste die EZB ihre Leitzinsen höher für länger halten. Die Fed könnte dank dem niedrigeren Inflationsdruck etwas früher an Zinssenkungen denken, wenn auch nicht so schnell und stark, wie sich der Markt das wünscht.


1 Siehe Duarte, Pablo (2023) „Irgendwann wird auch die Inflation ‚transitorisch‘ sein“, Kommentar, Flossbach von Storch Research Institute.

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