15.05.2020 - Kommentare

Der US-Arbeitsmarkt in der Corona-Krise

von Agnieszka Gehringer


Dank der ausgeweiteten Arbeitslosenhilfe wird geschätzt, dass rund 40 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Arbeitslosigkeit mehr Geld verdienen als in ihrer früheren Tätigkeit. Da dies die Arbeitslosen von der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle abhalten dürfte, könnte dies zu einer höheren strukturellen Arbeitslosigkeit mit Löhnen führen, die über dem Niveau der Markträumung liegen.

Die Folgen der Corona-Krise für den Arbeitsmarkt sind beispiellos. Innerhalb von nur zwei Monaten wurden rund 21,4 Millionen Arbeitsplätze vernichtet, wodurch die 22,4 Millionen Arbeitsplätze, die nach der Großen Rezession 2008/9 geschaffen wurden, fast vollständig ausgelöscht wurden. Zum Vergleich: Während der Großen Rezession wurden innerhalb der 25 Monate zwischen Februar 2008 und Februar 2010 8,7 Millionen Arbeitsplätze vernichtet (Grafik 1).

Viel anders ist diesmal auch die sektorale Aufteilung der Folgen. Während der Großen Rezession verteilten sich die Beschäftigungsverluste zwischen der verarbeitenden Industrie und dem Dienstleistungssektor beinahe gleichmäßig. Dagegen stammten fast 84 % der derzeit durch die Corona-Krise verlorenen Arbeitsplätze aus dem Dienstleistungssektor. Am stärksten betroffen sind dabei die Sektoren Transport und Lagerhaltung, Unternehmensdienstleistungen, Groß- und Einzelhandel, Freizeit und Gaststättengewerbe sowie Bildung und Gesundheit (Grafik 2). Infolgedessen stieg die Gesamtarbeitslosenquote von 3,5 % im Februar auf 14,7 % im April.

Das größte Risiko, das sich aus dem US-Arbeitsmarkt-Schock ergibt, ist jedoch nicht so sehr die steigende Arbeitslosigkeit an sich, sondern vielmehr das Potential, dass die Arbeitsmarktentwicklungen während der Krise dauerhafte Folgen in Form von steigender struktureller Arbeitslosigkeit haben.

Dynamik des Arbeitsmarktes

Die Arbeitsmarktentwicklung lässt sich in einem lehrbuchmäßigen Angebot-Nachfrage-Modell erklären1. Die Arbeitsnachfrage geht von den Unternehmen aus und hängt direkt von den Arbeitskosten ab (hauptsächlich von den produktivitätsbereinigten Löhnen), neben anderen Faktoren wie Marktmacht bei der Preisbildung, Konjunkturlage oder öffentlichen Interventionen. Was letztere betrifft, so führen die derzeitigen Lockdown-Maßnahmen aufgrund der Corona-Krise zu einer Verringerung der Arbeitsnachfrage der Unternehmen2. Das Arbeitsangebot geht von den Arbeitnehmern aus und wird in der Regel durch das Lohnniveau bestimmt, neben anderen Faktoren wie der familiären Situation und den relevanten institutionellen Rahmenbedingungen, zu denen auch die Notstandshilfe gehört. Da letztere eine alternative, nicht arbeitsbezogene Einkommensquelle darstellt, verringert eine Erhöhung der Notstandshilfe das Arbeitsangebot.3

Das als CARES-Gesetz bekannte Rettungspaket in Höhe von 2,2 Billionen USD, das im März von der US-Regierung verabschiedet wurde, hob die Arbeitslosenhilfen auf ein Niveau, das seit der Schaffung des Arbeitslosenversicherungsprogramms in den 1930er Jahren nicht mehr gesehen wurde. Es bietet den Empfängern von Arbeitslosengeld zusätzliche 600 USD pro Woche4. Dies ist viel großzügiger als die zusätzlichen 25 USD, die während der Großen Rezession gewährt wurden. Die Maßnahme soll am 31. Juli auslaufen, wobei es nicht auszuschließen ist, dass der Kongress sie verlängern wird, da es unwahrscheinlich ist, dass die Krise bis dahin überwunden ist und sich der Präsidentschaftswahlkampf für die Präsidentschaftswahlen im kommenden November abzeichnet.

Durch die Kombination der beiden Hauptkräfte, die derzeit auf den Arbeitsmarkt einwirken - die Lockdown-Maßnahmen und die großzügige Arbeitslosenhilfe - wird sich der Arbeitsmarkt wahrscheinlich für die kommende Zeit in eine neue Lage mit einer sehr hohen Arbeitslosenquote einpendeln. Die Auswirkungen auf die Löhne sind a priori ungewiss. Angesichts der Großzügigkeit der Arbeitslosenunterstützung ist jedoch zu erwarten, dass die Arbeitslosen von der Arbeitssuche abgehalten werden und somit keinen Abwärtsdruck auf die Löhne ausüben werden. Selbst wenn die zusätzlichen wöchentlichen Zahlungen in Höhe von 600 US Dollar auslaufen sollten, würden neue Maßnahmen, wie die Anhebung der Mindestlöhne, verhindern, dass das Lohnniveau von seinem erhöhten Niveau abfällt.

Kurzfristige politische Gewinne versus langfristige wirtschaftliche Verluste

Die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger in den USA stehen in den kommenden Wochen vor schwierigen Entscheidungen. Selbst wenn das gegenwärtige Lockdown wirtschaftlich immer unhaltbarer wird und vermutlich bald aufgegeben werden dürfte, sind die Entscheidungen bezüglich des Arbeitsmarktes mit schwierigen Kompromissen zwischen möglichen kurzfristigen politischen Gewinnen und langfristigen wirtschaftlichen Verlusten verbunden.

Eine Kürzung der Arbeitslosenunterstützung bereits ab August würde die Arbeitslosen zur Arbeitssuche veranlassen und so zu einer schnelleren Erholung der Wirtschaft beitragen. Die Option ist jedoch politisch problematisch, da sie das Einkommen derjenigen verringern würde, die gegenwärtig mehr Leistungen erhalten, ohne zu arbeiten, als sie zuvor Lohneinkommen bezogen haben - und dies kurz vor einer wichtigen Wahl.

Sollte das großzügige Arbeitslosengeld verlängert werden, hätten die Arbeitslosen keinen Anreiz, nach Arbeit zu suchen. Darüber hinaus könnte die anhaltende Unsicherheit im Unternehmenssektor Investitionen behindern oder sogar Insolvenzen finanziell angeschlagener Unternehmen verschärfen. Je länger die außerordentlichen Arbeitsmarktmaßnahmen und Lockdown-Regelungen andauern, desto größer ist das Risiko negativer langfristiger Folgen sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die Wirtschaft insgesamt. Daher werden Politiker kurzfristige politische Vorteile gegen langfristige wirtschaftliche Kosten abwägen müssen. Die vergangenen Erfahrungen zeigen, dass in der Politik in den meisten Fällen das Kurzfristige gegenüber dem Langfristigen überwiegt.


1 Alternativ könnte man das mikrobasierte Lohnbildungsmodell anwenden. Die Hauptergebnisse der Analyse weisen jedoch in die gleiche Richtung.

2 Im Lehrbuchjargon verschiebt sich die abwärts geneigte Arbeitsnachfragekurve nach links: Für jedes Lohnniveau werden weniger Arbeitskräfte nachgefragt.

3 Die nach oben geneigte Arbeitskräfteangebotskurve verschiebt sich nach links.

4 Die Arbeitslosenversicherung ist ein gemeinsames Programm von Bund und Staaten, wobei die Staaten die Schlüsselfaktoren wie die Höhe der Leistungen kontrollieren, so dass die Leistungen zwischen den Staaten erheblich variieren können.

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